Heute reisen wir nach SALZBURG.
Wir begeben uns in der Mozartstadt auf die Suche, … nein nein, nicht nach Mozartkugeln … sondern, wir heften uns auf die Spuren eines bekannten Kochs der Festspielstadt. Deshalb besuchen wir das Gasthaus Weiserhof, das im Stadtteil Schallmoos nahe dem Bahnhof liegt. Dort wird seit Jahren gehobene Küche angeboten, auch traditionelle, frei nach dem Slogan heimatverbunden, bodenständig, ehrlich. Eine Losung, die sehr viel mit unserer Zielperson zu tun hat. Roland Essl, der Haubenkoch aus Leidenschaft, verantwortete dort über viele Jahre das leibliche Wohlergehen der Gäste, prägte eine Küche der Heimat. Den Kochlöffel übergab der Starkoch nun an Jüngere, um fortan noch intensiver seinen kulinarischen Wurzeln nachzuspüren. Wann immer er Gelegenheit hat, sucht er die Bergdörfer des Salzburger Landes auf, schwätzt mit den Bäuerinnen über Gerichte, die sie von Generation zu Generation weitergeben. Er sammelt diese Rezepte, wohl wie andere Briefmarken. Einige davon sind in seinem Kochbuch abgedruckt. Geschmackssache, wird er sich vielleicht gedacht haben, als er ‚Hoargneist Nidei‘, ‚Stinkerknödel‘ und andere Kuriositäten mit auf die Liste der Rezepte setzte. Alles in allem sind es Schätze, die er einem größeren, kulinarisch interessierten Publikum zugänglich machen will. Mehr noch: Roland Essl hat eine Vision. Er will alte Rezepte bewahren, beleben wie auch bewährte Rezepte aus seiner langen Kochlaufbahn weitergeben. Dafür hat er nochmals recherchiert, ausprobiert und überarbeitet, wenn es sein musste – jedes einzelne Gericht. Entstanden ist ein Kompendium von 300 Rezepten, die hundertprozentig funktionieren. So sieht es zumindest der Verlag Anton Pustet, der Essls Geschmackssache herausgab.
Essls Anspruch ist sehr hoch. Soll sein Werk doch ebenso zum unverzichtbaren Küchenhelfer wie die Kochutensilien werden. Als Ideengeber, als Nachschlagewerk, als Inspirationsquelle, als Bewahrer kulinarischer Wurzeln, als moderne Kochschule. Entsprechend ist es auch aufgebaut. Im einführenden Kapitel kommt das Grundlegende zur Sprache. Da sinniert Essl über die zwei Küchentypen, Design oder Werkstatt, um folgerichtig auf das Wesentliche der Küche hinzuweisen. Die Küche verstanden als Ort der Kommunikation, ein Arbeitsplatz, an dem viel Zeit verbracht wird. Dementsprechend ist fast alles auf Funktionalität abzustimmen. Das beginnt bei der Architektur, setzt sich fort mit Überlegungen zur Grundausstattung an Kochgeschirr, Küchenmessern und -geräten sowie weiteren Kochutensilien. Dann erklärt er kurz und bündig fachchinesische Begriffe wie Abschrecken, Amuse-Geule, Nappieren, Parüren und andere. Etwas ausführlicher geht Essl dann auf Küchenweisheiten, Tipps & Tricks ein und endet mit nützlichen Umrechnungstabellen. Dieser theoretische Teil ist o.k., denn wir haben es nicht mit einem Lehrbuch der Küche, wie bspw. den Pauli, zu tun. Anders verhält es sich mit den Rezepten, da gibt es durchaus auch einen pädagogischen, belehrenden Anspruch, wie ich herauszulesen meine. Geschmackssache sollte im gewissen Sinne eine Schatztruhe für erfolgreiches Kochen sein. Moderne Rezepte für jeden Anlass enthalten.
Essl strukturiert sein Kochbuch nach drei Aufgabenbereichen, die gleichzeitig die Hauptkapitel sind. Diese Aufteilung gefällt mir sehr gut. Da haben wir also die Schnelle, die Bodenständige und die Feine Küche. Innerhalb dieser drei Kategorien ist die Gliederung wiederum klassisch strukturiert in Vor-, Haupt- und Nachspeisen.
Im Abschnitt Schnelle Küche werden 16 Gerichte beschrieben, die im Handumdrehen und ohne viel Aufwand fertig sind. Im zweiten, dem bodenständigen Essen verpflichteten Abschnitt, finden sich die meisten erprobten Rezepte für den Hauhalt. Eine Sammlung, die sich verschiedenster Quellen bedient. Von der Rezeptkartei, der Wirtshausküche sowie Grundrezepte und tradierte regionale Schmankerln wie bspw. das Lungauer Hasenöhrl. Übrigens kennen wir in Tirol auch Hasenöhrl, nur heißen sie hier Kirchtagskrapfen. Und statt Buttermilch und Sauerrahm wird für die hiesige Variante Milch und Öl verwendet. Die restlichen Teigzutaten sind gleich, nämlich Mehl, Ei und Salz.
Im dritten Teil kommen dann vor allem Kochanleitungen aus Reinhard Gerers Restaurant Korso zur Anwendung. Symphonien der Gaumenfreuden, die das Zusammenspiel einzelner Aromen betonen, wie Essl die Rezepturen der feinen Küche im Vorwort beschreibt. Manchmal ohne Mengenangaben, wie bei den sautierten Steinpilzen mit getrüffelten Butternockerln. Hier kann sich jede und jeder als Maitre de Cuisine beweisen.
Die Parmesannudeln kochte ich nach. Sie bekommen mit dem untergeschlagenen Schlagobers wirklich eine feine Note. Essl arbeitete zwei Jahre lang als Chef-Saucier im Restaurant Korso, dementsprechend große Aufmerksamkeit widmet er den Fonds und Saucen in diesem Kapitel. Wissend, dass in den meisten normalen Haushalten dem mise en place, dem vorbereitenden Kochen, zu wenig Beachtung geschenkt wird. Das ist aber die Grundvoraussetzung für die gehobene Küche. Bei den Fonds und Saucen vermisse ich einen Verweis, wo – bei welchen Gerichten – sie zur Anwendung kommen. So werden bspw. die gebratenen Perlhuhnbrüstchen mit Perigord Trüffel erst mit einer Trüffelsoße vollkommen.
Im Hauptkapitel, dem Bodenständigen verpflichtet, steckt Essls ganze Leidenschaft. Denn, gepflegte Alltagsküche ist Kunsthandwerk und daran soll man ständig arbeiten, ist ein Stehsatz des Autors, der sich selbst als kulinarischen Tiefwurzler sieht. Über Vorspeisen, Salate, klare Suppen und Einlagen, Gebundene Suppen, Fisch, Fleisch und Geflügel, Innereien, Würste und Eintöpfe, Gemüse und Pilzgerichte, Nudeln und Risotto, Knödel und Nockerl, Krapfen und Strudel, Süße Hauptspeisen, Beilagen, Soßen, kalte Nachspeisen, warme Nachspeisen, Kekse, Teige und Massen sowie Sonstiges, wird die ganze Alltagsküche aufbereitet. Das sind weit über 200 Rezepturen.
Generell enthält jedes Rezept Angaben zur Anzahl der Portionen, zudem aktiven bzw. passiven Zeitaufwand wie auch Schwierigkeitsgrad nach einer vierteiligen Skala von superleicht bis aufwändig. Manchen Abhandlungen wie bei den Salaten oder beim Brot helfen erklärende Einführungen, manche Kochschritte besser zu verstehen. Z. Bsp. sollte man den Salat zweimal waschen. Dann am besten in einer Salatschleuder trocken schleudern. Jetzt wird er mit Salz, Pfeffer und Zucker gewürzt. Der Zucker ist wichtig, er senkt die Säurespitze des Essigs und mildert die Bitterkeit mancher Salate. (…) Um den Salat aufzuwerten, schneide ich Tomaten, Gurken oder Paprika hinein. Auch in Olivenöl angebratene Zucchinischeiben sind sehr bekömmlich … Beim selbst gebackenem Brot werden eher allgemeine Informationen weitergegeben, von denen die meisten bekannt sein dürften. Dass Essl mitunter auch verzichtbare Erklärungen wiedergibt, zeigt der Punkt Teig kneten. Da heißt es: Mit der Hand Brotteig zu kneten ist eine mühsame Arbeit. Das geht am besten mit einer Küchenmaschine oder mit dem Handmixer und dem Knethaken. Dagegen fehlt es mE manchmal an ergänzenden Erklärungen. Warum mischt er bei einigen Broten zwei verschiedene Mehle zusammen, bei anderen nicht, wie dem Bierbrot wie auch Milchbrot.
Bei den Buchteln verwendete ich bisher die üblichen Zutaten Germ, Milch, Weißmehl, Zucker und Butter nach einem serbischen Rezept, dem klassischen Germknödel ähnelnd mit österreichisch-ungarischen Einfluss. Essl mischt glattes und griffiges Mehl zu gleichen Anteilen und verfeinert den Teig durch Zugabe von Sauerrahm und Schlagobers. Die Buchteln waren überhaupt nicht trocken und wurden von meinen Testessern mit der Note sehr gut in höchsten Tönen gelobt.
Dass sich in der breiten Masse der Rezepte Raritäten verstecken, könnte man als Besonderheit dieses Kochbuchs werten. Dazu gehören die schon erwähnten Hoargneist Nidei und die Stinkerknödel als Ausdruck alter regionaler Gerichte. Die beiden werden hofiert und erklärt, weniger bekannte Gerichte wie der gedünstete Ochsenschlepp oder die Kukuruzcremesuppe erschließen sich nur den Kennern. Essl hätte im Vorwort ausführlicher auf lokale kulinarische Eigenheiten eingehen können. Erschwerend kommt hinzu, dass bspw. der Ochsenschlepp nicht unter O verzeichnet ist, sondern unter g wie gedünstet. Das Rezeptregister ist überhaupt eine Schwachstelle dieses Kochbuchs. Wenn schon der Wunsch und Anspruch des vielen Benutzens von Geschmackssache in der Küche gestellt wird, dann muss der Rezeptindex gründlich überarbeitet werden. Brot als allgemeiner Begriff existiert nicht im Verzeichnis. Das trifft auch auf andere wie Knödel, Salat etc. zu. Auch existiert keine Maissuppe, aber sehr wohl eine Suppe aus Kukuruz. Da hilft mir auch das Glossar österreichisch – deutsch nicht weiter. Und wenn dann beim Hesperidenessig als deutsches synonym österreichische Essigspezialität angeführt wird, anstatt Branntweinessig, dann hat hier das Lektorat versagt. Wie auch beim Kaiserschmarren, der sich bloß als Mehlschmarren mit Rosinen entpuppt, fehlt ihm doch der untergehobene Schnee.
Dennoch: Roland Essl hat mit Geschmackssache eine respektable, umfangreiche Rezeptesammlung vorgelegt. Ich hätte nie Ritschert kennen gelernt, ein altes kräftiges Eintopfgericht aus Bohnen, Rollgerste, Gemüse und Geselchtem. Auch die Holzhacker-Grießnockerln in der Variante mit dreierlei Grieß, Polenta, feiner und grober Weizengrieß, wären spurlos an mir vorübergegangen. Ein großer Pluspunkt ist auch die gute Alltagstauglichkeit der Rezepte, was auch mit den Zutaten zu tun hat, die weder exotisch sind noch spezielle Geräte benötigen.
Roland Essl hat durchaus Humor, was man auf den fünf Schwarzweiß-Fotos sieht, die ihn im Kampf mit Strudelteig zeigen. Dass es keine Bilder von den Rezepten gibt, ist nicht mal von Nachteil, sondern eher eine Herausforderung an die Anwender des Kochbuchs. Beim Durchblättern wird man schnell fündig, vertieft sich immer wieder in die Rezepturen, wägt ab und lässt sich inspirieren. Jedenfalls ist es mir so ergangen. Und das ist ein gutes Zeichen. Profitiert davon hat auch mein Enkel Jakob, für den ich die Pinzgauer Topfennudeln langsam in Butterschmalz goldbraun briet. Und wie sie uns geschmeckt haben, zusammen mit Preiselbeermarmelade!