Salma Hage, ORIENT – köstlich vegetarisch

Fotos Liz und Max Haarala Hamilton
Phaidon by Edel, Hamburg, 2016, 272 Seiten, 30,80 Euro
ISBN 978-3-944297-25-5
Vorgekostet

Heute reisen wir in den ORIENT.

Ins Land der Kichererbsen, dorthin wo es Oliven und Weißkäse zum Frühstück gibt. Mit dabei ist eine alte Bekannte: Salma Hage. Sie begleiten wir in die Berge des Nordlibanon, in ein kleines Dorf namens Mazarat Tiffah. Und wir stellen uns vor, wie sie vor 65 Jahren ihrem Vater ein einfaches Reis-Linsen-Gericht kochte – mit weitreichenden Folgen. Er sagte: „Es schmeckte hervorragend, mein Liebling, du bist eine wunderbare Köchin!“ Das ist der Grundstein einer tollen Kochkarriere, dessen Auswirkungen uns LiebhaberInnen orientalischen Essens vor fünf Jahren ein grandioses Kochbuch der libanesischen Küche bescherte. Hier muss eingeschoben werden, dass ihr Werdegang sich über mehrere Stationen vollzog, bis sie sich dann endgültig mit ihrer Familie in London niederließ; das ist aber auch schon wieder einige Jahrzehnte her. In Tripolis lernte sie von ihrer Großmutter die Alltagsküche ihres Dorfes kennen und sammelte alte Rezepte. Im fernen Empire stillte sie mit ihren Kochkünsten die Sehnsucht der Heimatfernen mit den Aromen des Orients. Aber vor vier Jahren verformt eine Zäsur ihr bisheriges Koch-Leben. Sohn Joe und Enkel George werden Vegetarier. Das verändert Salmas Küche entscheidend, die weiterhin ihre Familie bekochen will. Ihr Mann Heni, für den ein fleischloses Leben gleich Armut bedeutet, versteht das gar nicht und will ihr Geld zum Fleischkaufen geben. Aber Salma krempelt ihren Kochstil um und kocht ab nun fleischlos. Herausgekommen ist dabei auch ein Kochbuch: ORIENT köstlich vegetarisch, das bei Edel erschienen ist.

Im Geleitwort von Alain Ducasse hebt dieser das Gefühl der Vertrautheit hervor, die er mit Salmas Kochbuch erfährt. Ihrer beider Wurzeln und Leidenschaft liegen in der mediterranen Küche, die inspiriert und beeinflusst von vielen Kulturen des Mittelmeerraums ist. Hage erinnert sich, dass in den 1960er Jahren kaum Fleisch, am meisten Bohnen, Auberginen, Reis, Linsen und Hülsenfrüchte gegessen wurden. Viel Selbstangebautes wie Feigen, Weintrauben und -blätter, Pflaumen, Pfirsiche, Äpfel, Kartoffel, Zwiebel, Oliven und einiges mehr. Das wird nun neu bewertet und fließt in ihrem aktuellen Kochbuch verstärkt ein. Quasi Kochbuch gewordene Kindheitserinnerungen. 140 Rezepte verteilt Salma auf die Kapitel Getränke, Frühstück, Dips und Mezze, Salate, Gemüse, Hülsenfrüchte & Co. sowie Desserts. Vorangestellt werden aber einige Gewürz- und Grundmischungen wie Tahini, Laban, Zatar und vor allem Baharat, das klassischste Gewürz der libanesischen Küche. Ein Wundermittel, das schnell und leicht selbst herzustellen ist und einmal verwendet, ist es unverzichtbar.

Hitzeerprobt und erfrischend sind Salmas Getränkevorschläge. Der Honig-Rosen-Sirup ist mit der Vanilleeiscreme dem mitteleuropäischen Geschmack angenähert und mit seinem aromatisch-blumigen Bouquet mit Sodawasser verdünnt ein herrliches Getränk an heißen Tagen. Noch erfrischender fand ich das Limettenwaser mit Ingwer, Erdbeeren und Zitrone, ein Durstlöscher, der selbst meine Kinder begeisterte.

Wer gerne frühstückt, kann bei Salma einiges entdecken. East meets west mit dem Weizenkorn-Porridge, denn da bekommt der gute alte englische Haferbrei eine neue Note. Oder die Manouche-Brote, die mit Zatar bestrichen den Orient abseits von Humus auf den Frühstückstisch zaubern. Wie überhaupt Gewürze in der libanesichen und nahöstlichen Küche stark vertreten sind und es ratsam ist, das Gewürzregal aufzufüllen mit Piment, Zimt, Kreuzkümmel, Nelken, Ingwer etc. sowie den Vorratssschrank um weitere delikate Zutaten zu ergänzen, als da wären: Honigwasser, Pistazienkerne, Erbsen, Halloumi-Käse, Granatapfel und vor allem Auberginen. Letztere tauchen immer wieder auf, ob gebraten, gegrillt, gekocht, im Backrohr gedünstet oder über offenem Feuer gegart. Wie vielseitig verwendbar dieses violette Gemüse ist, zeigen die wunderbaren Rezepte in Salmas Buch. Aber die gefüllten Baby-Auberginen waren dann doch etwas Besonderes, mit dem Hauch von Zimt, der über dem Teller schwebte. Ausprobiert habe ich auch die Grüne-Erbsen-Suppe, die dickste, die ich bisher gegessen habe und in meiner Sammlung der Erbsensuppen aufgenommen wurde, wenn auch mit weniger Knoblauch.

Die Süßkartoffeln mit Walnusskernen und Quinoa hätten fast zu einem Streit zwischen mir und meinem Sohn Benjamin geführt. Wer bekommt den letzten Schöpfer dieses herrlich frischen Gerichts. Natürlich überließ ich ihm kampflos das Feld der letzten Bissen.

Weniger nachgiebig wäre ich bei der Spargel-Feta-Quiche gewesen. Diese französisch-libanesische Koproduktion ist aber so gehaltvoll, dass alle satt wurden. Und sie schmeckte so vorzüglich, dass ich Ihnen am Ende das Rezept verraten muss.

Von den Desserts habe ich den Mandel-Grießkuchen nachgebacken, der mit seiner feinen Körnigkeit ideal zum Kaffee schmeckte.

Allein die vorgestellte kleine Auswahl zeigt die breite Palette Salama Hages vegetarischer Verführungen. Viele sind mit kleinen Änderungen in den Zutaten in ein veganes oder glutenfreies Gericht verwandelbar. Ein ausführliches Glossar, das selbst ausgefallene Exoten wie Carobmelasse oder Kishik hinreichend erklärt, sowie ein umfangreiches Rezeptregister vervollständigen Hages vegetarisches Orient-Kochbuch, das zweifelsohne ein Meisterwerk ist. Enkel-akzeptierte Rezepte sind mit ein Indikator für gute Kost. Aber Salma Hages Qualität liegt in ihrem Einfallsreichtum, die traditionelle Orientküche, die vielseitig und gesund ist, ins moderne Heute zu übersetzen. ORIENT köstlich vegetarisch ist ein exzellentes Kochbuch.

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