Heute geht es um die Schweizer Alpküche.
Wer von Feldkirch in südwestlicher Richtung schaut, kann die in etwa 20 km Entfernung liegende Alp Malbun sehen. Jedes Jahr, und so wird es auch 2016 sein, zieht es die Familie Abderhalden Ende Mai dort hinauf. 1700 Meter über dem Rheintal und der Stadt Buchs. Auf der Alp – was gleichbedeutend unserer Alm ist – verbringen sie die Sommermonate mit drei kleinen Kindern und etwa 90 Braunvieh-Kühen. Und jeden Tag fallen ca. 1000 Liter Milch an, die verarbeitet werden müssen. Unsere Vorstellung von der Alm als Ort der Glückseligkeit knüpft an frische Kuhmilch, ein fantastisches Alpenpanorama unter strahlend weißblauem Himmel an. Für die, die eine Alm bewirtschaften, ist es nicht so idyllisch: Das Tagwerk beginnt um 4 Uhr früh, die Kühe müssen in den Stall. Schnell ein Espresso und ein Stück „Zvieri“ vor dem Melken, den man aus der Hand isst. Der Zvieri, eigentlich ein Dessert, ist in der ganzen Ostschweiz als Zimtfladen bekannt und beliebt. Ein Kraftpaket mit viel Zucker. Margrit Abderhalden backt diesen einfach und schnell zuzubereitenden Kuchen immer wieder, und vorbeikommende Wanderer, so vermute ich, bekommen auch ein Stück davon zum Kosten.
Einfach und hochwertig sind die Essen auf einer Alm. Auf das Wesentliche eingegrenzt – gemeint ist, dass vorrangig Produkte die dort im Überfluss vorhanden sind verwendet werden, wie Milch, Butter, Käse und Grünzeug das auf den Almwiesen wächst sowie lagerfähige Zutaten – ist die Almküche eine schnell zuzubereitende, nahrhafte Kost voller Aromen. Das heißt aber nicht, dass die Almküche einfältig ist und jeden Tag das gleiche Essen am Tisch steht. Nein. Alm- bzw. Alpküche ist abwechslungsreich und mitunter überraschend. Wie sehr, das zeigt uns Margrit Abderhalden mit ihrem Kochbuch Schweizer Alpküche, das gerade im AT Verlag erschienen ist.
100 einfache und mitunter deftige Gerichte werden vorgestellt. Deftig im Sinne von nahrhaft oder währschaft, wie es in der Schweiz auch heißt und die Autorin im Untertitel anführt. Da gibt es Hafersuppe, Ziegerhörnli, Heinrich Brötli, Rahmbraten, Fotzelschnitten und einiges mehr. Schmackhafte Gerichte mit einfachen Lebensmitteln zubereitet, die sich für Nichtschweizer nicht unbedingt aus den Rezeptnamen erschließen. Für den weißen Kabissalat mit Speck stellt Weißkohl den Hauptanteil, das Chratzete, eigentlich ein Mehlschmarren der traditionell abends serviert wird, schlüpft besser wenn dazu Kompott oder Salat gereicht wird, und dann der Höibeeri Sturm, eine Offenbarung für alle Schleckermäuler aus Heidelbeeren mit Schlagrahm. Die Aufzählung ließe sich noch fortführen. Hinter manchem exotisch älplerischen Namen steckt dann doch bekanntes. So entpuppen sich die Fotzelschnitten als Arme Ritter und der Kartoffelstock als Kartoffelpüree. Die Zahl der Gerichte, die es überall gibt, hält sich sehr in Grenzen. Herrlich die Stocktätschli mit Chäs jene Kartoffelpuffer mit Käse, die unseren Kaspressknödeln ähneln und doch anders schmecken. Die UHU-Suppe, eine Kräutersuppe verwertet das frische Frühlingsgrün „ums Huus ume“, etwa junge Brennesseltriebe und Guter Heinrich oder Sauerampfer. Auch Talbewohner und Städter können die UHU-Suppe nachkochen, die Zutaten finden sie im Garten oder bei Spaziergängen durch Wald und Wiese. Der Sennäspeck vom Alpsölli ist das Pendant zum Wiener Schnitzel, nur werden in diesem Fall von den Sennern ein Zentimeter dicke Speckscheiben paniert und in Butterschmalz herausgebraten. Und dann gibt es originär schweizerische Älplergerichte wie Senner- und Älplerrösti, aber auch Zunne eine Musvariante, in die geröstete Brotscheiben eingetunkt werden können, oder Nideltäfeli, kleine Karamellwürfel die man nie auf einer Alm vermuten würde. Aber das für mich urtypischste Gericht aus den Schweizer Bergen, das Sie am Ende erfahren werden, sind die Älplermagronen mit Zwiebelschwitze. Auch wenn dieses Gericht eigentlich eine italienisch-schweizerische Koproduktion des 19. Jahrhunderts ist. Das Hörnli-Nudeln-Gericht, ursprünglich in Milch gekocht und am Schluss mit geriebenem Käse vermischt, ändern einige Hausfrauen im Lauf der Zeit hinsichtlich der Zutaten und der Kochabfolge. Heutzutage werden die Hörnli zusammen mit Kartoffeln in Salzwasser gekocht, dann mit Rahm – d.h. Sahne – verfeinert. Und wäre das nicht schon eine „höllische Mischkualanz“ gibt es obendrauf noch geröstete Zwiebel und Apfelkompott. Von Kanton zu Kanton, sogar von Dorf zu Dorf unterschiedlich wird dieses delikate Gericht zubereitet. Einmal werden mehr Kartoffeln verarbeitet ein andermal mehr Hörnli, und in Uri werden die Kartoffeln gar weg gelassen. Einig sind sich jedoch alle: es ist ein besonders gemütliches Essen im Familien- oder Freundeskreis. Meine Söhne können dies bestätigen. Als Nachtisch servierte ich ihnen Gebrannte Creme, das ist selbst gemachter karamellisierter Vanillepudding, die – Sie können es sich vorstellen – ohne Murren gegessen wurde.
Margrit Abderhaldens Schweizer Alpküche enthält viele interessante und leicht nachkochbare Rezepte die Alt und Jung begeistern. Auffällig ist, dass süsse Gerichte einen recht hohen Anteil haben, wie auch Gerichte mit Rahm und natürlich Alpkäse, welchen die Abderhalden in ihrer Sennerei selber herstellen. Hervorzuheben ist auch, dass sich ein Kapitel Rezepten mit altbackenem Brot widmet, ein anderes der Naturmedizin. Da werden Hustensirup, Löwenzahnhonig, Alpenkräutertee und andere Mischungen für gesunde und kranke Tage beschrieben. Am Ende listet Margrit jene Heilpflanzen auf die in ihrer Alpapotheke nicht fehlen dürfen. Nachhaltigkeit wird in der Familie Abderhalden groß geschrieben. Drei eingeschobene Doppelseiten geben einen kleinen Einblick in den Alp-Alltag des Hirten, der Kinder und des Senn. Auch auf Grund der herrlichen Fotos von Veronika Studer, nehmen wir Anteil – überwiegend kulinarischen – am Leben auf der Malbunalp. Ein wunderbares Kochbuch, das uns die Alm ins Tal holt.