Niteen Gupte, Sharayu Gupte, Nicht ohne Teufelsdreck!

Eine Kastenküche aus dem indischen Westen

Übersetzt aus dem Maharathi von Niteen Gupte
Die Kommentare und Ergänzungen stammen ebenfalls von Niteen Gupte
Mandelbaum Verlag, Wien, 2021, 200 Seiten, 25.-- Euro
ISBN: 978-3-85476-899-9
Vorgekostet

Heute reisen wir nach INDIEN.

Indien ist ein Land der Gewürze. Der Gewürzhandel hat dort eine lange Tradition, seltene Würzmittel waren vor allem entlang der Seidenstraße ein begehrtes Handelsgut. Die Engländer gründeten im 16. Jahrhundert deswegen die Ostindiengesellschaft, um sich das Handelsmonopol in Südasien zu sichern, dann unterwarfen sie große Teile des Subkontinents als Kolonie. Während sich die Herrschaftsordnungen im Laufe der Jahrhunderte änderten, blieben die Küchen Indiens mit ihren berühmten exotischen Gewürzmischungen immer gleich. Gewürze beherrschen die indischen Gerichte und bilden zusammen mit den Zutaten unbekannte Geschmacksnoten. Das reicht von geheimnisvoll und abwechslungsreich bis unerträglich scharf für westliche Gaumen.

Indische Mahlzeiten lassen sich in der Regel einfach und schnell zubereiten. Unzählige Kochbücher über die indische Küche versuchen, uns das zu vermitteln. Aber mit den Indien-Kochbüchern verhält es sich ähnlich wie mit dem Kaschmir-Safran, es gibt viele schlechte Indien-Kochbücher …  Aber halt, im Länderküchenregal macht sich ein kleines Büchlein bemerkbar. Fast schüchtern und unscheinbar, eingezwängt zwischen wuchtigen Buchrücken, macht sich die Kastenküche aus dem indischen Westen von Niteen und Sharayu Gupte bemerkbar. Nicht ohne Teufelsdreck!, so der Titel, ist in der Reihe feine gourmandisen im Mandelbaum Verlag erschienen. Ein Kochbuch ohne Fotos, mit wenigen schlichten Zeichnungen und sehr viel Text über die Kochtraditionen der Maharathi.

Als Grundlage für dieses Kochbuch diente die Rezeptsammlung von Sharayu Gupte, die sie für ihre Enkelinnen in Wien verfasste. Es ist eine Sammlung traditioneller Gerichte, wie sie in Westindien tagtäglich zubereitet werden. Speisen, die in der Familie Gupte häufig auf den Tisch kamen. Kurioserweise war ein Wienaufenthalt der Startschuss zu diesem Kochbuch. Frau Sharayu Gupte, die in einem Bioladen Sago einkaufte, wurde von der jungen, neugierigen Verkäuferin gefragt, was man mit Sagomehl noch anderes außer matschigem Kinderbrei kochen kann. Die Folge war ein Aufklärungskurs in Sachen Sagoverarbeitung für einige wenige Wienerinnen. Und auch das ist kurios: Sago stammt ursprünglich aus Papua-Neuguinea und wurde in Indien eingeführt. Jedenfalls gab dieser Sagokochkurs den Impuls für das Kochbuch, ein Unterfangen, das gleich mehrere Familienmitglieder mit einbezog. Von der Urgroßmutter stammt ein Beitrag über Riten und Diät für die Mütter im Wochenbett. Ethnologisch interessant, gibt es doch einen guten Einblick in die soziale Gemeinschaft der Marahathi-Schreiber, Cadraseniya Kayastha Prabhu, kurz CKP. Die Kaste wird hier als endogame, lose vernetzte Berufsgruppe verstanden, deren Zusammenhalt durch den gemeinsamen Beruf und die Brot-Braut-Beziehung gewahrt wird, also durch das gemeinsame Speisen und Untereinander-Heiraten.

Die Einführung in die CKP-Küche verdeutlicht die Unterschiedlichkeit der regionalen Küchen Indiens. Die Küche auf dem indischen Subkontinent ist regional und religiös geprägt. Bspw. verweist die Verwendung von Milchprodukten in würzigen Gerichten auf die Küche der Mogul Herrscher in Delhi und Agra, im Norden Indiens prägt Panhir, ein Frischkäse die Kochambitionen, während gegrilltes Fleisch und Gemüse in der Punjabi-Küche, im Bundesstaat Punjab dominiert, usw. Und wer glaubt, dass es in den europäischen Indien-Restaurants die echte Küche gibt, irrt. Da sind die „indischen“ Speisen angepasst, weniger flüssig und milder gewürzt. Und richtig indisch essen heißt, am Boden sitzend mit der rechten Hand die Speisen zu verzehren. Die linke Hand ist unrein und Tabu.

Aus der sehr langen Einleitung erfährt man viel Wissenswertes über die Kultur der Schreiberkaste, ihre Küche im Kontext religiöser Vorstellungen, etwa wie der Opferteller arrangiert wird. Aber auch welches Kochwerkzeug in der Küche verwendet wird, bspw. das Universalmesser mit Küchenraspel, genannt ‚Wili’ oder ein in unserer europäischen Vorstellung banaler Trinkbecher. Aber jede Person hat seinen eigenen Becher und das ist insofern wichtig, da es dabei immer auch um die Vorstellung von Reinheit geht. Das Trinken aus einem Becher geschieht, ohne ihn mit den Lippen zu berühren. Und nichts ist den Indern fremder als das gemeinsame Essen von einem Teller. Eine Pfanne Mus in der Mitte des Tisches, aus der alle gemeinsam essen, was wir in unserem bäuerlichen Kulturkreis kennen, ist ein No Go in Indien.

Richtig los geht es dann mit der Vorstellung der Kokosnuss, da tauchen wir ein in die Maharathi-Kochkultur. Die gesamte Kokospalme kommt dort dem Haushalt zugute. Das Fleisch der Kokosnuss ist allgegenwärtig, getrocknet oder frisch. Geraspeltes frisches Kokosfleisch, Caw genannt, wird für süße Füllungen verwendet und auf gegarte Speisen verteilt, ähnlich wie Parmesan auf Nudelgerichte. Um gebratenes Kokosfleisch zuzubereiten, benötigt man lediglich getrocknetes Kokosfleisch, Zwiebel und Öl. Aber woher beziehen wir Kokosfleisch bzw. Kokosnuss? In Asialäden findet man vor allem getrocknetes Kokosfleisch, das intensiver ist als frisches, und sonst bleibt noch das Internet.

Wesentlich wichtiger sind allerdings in der Maharathi-Küche die Gewürze und Kräuter, die zu geriebenen Pasten (Watan) oder vorgebratenen Gewürzen (Phodni) verarbeitet werden. Sie sind essentiell, ohne sie wird fast gar nichts gekocht. Während Salz und frischer Pfeffer auf fertige Speisen gestreut werden, werden alle anderen Gewürze mit gekocht. Phodni, die gebratenen Gewürze, sind vielleicht das wichtigste Merkmal diverser indischer Küchen überhaupt. Der Standard Phodni, bestehend aus schwarzen Senfkörnern, Asafoetida, das ist Asant, Kreuzkümmel und Öl, wird immer frisch gemacht und kann in der Zusammenstellung leicht variieren. Von den Gewürzmischungen ist wohl Garam Masala die bekannteste, die Sharayu aus 21 Zutaten herstellt, von denen die scharfen Chilischoten, Koriander- und Kreuzkümmelsamen besonders herausstechen. Diese wenigen Seiten über die Gewürze und deren Verwendung machen aus diesem Kochbüchlein bereits ein wertvolles Nachschlagewerk. Klar und deutlich werden die Basics der Maharathi-Küche vorgestellt, wird die besondere Bedeutung von Asafoetida, auch Stinkasant genannt, hervorgehoben. Und nicht von ungefähr heißt es im Titel ‚Nicht ohne Teufelsdreck!‘, denn so wird Asafoetida auch genannt. In weiterer Folge werden im Grundsatzkapitel noch Mehl, geröstete Mehlmischungen, Öle und Speisefette, Säuerungsmittel wie Tamarindensaft oder Garcinia Indica und Zucker vorgestellt. Erst jetzt tauchen wir ein in das eigentliche Kochen. Dabei arbeitet sich die Köchin Sharayu Gupte an den wichtigsten Zutaten entlang bis zu den abschließenden Kapiteln, die sich den Zu- und Süßspeisen widmen. Unter Zuspeisen werden sowohl Chutney, Pickle und pikante Delikatessen aus dem Vorrat wie auch Gemüsepürees und Salate gezählt. Ein eigenes Kapitel ist dem Frühstück und den Zwischenmahlzeiten gewidmet. Zwischen diesen letzten Kapiteln sind Texte eingebettet, die uns diese so fremde Kultur näher bringen sollen.

Vorrangig aber interessiert uns das Essen. Hülsenfrüchte haben in der indischen Esskultur einen wichtigen Stellenwert. Sie sind neben Reis, Hirse und Weizen im Bundesstaat Maharashtra das wichtigste Lebensmittel. So wird als Zutat zum Kochen und Panieren ausschließlich Kichererbsenmehl verwendet. Die Soße mit Kichererbsenteigschnitten wie auch das Kichererbsenpüree brachten eine interessante Abwechslung in unseren Essensalltag. Spannend und erfrischend finde ich die verschiedenen Gemüserezepte. Drei Variationen mit Okraschoten oder gedünsteter Melanzanie wie auch die verschiedenen Arten der Weißkohlzubereitung bringen einfach neues Leben in die Gemüseküche. Besonders gut geschmeckt hat nicht nur mir, sondern auch einer illustren Gästeschar der gebratene Blumenkohl mit Soße. Ein wunderbares Gericht mit erstaunlich neuen Geschmacksnoten. Wenn auch mit Tomaten in der indischen Küche eher selten gekocht wird, die Tomatensuppe mit Kokosmilch und Korianderkraut war mir ein Versuch wert, den ich nicht bereut habe.

Ein kurzes Kapitel gilt den Fisch und Meeresfrüchten, was vielleicht auch den Stellenwert dieser Nahrungsmittel in der Esskultur der Maharthi ausdrückt. Dafür wird den diversen Getreidesorten wesentlich mehr Platz eingeräumt. Allein die verschiedenen Arten, Reis mit Bockshornkleesamen, mit Erbsen, mit Mungobohnen usw. zuzubereiten, lässt den Einfallsreichtum der Köchinnen erkennen. Sparsam hingegen an Rezepten war die Autorin mit der Zubereitung von Weizenfladen, mit nur zwei Anleitungen – geröstete Weizenfladen und ausgebackene Weizenfladen -, wenn man bedenkt, dass die indische Küche eine Vielzahl an Brotsorten bereit hält. Und wenn bei uns der Milchreis alle Kinderherzen höher schlagen lässt, so darf in Indien der süße Kokosreis auf keinem Kokosnuss Fest, zum Ende der Monsunzeit, fehlen. Diese Süßspeise wird vor allem in den Küsten angeboten.

Nicht ohne Teufelsdreck! von Niteen und Sharayu Gupte ist ein kleines Juwel. Nicht nur dass die Autorinnen Zubereitungsarten von Gemüse, Hülsenfrüchte und Getreide vorstellen, wie wir sie in unseren Breitengraden nicht kennen, nein, sie stellen uns auch eine Esskultur samt sozialen Bräuchen der indischen Kaste der Schreiber vor, was viel Staunen hervorrief. Wer sich auf die für uns ungewohnte Art der Essenszubereitung einlässt wird sich wundern, welche Aromenvielfalt die westindische Küche bereithält. Also, haben Sie Mut und probieren Sie die Kochkultur der Maharathi aus!