Beata Zatorska, Simon Target, Kandierte Orangen

Eine kulinarische Reise durch Polen

Fotos von Simon Target
Aus dem Englischen von Anke Albrecht
Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 2014, 320 Seiten, 37.-- Euro
ISBN 978-3-8369-2100-8
Vorgekostet

Heute reisen wir nach POLEN.

Wir sind eingeladen. Zum zweiten Mal machen wir eine Reise durch das Land der Störche und 1.000 Seen, durch aufgelassene Kohlereviere und ruhige Dorflandschaften, in ein Land hektischer Großstädte und zu Schlössern im Dornröschenschlaf. Wir werden in Synagogen, in einfache Katen und auf Dachböden geführt. Unsere Führer sind Beata Zatorska und Simon Target, alte Bekannte aus Sidney bzw. Jelina Gora, ein Dorf am Fuß des Riesengebirge. Rübezahl haben wir nicht getroffen, aber die vielen schönen Begegnungen aus der Sommerreise noch in guter Erinnerung.

Jetzt ist Winter. Und Orangen und Sauerkraut und Graupensuppe und Schweinsbraten und Pierogi und einiges mehr an Gehaltvollem stehen auf dem Speiseplan der Einheimischen. Vor allem immer wieder eingedickte, süße Früchte. „Wenn ich durch die Straßen der polnischen Städte und Dörfer gehe, bedeckt ein seidiger Schleier aus Schnee meine Augen, doch ich folge dem Duft getrockneter Pilze und kandierter Orangen, der aus Türen und Fenstern dringt. Ich möchte an diese Türen klopfen und rufen: ‚Lasst mich ein! Ich war viele Jahre fort, aber ich weiß, dass an eurem Weihnachtstisch ein Platz frei ist!‘“ Es ist wohl diese Sehnsucht, weshalb Beata Zatorska ihr im Gerstenberg Verlag erschienenes Winter-Reise-Kochbuch mit Kandierte Orangen betitelte.

Ein alter Brauch in Polen ist, am Heiligen Abend ein zusätzliches Gedeck für einen unverhofften Gast aufzulegen. Es könnte ein Wanderer, ein Vagabund oder gar Christus zu Besuch kommen.

Jedenfalls erleben Beata und Simon auf ihrer Winterreise durch das Land immer wieder diese herzliche Gastfreundschaft, vor allem bei den Verwandten und Freunden. Für Beata ist es aber auch eine Reise in die eigene Vergangenheit; so werden in Rückblenden Erinnerungen ihrer Kindheit eingeflochten. Einen Winter lang dauert die Rundreise. Der Ausgangspunkt ist Eine Kindheit in Polen als erstes Kapitel, das übergeht in den nahenden Winter, gefolgt von Advent, Weihnachten zu Hause, Ein Neues Jahr, Winterferien und am Schluss der Abschied aus Polen mit Fortfliegen. Darin bettet die Autorin familiäre und kulinarische Erinnerungen sowie Beschreibungen bedeutender Orte und Städte, die sie auf ihrer Reise besuchten. So bilden die einzelnen Kapitel quasi einen Dialog zwischen Jetzt und Früher. Hier lässt die Autorin auch volkskundliche, historische und soziogeographische Informationen einfließen und führt uns so ein sehr „menschelndes“ Polen vor. Man erfährt bspw., dass in früheren Zeiten der Christbaum von der Decke herunterhing, dass Klassenfahrten in kommunistischen Zeiten das aufklärerische Ziel mancherorts verfehlte. Aber auch von der Karriere ihrer Großmutter Josefa wird berichtet – einer Lehrerin -, die als Köchin auf einem Schloss, das als Arbeiter-Erholungsheim diente, so köstlich aufkochte, dass viele Arbeiter immer wieder Anträge stellten, um in diesem (Erholungs-)Schloss Urlaub machen zu können. Diese Großmutter Josefa, die Beata Mama Druga nannte, brachte Farben und Düfte in die schale kommunistische Welt. Von ihr und ihren Gerichten berichtet dieses Reise-Kochbuch. Es sind einfache Rezepte, dem Winter angepasst. Die verwendeten Produkte entsprechen der Jahreszeit. Sauerkraut, Graupen, Rote Bete, Schweinefleisch, kandierte Orangen und Mohn tauchen immer wieder auf in den Zutatenlisten. Auch konserviertes Obst und Gemüse findet sich in den Rezepturen dieser kargen Jahreszeit. Es ist erstaunlich, wie findig die polnische Küche ist.

So konnte ich mir zunächst nicht vorstellen, dass der Lubliner Graupenkuchen essbar ist. Ein Kuchen, der aus Gerste und viel Hüttenkäse besteht, dem kandierte Orangen und Sultaninen beigemengt werden. Das kann nicht schmecken, war mein erster Gedanke. Aber der erste Bissen ließ alle Bedenken vergessen, denn süße, feine Aromanoten verzauberten mich und ich aß drei Scheiben auf einmal. Dazu gab es ein Glas Milch – das passte wunderbar.

Spannend sind auch die mit Sauerkraut und Pilzen gefüllten Brötchen. Hier konnte ich endlich das selbst gemachte Sauerkraut verwerten. Die Kapusniaki servierte ich bei einer kleinen Familienrunde und staunte darüber, wie einfach eine Meute hungriger Kinder und Erwachsener satt zu kriegen ist. Selbst meinen Enkelkindern hat dieser Hefeteig mit der würzigen Fülle geschmeckt.

Last but not least habe ich den Schweinsbraten mit süßen Karotten nachgekocht. Langsam garend bei niedrigen Temperaturen, ist es ein ideales Winteressen. Der Schweinenacken wurde in der Früh präpariert und im Kühlschrank abgelegt. Dann gingen wir Langlaufen. Kaum waren wir wieder zu Hause, war die weitere Zubereitung des Bratens schnell erledigt und das Ding im Topf verschwunden, wo es dann zwei Stunden vor sich hin köchelte. Allerdings war das Warten und die zunehmenden Duftschwaden aus der Küche eine große Herausforderung. Ich habe durchgehalten, keinen Appetizer vorher eingeworfen und so war der Genuss unbeschreiblich. Damit Sie mir nicht nur nachfühlen können, wie hart das Warten sein kann, verrate ich Ihnen am Ende das Rezept.

Kandierte Orangen ist ein wunderbares Reise-Kochbuch durch die kulinarische Landschaften Polens. Mama Drugas Enkelin, die in Australien lebende Beata Zatorska, spürte, dass ihre polnische Geschichte noch nicht zu Ende ist und kehrte einen Winter lang zurück. Ihre Reiseaufzeichnungen – eine Sinfonie von Erinnerungen – berichten von unzähligen Begegnungen, von Städten und Landschaften, und sie vermögen in uns den Wunsch auszulösen, dieses Land selbst zu bereisen. Hinein schmecken können wir bereits zu Hause, in dem wir uns in die Küche begeben und eines der vielen schmackhaften Gerichte nachkochen; sie geben Zeugnis vom kulinarischen Reichtum Polens. Aber erst die spielerische und farbenfrohe Gestaltung, zusammen mit den Bildern, die in den Details kleine Geschichten spiegeln, machen aus Kandierte Orangen ein Schmuckstück, in das man immer wieder gerne blättert. Viel Polen und viele Rezepte sind darin zu entdecken. Manche mögen Ähnlichkeiten mit der eigenen Familiengeschichte in der Fremde erkennen. Vor allem aber ist es eine Ode an die Großmütter: an Josefa (Mama Druga), an Julia (Beatas Urgroßmutter) und natürlich Rosa, meine Oma.

Leave A Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert