Heute geht es um ein Länderkochbuch.
Michael Langoth, Fotograf, Musiker und Koch, ist in der Kochbuchwelt kein Unbekannter. Die in der Edition Styria erschienenen großformatigen Länderkochbücher Il Po und Mekong Food wurden nun um ein drittes Werk erweitert, Spirit & Spice, das sich ganz der südindischen Kochkultur widmet.
Abweichend vom ursprünglichen Konzept, Esskulturen entlang großer Flüsse zu beschreiben, gilt diesmal sein Hauptaugenmerk den fünf südlichen Bundesstaaten sowie Goa und Maharasthraund, die dem Westen Indiens zuzuordnen sind. Sie unterscheiden sich nicht nur geographisch, sondern gehören auch unterschiedlichen Sprachfamilien an. Der Süden, im tropischen Gürtel – also nahe am Äquator – , ist mit zwei Monsunperioden eine äußerst fruchtbare Gegend. Gründe sich dieses heißen Landstrichs anzunehmen, gibt es viele. Südindien, mit ca. 330 Mio Einwohnern, das rund 10 mal so groß wie Österreich ist, ist in einem rasanten Aufbruch. Die Bildungsrate ist höher als im Norden, das Gesundheitssystem besser, die Wirtschaft erfolgreicher. Und es entsteht, schreiben die Langoths (mitgearbeitet haben auch die Töchter Laura und Sarah, die für Foodstylig und Textbeiträge inklusive Recherche verantwortlich zeichnen) im Vorwort, gerade jetzt viel Neues und Interessantes auch beim Kochen (Seite 7). Sie bewegen sich dabei auf Pfaden alter tradierter Kulturformen, ohne die Veränderungen durch äußere Einflüsse und Strömungen aus den Augen zu verlieren. Das Ergebnis ist eine eindrucksvolle Dokumentation. Auch und vor allem weil der fotografische Blick eine respektvolle Annäherung an das Fremde ist. Die in ihrem unmittelbaren Lebensraum abgelichteten Menschen präsentieren sichtlich stolz ihre Kultur, sei es in der Küche, auf dem Markt, beim Arbeiten oder im Gebet versunken. Meisterhaft gelingt es Michael Langoth, Stimmungen einzufangen und die Farben, denn Indien ist ein Fest der Farben.
Nun zum Konzept. Es geht darum, einen Einblick in kulinarische Gepflogenheiten und Kochtechniken zu geben, der sich nicht nur mit einer Ansammlung von Rezepten begnügt. Nein, die Langoths machen es sich nicht leicht. Zunächst wird der Rahmen abgesteckt. Eine erste Annäherung erfolgt über historisch, geographisch kürzest zusammengefasste Beschreibungen. Ergänzt werden diese mit einer chronologisch aufbereiteten Geschichte der Kulinarik, die mit 8000 vor Christi beginnt und im Heute endet. Schlagartig wird uns Lesern und Leserinnen bewusst, welche Bedeutung dieser Subkontinent auch für uns Europäer hatte und hat, etwa als Exporteur diverser Gewürze wie Ingwer, Kreuzkümmel, Kurkuma etc. In weiterer Folge werden, betitelt als Fundamente des Essens, Nahrungs- und Genussmittel hervorgehoben, so Reis, auch Zucker, der eine indische Erfindung ist, und natürlich Gewürze. Letztere sind die Heilmittel der Küche. Vor allem Pfeffer, Ingwer, Kardamom, Kurkuma, Koriander, Chili, Curryblatt, Zimt, Muskatnuss, Gewürznelke, Asant und Tamarinde werden ausführlich im biologischen und volkskundlichen als auch heilkundlichen Kontext beschrieben. Ergänzt werden diese mit wunderbaren, detailreichen Abbildungen jedes einzelnen Gewürzes. Diese Sinfonie der Gewürze wird um weitere 10 ergänzt, allerdings nicht mehr so ausführlich beschrieben. Langsam wird klar, dass ein Geheimnis der südindischen Küche im Würzen liegt. Aber die Grundzutaten sind noch nicht vollständig und so werden sowohl weitere Lebensmittel vorgestellt als auch jene Orte, wo sie ihre Besitzer wechseln. Von der Gurke bis zum Ghee, der geklärten indischen Butter, aber auch berauschenden Betelnuss spannt sich der Bogen dieser Waren, die auf Tages- und Wochenmärkten, in Läden, quasi kleinen Gewürztempeln, feilgeboten werden. Das Geheimnis und der Zauber der indischen Küche liegt eindeutig in den frischen Zutaten. Auf diesen ersten 100 Seiten wird ihre Basis definiert; Orte, Menschen, Lebensmittel, eben jene Zutaten und das lokale Ambiente, die die südindische Kochkultur ausmachen. Diese Rahmengebung schließt ab mit einem Exkurs in die indische Brotkultur. Damit streichen die Autoren die Bedeutung des Brotes in der indischen Küche heraus. Und so werden zunächst zehn von mehr als jenen 200 Fladenbrotsorten, die es allein in Südindien gibt, vorgestellt. Einige kennen wir aus den Indienrestaurants, wie Naan oder Chapati, die auch als Beilagen serviert werden. Idli hier mit Urdbohnen habe ich ausprobiert. Das wie ein Krapfen geformte Reis-Bohnen-Küchlein wird klassisch mit Linsen zubereitet. Die fehlende Idli-Form ersetzte ich durch ein Dämpfsieb. Der Genuss des Idli mit den ebenfalls im Buch beschriebenen Sambar, eine Gemüsesuppe mit Urdbohnen und Tamarinde, sowie Kokos-Chutney ließ – mit Raga-Musik im Hintergrund – leises Fernweh aufkommen.
Anschließend an den Brotabschnitt ist das zweite große Kapitel dem Generalthema Kochtechnik gewidmet, das sich in Prinzipien, Varianten und Rezepte gliedert. Schön übersichtlich werden zunächst jene Dinge in Wort und Bild aufgelistet (Seite 120), die in einer südindischen Küche immer vorrätig sind. Das beginnt mit den drei Grundzutaten Zwiebel, Knoblauch, Ingwer und erweitert sich sukzessive um Fette, Gewürze, Gemüse und andere Nahrungsmittel. Dann folgt eine kleine Hilfestellung zur Frage, wie man eine Zutat ersetzen kann, die man schwer oder nicht bekommt. Etwa den milden Kaschmir-Chili oder Ghee. Letzteres kann durch Butterschmalz ersetzt, oder, hier ein Hinweis für die nächste Auflage, einfach selbst hergestellt werden. Der Rezeptteil ist entsprechend der Hierarchie indischer Esskultur aufgebaut. Zunächst werden diverse Masala gemischt – das sind Saucen bzw. Gewürzmischungen. Sie bilden das Grundgerüst und enthalten fast alle Aromen, die die indische Küche prägen. Und weil die indische Küche eine Aromenküche ist, ist die Anzahl der verwendeten Gewürze weit höher, als wir in unserer europäischen Kochkultur gewohnt sind. Diese stufenförmige Hinführung zum eigentlichen Kochen, d.h. von den Ausgangsprodukten und wahlweisen Mischungen zu Gewürzcocktails, Pasten, Marinaden, Saucen etc. über die Zubereitung diverser Zutaten bis zum Hauptgericht, das ist die Stärke Langoths. Dieses konzeptuelle Ordnungsprinzip lässt so auch individuellen kulinarischen Gestaltungsspielraum zu. Allerdings geraten manchmal Beschreibungen wegen der gebotenen Kürze nahe ans Lexikalische, knappest Formulierte. Das ist selten, wesentlich häufiger finden sich Kommentare wie: „Die Nase ist das wichtigste Kontrollinstrument, denn die wichtigsten Garstufen erkennt man am Geruch. Man röstet Gewürze, bis sie einen bestimmten Duft entwickeln“ oder Vergleiche. So wird die Musik bemüht, um zu erklären, dass „durch das Zusammenspiel von vielen unterschiedlichen Aromen etwas Neues entstehen kann,“ wie Background-Sängerinnen, aus dem Hintergrund tretend zu gleichberechtigten Partnerinnen geworden, etwas Neues performen in einem vielstimmigen Chor gemeinsam mit dem Frontman (Seite 116). Solche Passagen lockern auf, wie auch jene designten Foodabbildungen, die sofort auffallen, etwa die Gemüsesuppe Sambar in grünem Kochgeschirr mit ‚verspielten‘ Elefantenminiaturen im Hintergrund. Die Rezepte sind klar strukturiert mit einer zusätzlichen Leiste visualisierter Zutaten und auf der gegenüberliegenden Seite abgebildet, die Reinkarnation des Beschriebenen. Ich meine natürlich das Foto. Zwischen all den traditionell indischen Rezepten findet sich eine Eigenkreation, Linsen mit Granatapfel (Seite 159), was ich als eine Verbeugung vor dem wunderbaren indischen Subkontinent verstehe, denn hier werden europäische Zutaten mit indischen Kochtechniken zubereitet. Nachgekocht habe ich das Fisch-Masala mit Tamarinde, das auch dem letzten Gewürzmuffel ein Lob auf die indische Küche entlockt. Ein anderes Gericht, Nimakai Rasam, das sind rote Linsen mit Limette, ließ Erinnerungen wach werden an den Geruch, der indische Häuser um die Mittagszeit durchweht. Es schmeckte bei aller Nostalgie traumhaft gut, oder eben gerade deshalb.
Die Rezepte sind thematisch geordnet. Gerichte mit Hülsenfrüchten, Gerichte ohne Saucen, Reisgerichte, die Beilagen wie Raita, Chutneys und Pickles sowie das Süße am Schluss.
Überschaubar an Zahl ergeben diese einen Querschnitt der südindischen Küche. Alu Gobi, ein Kartoffel und Blumenkohl Gericht, das gut in die beginnende Herbstzeit passt, stelle ich Ihnen in den Rezept-Ordner.
Am Ende des Buches aber stehen die Heldinnen der Küche, jene unzähligen indischen Frau- en, die ihre Erfahrungen jahrtausendealter Kochkünste bewahren und weitergeben. Dazu möchte auch das Buch beitragen. Das gelingt diesem schön gestalteten Länderkochbuch hervorragend. Mehr noch. Es erschließt sich uns – dieses für viele vielleicht fremdartige Südindien – mit stimmungsvollen Fotos und exotischen, köstlich mundenden Gerichten.