Heute reisen wir nach KOPENHAGEN.
„Glücklich, wer sich mitten in der neuen Hässlichkeit an das Schöne erinnern kann, das war“, schrieb Johannes Joergensen 1893 über seine Stadt Kopenhagen. Die Zukunft, die er damals heraufziehen sah, die neue Hässlichkeit, die ihm Kummer bereitete, kommt uns inzwischen schön vor. Für den Dichter waren die Boulevardquartiere hässliche Neubauten und die engen Straßen und Gassen der inneren Stadt düster und schmutzig. Wenn Joergensen von Frederiksberg Bakke, einem der wenigen erhöhten Standorte, hinunter auf seine Stadt blickte, dann sah er vor allem Türme: die Turmspitze der Börse, die grüne Kuppel hinter Thorwaldsens Museum, das gekrümmte Dach des Dagmartheaters, den vierkantigen Turm der Nikolaikirche, den Kampanile der Heiliggeistkirche, den tischuhrförmigen Turm der Vor Frue Kirke, von Schloss Christianborg allerdings nur einen langen, grauen Wrackstumpf, denn es hatte dort wieder einmal gebrannt, die grünspanige Kupferspitze Sankt Petris und einige Spitzen mehr. Damals wie auch heute zeigt Kopenhagen keine überwältigende Stadtperspektive. Es gibt keine zentrale Örtlichkeit, die der Umgebung ihren Willen aufdrängt. Kopenhagen ist eine Stadt von Schönheit im Einzelnen. Christianshavn, das Klein-Amsterdam des Nordens, Norrebro, das Arbeiterviertel, die lange Bredgade, eine ehemalige Flaniermeile mit Vergnügungsparks, die vornehmen Straßen der Frederiksstadt und einige Örtlichkeiten mehr muss erkunden, wer Kopenhagen besucht. Am besten mit dem Fahrrad, denn diese Stadt will bis 2025 die erste CO2-neutrale Hauptstadt sein. Heute lassen wir uns von Trine Hahnemann ihre Heimatstadt Kopenhagen zeigen. Es ist eine Führung ohne Anspruch auf Vollständigkeit, eine Rundfahrt in acht Kapiteln, vollgepackt mit sehr persönlichen Geschichten und vielen Rezepten. Eine kulinarische Rundreise also, die Hahnmann uns in COPENHAGEN FOOD präsentiert, das im Verlag Busse Collection erschienen ist.
Die Autorin hat ihr Leben lang in Städten gelebt, vor allem in Kopenhagen. Fast fünfzig Jahre hat sie Verwandlungen und Veränderungen, Geräusche und Gerüche mit her- und wegziehenden Menschen in Dänemarks Hauptstadt bewusst wie unbewusst erlebt. Diesem Ort, der sie beeinflusst und geprägt hat, fühlt sich Trine wie keinem anderen zugehörig. 2018 eröffnet sie Hahnemanns Kokken, eine Synthese aus Bäckerei, Kaffeebar, Lebensmittelgeschäft, Kochschule und Eventlocation. Mehr Nähe zur Stadt geht nicht. Dennoch wird Trine nicht müde, ihr Kopenhagen zu erkunden, zu dem ihr immer neue Geschichten einfallen, die sie uns nun erzählen will.
Es beginnt in Nyhavn & Gammelholm, einem Stadtteil, der von Kanälen und Hafenbecken geprägt ist. Dort verbrachte Trine ihre Kindheit und schaute gerne auf einer Fensterbank sitzend dem Treiben auf der Straße zu. Der Vater ihrer Freundin Susi war Italiener und kochte, bevor er jeden Morgen zur Arbeit aufbrach. Bei ihnen hat sie zum ersten mal gebratene Auberginen gegessen. Auch erinnert sie sich gerne an kobmanden, den Lebensmittelkaufmann, wo die Familie ihre Einkäufe anschreiben ließ und am Ende des Monats bezahlte. Dort kaufte sie sich oft heimlich Mazarin, einen Marzipankuchen mit Schokoglasur. Heute backt sie die Mazariner selber. An süße Naschereien knüpfen sich gerne Kindheitserinnerungen und so wundert es nicht, dass in diesem Abschnitt zwei Leckerli vorgestellt werden. Um die Mazariner mit Schokoladenglasur so hinzubekommen, wie sie in ihrer Kindheit beim Kaufmann schmeckten, dazu bedurfte es vieler Backversuche, die sich über 30 Jahre hinzogen. Auch in einer Muffinform gebacken werden die Honigbomben, die am besten mit gesalzener Butter zum Tee munden. Nyhavn, der neue Hafen hatte einige finstere Zeiten und Niedergänge erlebt. Heute ist diese Gegend renoviert und zur Fußgängerzone erklärt. An alte Zeiten erinnert am ehesten die Bar Hong Kong. Eine neue Fahrradbrücke über den Hafen verbindet diesen Stadtteil mit Christianshavn. Vom Hafen ausgehend, erkundet Trine Hahneman nach Gammelholm zunächst das nördlich gelegene Frederiksstaden und dann Christianshavn im Süden. Mit einem leichten Schwenk geht es ins Zentrum Indre By mit seinem Charme und den berühmten Türmen. Zum Schluss werden die peripheren Stadtviertel erkundet, nämlich Vesterbro & Frederiksberg, Norrebro, Osterbro und das Umland. Das sind gleichzeitig die Kapitel ihres Stadt-Kochbuchs. In einigen Stadtteilen hat sie im Laufe ihres bisherigen Lebens auch gelebt. Bspw. in Indre By bewohnte ihre Familie Mitte der 1990er Jahre eine Wohnung mit so einer kleinen Küche, dass sie immer alles umräumen musste, sobald sie neues Zubehör kaufte. In dieser Wohnung wurde viel gekocht, gebacken, Gäste bewirtet und es wurden Kochbücher geschrieben. Lammbraten mit Kräutern wurden serviert, noch viel öfter Frikadeller, das sind Hackfleischbällchen aus Schweine- und Rinderhack, wie sie wohl überall auf der Welt zubereitet werden. Diese Deller, wie sie genannt werden, sind Klassiker der dänischen Küche und kommen regelmäßig auf den Tisch. Im Falle Trines Frikadeller werden Graupen und köstlicher Kohl in Béchamelsauce beigestellt.
Das vor 130 Jahren gegründete Cafe Europa ist ein Treffpunkt der Kopenhagener. Es liegt günstig, öffnet früh und das Essen ist ausgezeichnet. Dort wird auch Trines Lieblingsfrühstück serviert, eine Eierspeise mit Spinat, die mit Parmaschinken belegt ist. Dazu gibt es Tebirkes oder Mohnteilchen, wie sie wohl auf deutsch heißen. Nicht weit vom Cafe Europa entfernt ist der runde Turm mit seiner stattlichen Höhe von 271 Metern, eingepfercht zwischen den Häusern und einem handtuchgroßen Platz, auf dem ein Büdchen steht, das Bio-Hotdogs anbietet. Unzählige Variationen werden angeboten. Die dänischen Hotdogs schmecken, in der Kombination mit Ketchup, süßem Senf, Gurke, Röstzwiebeln und natürlich Würstchen, jung und alt gleichermaßen gut.
Wer von hier weiter in die Markthalle Torvehallerne zum Einkaufen geht, vorbei an der Bonbonmanufaktur Somods Bolcher mit ihren knallbunten Süßigkeiten, kommt nicht vorbei an Hahnemanns Kokken, wo auf Hungrige eine Roggentarte mit Feta und Porree wartet. Der Teig mit 50 Prozent Roggenvollkornmehl ist sehr knusprig. Mehr als ein halber Kilo Lauch in Ringe geschnitten dominierte dieses Gericht, wären da nicht Feta und Frischkäse, die diesem Klassiker eine griechische Note verleihen. Diese Halle ist voll von Geschäften exquisiter Köstlichkeiten wie A. C. Perchs Thehandel oder der Bioschlachter am Kultorvet dem Kohlenhandel. Dort bekommt man Rilette oder Verhacktes, wie wir Österreicher sagen, um Rilette vom Schwein mit Äpfeln zuzubereiten. Auch den Kalbsschmorbraten bekämen wir dort für Kalbsfrikassee mit Frühlingsgemüse. Aber ich und Sie, wir haben unseren eigenen Metzger und den viel näher, um all die fleischigen Zutaten einzukaufen, die wir benötigen für Benlose fugle, den Vögelchen ohne Knochen, oder Schnitzel mit Appetitsild, Meerettich und Kapern, das nordische Pendant zum Wiener Schnitzel. Aber es wird noch heftiger: Auf die Schnitzel drauf kommen in Butter herausgebratene Kapern und Appetitsild, das sind kleingehackte Sardellen. Die spinnen die Dänen, hätte ich fast gerufen. Aber das Gericht war köstlich!
Wer glaubt, dass Trine nur der Fleischeslust zugetan ist, der irrt. Fisch- und Gemüserezepte finden sich auch im Kochbuch, wenn auch nicht so häufig wie diverse Bäckereien. Der Cavolo nero (Palmkohl) mit Topinambur ist ein Evergreen unter den Salaten, die ‚Brennende Liebe‘ mit Roten Beten, ein leicht abgewandelter nordischer Klassiker, der das kulinarische Verlangen stillt. Ich habe die Brennende Liebe meiner Dulcinea serviert und … nein, mehr wird hier nicht verraten.
In welchem Zusammenhang die Rezepte mit den Kapiteln, d.h. Stadtteilen stehen, konnte ich nicht erkennen, bis auf wenige Ausnahmen. Es sind auch die Gerichte nicht per se Kopenhagener, sondern vielfach dänische Spezialitäten, die manchmal einen Schuss Trine’sche Weiterentwicklung enthalten oder global beeinflusst sind. Auch vom Milchreis gibt es unzählige Variationen und landestypisch geprägte Formen. Unter Viererlei werden schnelle Schüsselgerichte vorgestellt, die neben Ollebrod, Apfelmus, Rote Grütze auch ein Milchreisrezept enthalten. Das musste ich mit meinem Sohn Benjamin unbedingt verkosten. Allein schon die Zubereitung erstaunte uns – weil der Reis zuerst in Wasser aufgekocht wird und dann die Milch dazukommt – wie auch das Mengenverhältnis von Flüssigkeit und Reis. Das Ergebnis beeindruckte uns mit seiner sämigen Konsistenz und dem gehaltvollen Aroma. Allein dieser Milchreis verführt mich zu der Behauptung, dass Trines Rezepte immer wieder für Überraschungen gut sind.
Ohne zahlenmäßig zu vergleichen, habe ich den Eindruck, dass Gebackenes wie Brötchen, Kuchen und Schnitten häufig vertreten ist. Generell jedoch ist ein guter Mix der Alltagsküche vorhanden. Alle Rezepte sind schön bebildert, wobei der Fotograf es versteht, selbst trivial Einfachem seine Bedeutung zu verleihen, wie es beim weich gekochten Ei mit Roggenbrot zu sehen ist. Das geköpfte Ei im Eierbecher mit Zwiebelmuster aus Meissen Porzellan sieht einfach gut aus.
Das Format ist handlich und benutzerfreundlich.
Mit diesem City-Kochbuch verknüpft Trine Hahnemann Stadtspaziergänge und Rezepte miteinander: eine wunderbare Idee. Ob nun die Rezepte in Kopenhagen oder umgekehrt eingebettet sind, bleibt einerlei. Wer sich darauf einlässt, wird fasziniert von einer modernen Stadt mit historischem Flair, interessanten Menschen und Esserfahrungen, die nicht ganz fremd und doch anders sind. Ob Sie nun in Ihre Küche aufbrechen oder nach Kopenhagen, COPENHAGEN FOOD gehört ins Gepäck.