Heute reisen wir nach NEW YORK.
Im Gepäck Melodien, die uns schon lange begleiten – so Frank Sinatras New York, New York, Lou Reeds Walk on the wild side oder Stings Englishman in New York. Songs, die Geschichten erzählen von Menschen und ihren Sehnsüchten. Von Orten, die geheimnisvoll und gleichzeitig vertraut sind. Und von einer Stadt, die all unsere Projektionen in sich vereint und die es nur einmal gibt: New York.
Diese Stadt zieht Menschen an, fasziniert auch wegen ihrer Architektur. Eine wunderbare Mischung vieler Baustile: antiquierte Backsteinromantik mit stählernen Fluchtleitern, die ganze Stadtteile prägt, genauso wie die imposanten Alu-Glas- Fassaden der Wolkenkratzer, die Skyline, das wohl berühmteste Aushängeschild dieser Stadt. Ich kenne niemanden, der nicht von New York eingefangen wurde. Alle Vorstellungen, die mitgebracht werden, werden übertroffen an Größe, an Lautstärke, an Chaos usw. So erging es auch Norman Russel, als er 1999 das erste Mal die Stadt betrat. Im Erinnerungsrucksack spielte Gershwins Rhapsody in Blue und Woody Allens Manhattan-Soundtrack auf, kaum dass er der legendären Skyline ansichtig wurde. Fortan ward er elektrifiziert von dieser ultimativen Stadt, fühlte sich wie im Zentrum des Universums. Eine Begeisterung, die weitere New York Besuche nach sich zog und zu einem Buchprojekt wurde. Und weil Liebe – auch zu einer Stadt – bekanntlich durch den Magen geht und weil Norman von Berufs wegen kocht und Restaurants managt und weil gerade Ideen für einen Business-Plan gesammelt wurden, war New York als Schmelztiegel aller Küchen dieser Welt ein idealer Ausgangspunkt der Suche nach Comfort Food. Letzteres zu übersetzen ist gar nicht so leicht, denn es summiert in sich die einfache Hausmannskost ebenso wie Seelenfutter oder Trostessen. Der Untertitel verrät dann was Comfort Food, im Prestel Verlag erschienen, wirklich ist. Eine Rezeptesammlung der Gute-Laune-Küche aus New York. Viele daraus finden sich auf der Speisekarte seines Restaurant im Londoner Soho, Spuntino. Und Spuntino ist sowohl der englische Originaltitel des Comfort Food-Kochbuchs als auch das italienische Wort für Imbiss. Den findet man vor allem auf Manhattans Südspitze zwischen Battery-Park und 14ter Straße. Ein Streifen, der sich von West Village über Little Italy und über den East River bis nach Williamsburg zieht, grenzt die Spurensuche nach der amerikanisch sozialisierten italienischen Ursprungsküche ein. Herausgekommen ist, das vorweg, eine lustvolle Reise mit dem Angebot an überwiegend italienischer kleiner und größerer Happen und amerikanischer Getränke, die glücklich machen.
In neun Kapitel nähert sich der Autor der kulinarischen Fusion. Im ersten, dem Brunch Kapitel, ist der amerikanische Einfluss am deutlichsten spürbar. Im Mittelpunkt des Brunch, wie des Lebens selbst gesteht Russel, ist das Ei. Da gibt es nicht nur Kraftpakete von Eierspeisen, die die Herzen der Stahlarbeiter auf New Yorks Wolkenkratzern höher schlagen lassen. Auch raffiniertes, gleich einem versteckten Witz, wie Ei & Stippen, wird angeboten. Dem Ei wird einfach die Schale genommen und durch eine Schicht aus gemahlenen Mandel- und Sesamsamen ersetzt. Sehr witzig! Und eine Seite weiter wird es sofort wieder heftig. Im kandierten Speck werden Fett, Salz und Zucker zur unheiligen Dreifaltigkeit. Der Lauch mit weich gekochtem Ei & Senfsamen-Croutons ist zwar simpel aber eine kleine Überraschung. Endlich wieder einmal ein Gericht, in welchem der Porree nicht zerschnipselt und klein gehackt wird, sondern sein wahres Stangen-Gesicht zeigen kann. Diesem fast spartanischen Essen steht dann wieder an Üppigkeit kaum zu übertreffendes Mac & Cheese gegenüber. Macaroni im Käsesee könnte man es betiteln und es zählt zu den besten Wohlfühlgerichten der Welt. Wohl auch, weil es zum Wettkampf um den längsten Käsefaden von der Pfanne zum Mund, einlädt. Im Spuntini & Toasts Kapitel dreht sich alles um Häppchen, die mitunter unterschiedlichste Geschmacksaromen vereinen. Ein Aha-Erlebnis war der Ricotta-, Johannisbeer- & Fenchel-Toast, der in einem Biss Schafsmilchiges mit dem Säuerlichen der Beeren und dem knackig Pikanten des Fenchels vermengt und so eine aromatische Bombe platzen lässt. Längerfristige Planung erfordern die süß-sauren Pickles in all ihren Varianten. Ob Fenchel, Rote Bete, Apfel, Zucchini, Sellerie oder anderes Gemüse und Obst, die volle Entfaltung kommt erst nach dreitägigem Bad im Essigsud.
Eine Fundgrube für Pizzafans ist der dritte Abschnitt, der sich den Pizzetti zuwendet. Das ist erfolgreicher Widerstand gegen den alles vereinnahmenden amerikanischen way of life, nämlich nicht Pizzen in Wagenradgrößen zu kreieren, sondern kleine unförmige Pizzetti zu backen, mit spannenden Belegvorschlägen. Für den Teig gibt es ein Basis-Rezept wie auch für die Tomatensoße. Die Variationen hängen dann nur mehr von den persönlichen Vorlieben ab. Am besten gemundet von den fünf Pizzetta-Angeboten, die an einem Pizzettaabend serviert wurden, hat meinen Liebsten die Blumenkohl & Scamorza-Pizzetta und die Waldpilz- & Taleggio-Pizzetta. Es war ein lustiges und vergnügliches Ereignis, mit vielen Aufforderungen, doch mal von der Knoblauch-Ziegenfrischkäse-, von der Kartoffel-Sardellen- oder Chicorée-Tontina-Pizetta zu kosten.
Die weiteren Kapitel sind dann den Salaten & Dressings, den Slider, den Fischgerichten, wie auch Fleischgerichten, Desserts und Drinks gewidmet. Auch bei den Salaten findet sich eine große Auswahl an Kombinationen mit selbst gemachten Dressings und sogar der Herstellungsanleitung für Mayonnaise. Mit Slider kommt dann wieder ein Schwung Amerika ins Buch. Unter Slider versteht man Mini-Burger und mehr. Selbst der Autor kann diesen Begriff nicht wirklich definieren, weshalb ich nur darauf hinweise, dass auch hier die Bandbreite an Möglichkeiten, Buns zu bestücken, schier unbegrenzt sind. Im Fisch-Kapitel gibt es dann Anleihen aus der China-Küche, ohne dass ich hier näher darauf eingehen möchte. Nur soweit: Little Italy und China-Town liegen auf Manhattan nebeneinander.
Beim Fleisch treffen wir spätestens mit geschmorter Chicorée & Südtiroler Speck wieder auf Italien. In den letzten beiden Kapiteln treten dann stärker amerikanische Züge hervor. Der Cheesecake mit braunem Zucker & beschwipsten Pflaumen ist eine New Yorker Spezialität. Wenn auch das römische Imperium mit Götterspeise mit Blutorange & Campari zurückschlägt. Lachende Dritte sind die Anwender dieses Comfort Food-Kochbuchs. Eine Riesenauswahl köstlicher Rezepte laden zum Nachmachen mit garantiertem Erfolg ein. Köstlich.
Schön gemacht! Ein ansprechendes Design verführt das Auge und mich, den Betrachter, zu einer Reise nach New York und einigen ausgewählten Stadtteilen, samt Verköstigungsangeboten. Zwischen jedem Kapitel sind fotografische Stadtführungen durch Greenwich Village, SoHo, Lower East Side, Williamsburg und durch andere Bezirke eingestreut. Collageartige Geschichten, durch braunen Hintergrund und besonderes Layout hervorgehoben. Toll fotografierte Szenen aus New Yorks Alltag wie auch die vorgestellten Gerichte von Jenny Zarins machen dieses Buch zu einer vergnüglichen Tour durch Stadt und Schlemmereien. Dazu trägt auch der lockere Schreibstil von Russel Norman bei, der mit britischem Humor die USA und Italien kulinarisch vereint. Und Oscar Wilde meinte: „When I’m in trouble, eating is the only thing that comforts me“. Also, Comfort Food ist mehr als eine köstliche Versuchung.