Heute reisen wir in das KÜCHEN-LABOR.
Da werden alte Erinnerungen wach, an die Schulzeit, an Chemie- und Physikstunden.
Unterricht zum Gähnen langweilig. Kein Alltagsbezug, langweiliger Frontalunterricht … Dass das auch anders gehen kann, zeigt Werner Gruber, ein Experimentalphysiker mit Hang zur Rhetorik. Einem breiteren Publikum bekannt geworden ist Gruber mit seinem schlagfertigen Auftreten in der Wissenschaftskabarett-Sendung ‚Science Busters‘.
Ein Wissenschafter mit lockerer Schnauze könnte man ihn schnoddrig bezeichnen, natürlich im positiven Sinne. Das gefällt, denn Gruber versteht es, physikalische Zusammenhänge mit Alltagsbezug allgemein verständlich zu erklären. Und das noch mit einem Schuss trockenen Humors; er ist quasi die Personifizierung von Nietsches Forderung nach einer fröhlichen Wissenschaft. Gruber macht dies, frei nach seinem kulinarischen Motto: „Jedes Mal Kochen ein Experiment, jedes Mal Essen eine Messung.“ Daran lässt er uns teilhaben, indem er seine Überlegungen und experimentell gewonnenen Erkenntnisse zur kulinarischen Physik veröffentlicht.
In vierzehnter Auflage ist Die Genussformel, wieder im Ecowin Verlag aufgelegt worden. Inhaltlich wurden gegenüber der letzten Ausgabe einige kleine Fehler ausgebessert, vom Standpunkt der Wissenschaft aus gesehen, hat sich wenig verändert, bekennt der Autor in der Einleitung.
Auch in Johanna Maiers Vorwort wird sich nichts geändert haben. Ihr Ansatz „Kochen ist auch Experimentieren“ ist deckungsgleich mit Gruber, uns Leserinnen und Lesern der Genussformel attestiert sie, dass seine Tipps und Tricks uns auch in der Küche weiterbringen werden.
In 11 Kapiteln nähert sich der Autor aus verschiedenen Seiten seinem Lieblingsthema: Eigentlich physikalischen Phänomenen wie Abkühlen, Erwärmen, Lichtgeschwindigkeit, bewegte Gase, Osmose usw. Aber keine Angst, die physikalischen Grundbedingungen unseres Lebens sind eingebunden in Begebenheiten und Fragestellungen, die unsere Alltagsküche betreffen. Ereignisse, die laufend passieren, nur haben wir sie kaum mit den Augen eines Physikers betrachtet. Das kann aber nützlich sein und macht Sinn. Vor allem, wenn man sich weiterentwickeln will. Zudem ist es keine Spur langweilig. Geht es im ersten Kapitel zwar noch um einen leicht theoretischen Zugang von Wissenschaft versus Kochen, so ändert sich das in den weiteren schlagartig und wird zur amüsanten Lektüre. Dabei zieht Gruber alle Register erzählerischer Vergnüglichkeiten, gewürzt mit Anekdoten aus seinem und seiner Familie Leben.
Alle Kapitel haben handfeste, d.h., kulinarische Aufhänger. Im zweiten kommt es zum „Kampf ums Gulasch“, das dritte ist dem Ei mit all seinen Geheimnissen gewidmet. In der „Rückkehr des guten Geschmacks“ geht es unter anderem um den Schweinsbraten mit einer geräuschvollen Kruste, in der „Physik der Knödel“ werden Flüssigkeiten bewegt, beim perfekten Tafelspitz die Osmose und die Diffussion bemüht und „Im Wendekreis der Torten“ wird unter anderem „Das Wiener Rosinengugelhupfproblem“ erörtert und gelöst. Es geht um die Frage – die Sie sich vielleicht auch schon stellten -, warum verteilen sich die Rosinen in manchen Gugelhupfen gleichmäßig, in anderen nicht? Es gibt eine Erklärung, die ich nicht verrate, aus Platzmangel. In diesem Zusammenhang schilderte der Autor auch ein Malheur, das ihm passierte. In den langen Versuchsreihen vergass er bei einer Gugelhupfproduktion das Mehl. Aber es wäre nicht der Physiker Gruber, wenn ihm nicht auch dazu eine Lösung eingefallen wäre, wie man diese Neukreation unter die Leute bringen kann. Solche Passagen, wo ein durch und durch strukturierter Wissenschaftler menschelt, gibt es auch und das macht den Autor besonders sympathisch.
Mein Lieblingskapitel ist „Das Spiegelei schlägt zurück“. Dabei geht es natürlich nicht nur um das Spiegelei. Auch das Omelett und andere Eierspeisen spielen eine Rolle. Und wenn es nach Mascha Kolékos Gedicht ‚Wie wärs mit einem Omelett?‘ sehr einfach klingt, das zu machen, dann muss man sich erst mal daran beweisen:
Ein Omelett aus einem Ei
Ist weiter keine Hexerei:
Erst mal das Eigelb hübsch verrieben
Sodann gewürzt, ganz nach Beleben.
Ein Kaffeelöffelchen voll Wasser
Macht den Omelett-Teig etwas „nasser“.
(Die Füllung: Spargel, Käse, Pflaumen
Hängt vom Kalender ab, und Gaumen.)
Auf beiden Seiten braun in Fett
Brät man das goldene Omelett.
So einfach so klar ist Kalékos Anleitung, nur funktioniert es nicht immer so. Gruber zeigt auf, was schiefgehen kann und vor allem warum. Aber er bietet auch Lösungsvorschläge und Präventionsmaßnahmen – alles von einem physikalischen Standpunkt aus. Das erweitert den Koch-Horizont ungemein. Im Spiegelei-Kapitel geht es konkret um folgende Fragestellungen. Wie lange sind Eier haltbar?, was sind Kalkeier?, warum lassen sich frische Eier gekocht schwer schälen?, was ist das perfekt gekochte Ei?, wie verteilen sich die Temperaturen im Ei?, warum darf man Eier nicht zu hart kochen?, wie unterscheiden sich Eierspeise und Rührei?, woher bekommen Eier ihre Farbe?, wie funktioniert der Eierkocher? usw. bis zur Frage: Wie gelingt die perfekte Mayonnaise? Dabei werden zunächst die Fragen aus physikalischer Sicht abgehandelt und erklärt und in einem Rezeptanhang aus praktischer Sicht. So finden sich jedem Kapitel angehängt eine Unzahl an klassischen Rezepten, die nun mit vorhergehender theoretischer Unterfütterung mit ganz anderem Verständnis umgesetzt werden können. Da gibt es kein Zittern und Bangen mehr, die handgerührte Mayonnaise wird gut. Wie auch die verlorenen Eier, die Eier nach Art von Benedikt, die falschen tausendjährigen Eier, die Saucen Hollandaise, Maltaise, Mousseline und Bernaise, sowie weitere Eierrezepte. Von mir erfahren Sie am Ende die Anleitung der Mayonnaise nach dem Rezept von Werner Grubers Großmutter. Eine wunderbare Basis für Tomaten die mit einer Gemüsemayonnaise gefüllt werden. Bei der Mayonnaise handelt es sich um eine Emulsion aus Wasser, das aus dem Dotter stammt, und Öl. Fürs Gelingen sind vor allem zwei Faktoren wichtig – die Gruber ausführlicher beschreibt: Senf und Zeit. Der Senf übernimmt die Funktionen der geschmacklichen Harmonie wie er auch als Netzmittel fungiert, also Bindekitt ist. Ganz wichtig ist aber das tröpfchenweise einrühren des Öls, händisch mit dem Kochlöffel und nicht mit dem Mixer. Das ist zeitaufwändig und führt dazu, dass die einzelnen Öltröpfchen sich mit Lecithin umgeben und Cluster bilden. Das heißt, die Öltropfen tarnen sich, sehen aus wie große Wassertropfen. Das Wasser, das vom Dotter stammt, verbindet sich mit den getarnten Öltröpfchen und sogleich entsteht eine schöne feste Verbindung. Sie wird fest und cremig gleichzeitig mit leicht fruchtiger Note.
Den Abschluss dieses physikalischen Hand-Kochbuchs bilden praktische Ergänzungen, zunächst ein Mini-Lexikon mit wichtigen Begriffen, ein österreichisch-deutsches Wörterbuch, ein sehr kleines Literaturverzeichnis (das meines Erachtens ein wichtiges Werk nicht anführt: This Benckhard, Rätsel der Kochkunst). Dem folgen noch wichtige Temperaturen für die Zubereitung und Maßeinheiten fürs Kochen. Mit einem ausführlichen Stichwortverzeichnis wird abgeschlossen.
Die Genussformel von Werner Gruber sei allen ernsthaften Köchinnen und Köchen, die gewillt sind, über den ‚Zutatenrand‘ hinauszuschauen, ans Herz gelegt. Kurzweilig und amüsant geschrieben, erweitert es den koch-physikalischen Horizont sagenhaft (ups – wie unwissenschaftlich!) – zumindest meinen.