Heute reisen wir nach ROM.
Kaum angekommen in der ewigen Stadt, fuhr ich frührer immer gleich weiter ins Herz der City. Zum wahrscheinlich römischsten Markt auf der Piazza Vittorio. Dort gab es alles: Schafshirn, Herz, Lunge, Milz, Nieren und ausgeweidete Hasen, die sich in den Verkaufsvitrinen präsentierten. Geflügel, das schreckensstarr in engen Käfigen stand und mit gelegentlichem Aufreißen ihrer Schnäbel schwache Lebenszeichen morsten. Mit den blutigen Messern gestikulierend und sich gegenseitig animierend, riefen die Fleischhändler grinsend von Verkaufsstand zu Verkaufsstand immer lauter, einmal im Tonfall katholischer Litaneien die Preise ihres Rinds- und Schweinefleisches, einmal im Schlachtenbummlerton die Preise ihres Lamm-, Schaf- und Truthahnfleisches aus. Die Eierfrau saß neben ihrem Weidenrutenkorb, der randvoll mit frischen Eiern gefüllt war.
Heute wird der Markt in der nahe gelegenen Markthalle, der Nuovo Mercato Esquillino abgehalten. Immer noch laut, farbenprächtig, pulsierend reiht sich Marktstand an Marktstand aneinander. Dorthin zieht es mich immer noch und noch mehr, wenn es darum geht die Zutaten für römische Gerichte zu besorgen. Gelegenheit dazu bietet nun ein neues Rom-Kochbuch. La dolce vita. Alte und neue Klassiker der römischen Küche, von Eleanora Galasso, ist im Knesebeck Verlag erschienen.
In elf Kapiteln entführt uns die Autorin durch eine Stadt und deren Esstraditionen, die wir zu kennen glaubten, um allein schon beim Durchblättern staunend festzustellen, wie viel unbekannte Ecken und kulinarische Anreize diese Metropole aufbietet. Eleanora leitet uns – einer versierten Fremdenführerin gleich – lachend, kokettierend, beschwingt, radfahrend, Cafe trinkend, mit der Gemüsefrau scherzend oder staunend vor einem Denkmal stehend, durch die Essenszeiten Roms. Im Fokus der Kamera immer gut gelaunt, schält sie bildhaft das pulsierende, kunstsinnige Stadtleben heraus, um mit Beharrlichkeit immer wieder auf den Kern des Buches zurückzuführen, den Rezepten träumerischen Müßiggangs und des dolce far niente. Ein uns in den Bann ziehendes Rom wird hier zum Leben erweckt und das verdanken wir wohl dem Fotografen David Loftus, der uns mit seinen Bildern ver- und bezaubert.
In der Einführung hebt Galasso hervor, dass sie als kulinarische Dolmetscherin fungiert. Sie will die verborgenen Ebenen italienischer Köstlichkeiten freilegen, die sich zu unterschiedlichsten Tagesstunden zeigen, vom Frühaufsteherritual in der Bar bis zu den Schlemmereien um Mitternacht und Stunden später. Und es geht um authentische Römerküche ohne viel Schnickschnack, also klassische Familienküche. Eine Mahlzeit ist für sie dann perfekt, wenn sie das Gefühl der Zugehörigkeit heraufbeschwören kann. Und den Anspruch, bodenständige, den Gusto anregende Rezepte für unkomplizierte Mahlzeiten löst Galasso weitgehend ein. Nicht ohne vorher noch einen kurzen Blick in die römische Vorratskammer zu werfen und einige wichtige Erfordernisse knappest zu erklären. Dazu gehört Kochwein, Reissorten, Soffritto, Ricotta wie auch Artischocken und die Kunst des Putzen derselben. Aber dann geht es los, mit über 100 römischen Rezepten von traditionell bis modern. Jedem Rezept vorangestellt ist ein kleiner Vorspann, in welchem Geschichten und Anektdoten eingewoben sind. Es beginnt mit Rosinenbrötchen, das vielleicht beliebteste Gebäck in Latium. Die maritozzi, süße Hefebrötchen mit Rosinen, werden klassisch mit frischer Schlagsahne serviert, die einen tagesfrühen Barbesuch zum Ritual werden lassen. In maritozzo schreibt Eleanora, steckt die Verniedlichung von marito (Ehemann). Im Mittelalter kam es sogar zum Liebeswettstreit zwischen jungen Mädchen, wer buk den besten maritozzo für ihren Liebsten?
Sehr gut gemundet hat mir das Spaghetti-Omlett. Ein Reste-Essen das es in sich hat, das Zeug, zum nachhaltigsten Rezept. Käse und Salbei geben den aufgewärmten Spaghetti eine gehaltvolle Aromanote.
Das Rinderragout mit Artischockenauflauf musste ich auch ausprobieren. So konnte ich mit relativ wenig Aufwand eine größere Runde verköstigen. Alle waren höchst zufrieden nach dem Genuss des kulinarischen Ehepaars: Ragout und Auflauf.
Beim römischen Ossobuco mit geschmortem Frühlingsgemüse halte ich es mit Eleanora. Nichts schmeckt besser als ein Stück Brot in den Ossobuco zu tunken. Es hinterlässt eine tiefe Befriedigung und dieser Eintopf ist einfach großartig.
Zu den typischen warmen römischen Antipasti gehören die Suppli di riso, also Reisbällchen. Im Suppli steckt das französische surprise, die Überraschung. Galasso überraschte mich wirklich mit zwei Rezepten. In Frittiertes Trio: das sind Römische Reiskugeln, Kartoffelkroketten & Fleischbällchen wird in die Reisbällchen Kalbshirn eingearbeitet. Viele KochbuchautorInnen – schielend auf ein mitteleuropäisches Kochpublikum – verbannen oder ersetzen bspw. Innereien durch weniger abstoßend wirkende Zutaten. Nicht so Galasso, die Innereien als wichtigen Bestandteil der römischen Küche akzeptiert und so auch Kochgeschichte dokumentiert. Minderheiten wie die Juden Roms konnten in bestimmten Zeiten nur überleben, weil sie mit Schlachtabfällen wie Kutteln, raffinierte Gerichte erfanden. Das zweite Reisbällchengericht mit aha-Effekt sind Großmutters Fleischbällchen mit glasierten Schalotten & Backpflaumen. Die haben mich und meine Testesser in den kulinarischen Himmel gehoben. Die Begeisterung für dieses einfache Essen hält immer noch an, weshalb ich Ihnen am Ende das Rezept verrate.
Vieles gibt es noch zu entdecken in diesem Rom-Kochbuch. Brotrezepte und Nudelgerichte, Desserts vom Feinsten und vieles mehr. Aber diese Entdeckungsreise durch die römische Küche müssen Sie selbst machen. Hervorragend geschrieben, toll bebildert gehört La dollce vita von Eleanora Galasso zu den interessantesten Kochbuch-Neuerscheinungen. Einzig das Register lässt noch Wünsche offen. Das hat allerdings den positiven Nebeneffekt, La dolce vita durchzublättern und in Rezepte reinzulesen, Vertrautes in den Stadtfotos zu entdecken und von einem Rezept dann plötzlich fasziniert zu sein, sodass man sich sofort in die Küche begibt und loskocht.