Lutz Geissler, Brot backen in Perfektion

Das Plötz-Prinzip*! Vollendete Ergebnisse statt Experimente.

Fotografiert von Hubertus Schüler.
Becker Joest Volk Verlag, Hilden, 2016, 192 Seiten, 29.95 Euro
ISBN 978-3-95453-104-2
Vorgekostet

Heute reisen wir ins BROTLAND.

Nirgendwo ist der Heißhunger nach Brot und Gebäck so groß wie in Deutschland. Etwa 300 Brotsorten konkurrieren um die Gunst am Frühstückstisch, für die Jause, als Beilage oder Zwischendurchmahlzeit, mit oder ohne Butter. In unser aller Erinnerung ist die krachende Kruste, Markenzeichen für ofenfrisches Brot direkt vom Bäcker. Der Inbegriff für gutes Brot. Doch das wird immer rarer, denn das Bäckersterben hält unvermindert an. Hier hilft Beten auch nicht mehr. Aber irgendwie kommen wir immer noch an unser täglich Brot, das Er gibt uns heute. 75 kg Brot kaufen wir ÖsterreicherInnen durchschnittlich pro Jahr ein. Davon wird etwa ein Viertel weggeworfen – zu trocken, zu alt, zu hart. Das betrifft vor allem industriell gefertigtes Brot. Dagegen kämpft Lutz Geissler an. Es bereitet ihm Bauchschmerzen, wie mit Brot umgegangen wird, sowohl von Seiten der Produzenten als auch der Konsumenten. Denn, mit sinkender Wertschätzung fällt auch die Brotqualität. Was aber macht gute Brotqualität aus? Das ist eine gute Frage und wahrscheinlich die einzige, die selbst Brotspezialisten nicht allgemein gültig beantworten können. Zu individuell verschieden sind die Geschmäcker und Vorlieben an Brot. Dennoch hält Lutz Geissler an der These vom guten Brot fest und tritt den Beweis mit einem neuen Brotbackbuch an. Brot backen in Perfektion ist im Becker Joest und Volk Verlag erschienen. Es liefert vollendete Ergebnisse, wie es im Untertitel vorwegnehmend weiter heißt.

Geisslers jüngstes Brotbackbuch wendet sich in erster Linie an Anfänger bzw. Einsteiger. Aber nicht nur. Es richtet sich an all jene, die gutes Brot selber backen wollen und dem Brot Zeit geben. Zeit, das Mehl für unsere Verdauung aufzuschließen und die charakteristischen Aromen zu entwickeln. 69 Rezepturen werden vorgestellt. Vorab aber wird die Basis fürs Brotbacken geschaffen. Da geht es zunächst um Prinzipielles und Machbares: Arbeitsrhythmus, Reduktion auf das Wesentliche, denkbare Varianten des Brotbackens, Bio aus Überzeugung. Dann werden potenzielle Werkzeuge vorgestellt, die kein Muss sind. Aber mit zunehmenden erfolgreichen Brotbackversuchen kommen die Begeisterung und der Wunsch nach Gärkörben, Ofenhandschuhen, Backstein usw. Das kann ich Ihnen versichern. Einem Exkurs mit Topfbacken folgt die Einführung in die Zutaten, die man fürs Brotbacken benötigt. Nicht viel, in erster Linie Mehl, Wasser, Salz und Hefe. Äußerst knapp bleibt Geissler in der Ausführung, lediglich über die Mehlsorten erfahren wir mehr. Und schon folgen die ersten Arbeitsschritte für einen 24 Stunden reifenden Teig, schön aufbereitet als Fotogeschichte. Ausführlich erklärt der Autor das Dehnen und Falten des Teiges. Das ist eines der Erfolgsgeheimnisse für gutes Brot. In weiterer Folge geht Geissler noch auf einige spezielle Punkte ein. Etwa wie man größere Teigmengen, bis zu 5 kg, managt. Was es bringt, mit Vorteig zu arbeiten oder mit Dinkel und überhaupt anderen Getreidesorten. Da verändern sich nicht nur die Mengenverhältnisse, sondern auch die Backbedingungen. Geissler erklärt das hervorragend, mit einfachen Worten für jeden Brotbackneuling verständlich und nach- vollziehbar. Ein Beispiel gefällig! Was ist zu beachten, wenn man ein beliebiges Brotrezept auf Vollkornmehl umbaut? Dazu schreibt er: Bedenken solltest du nur, dass Vollkornmehl mehr Wasser aufnehmen kann. 5 % mehr Wasser kannst du auf jeden Fall einplanen. Außerdem gehen Vollkornteige viel schneller auf. Deshalb reduziere die Hefemenge um rund ein Drittel, damit der Teig nach 24 Stunden optimal aufgegangen ist. Dann verweist er auf das Rezept des Weizenvollkornbrot.

Lutz Geissler ist ein sehr praktisch veranlagter Mensch, scheint mir. Und so finden sich in diesem Brotbuch auch einige nützliche Helferlein. Bspw. eine Rezepttabelle für unterschiedliche Backmengen oder eine Schablone zum Abschätzen der Hefemenge am Anfang und Ende des Buches. Letzteres funktioniert erstaunlich gut. Mehrfach habe ich zu Kugeln geformte Frischhefe im Zehntelgrammbereich zunächst mit dieser Schablone gemessen und dann mit einer Löffelwaage kontrolliert. Es passte immer.

Einige Rezepte habe ich ausprobiert. Innerhalb kürzester Zeit wurde Brotbacken fast zur Routine. Es sind einfache Rezepte, reduziert auf das Wesentliche und einzigartig im Geschmack. Das Weizenbrot verträgt meines Erachtens etwas mehr Salz. Aber das muss jeder selbst herausfinden. Ob Dinkelbrot, Kartoffelbrot mit gekochten Kartoffeln Möhrenbrot, Buttermilchbrot, Zwiebelbrot, uriges Wurzelbrot, sie alle waren innerhalb kürzester Zeit aufgegessen. Auch als Mitbringsel waren die Brote nach dem Plötz-Prinzip* gebacken ein Hit. Mir hat vor allem das Dreikornbrot mit Butter und ein Stück Käse bestens gemundet. Das Rezept ist im Rezept-Ordner eingestellt.

Wer sich der Herausforderung, selbst Brot zu backen, stellen will, ist mit Lutz Geisslers Brot backen in Perfektion bestens bedient. Locker und verständlich geschrieben, garniert mit vielen Tipps und Anregungen, so offeriert uns der Text die Faszination des Brotbackens. Es ist ein Brotbuch, mit dem jeder und jede die Kunst des Brotbackens erlernen kann. Es braucht nur eine Struktur und schon ist der Aufwand überschaubar gering. Lange Reifung und handgemischt ist nicht gleichbedeutend mit viel Arbeit. Das vermittelt der hochspezialisierte Hobbybäcker Lutz Geissler bestens. Die Lust am Teig, das Erlebnis des Knetens, das selbst Gebackene auszukosten, werden real.

In diesem Brotbackbuch steckt ein großer Erfahrungsschatz jahrelangen Ausprobierens und Herumexperimentierens. Wunderbar abgelichtete Brote und Kleingebäck sowie Fotostrecken von Arbeitsprozessen von Hubertus Schüler geben diesem Brotbackbuch den letzten feinen Schliff.

* Plötz ist ein fiktiver, virtueller Bäckerlehrling, der den Brot-Blog Lutz Geisslers am Anfang als Strichmännchen begleitete. Inzwischen braucht Geißler den Plötz nicht mehr als Pausenfüller, und das Männle hat das Weite gesucht. „Der Name ist geblieben, auch mein eigener Spitzname, wenn es ums Backen geht“, heißt es im Plötzblog. (Heide Driesner)