Daniel & Herbert Hintner, Richtig gut vegetarisch

Alpin-mediterrane Genüsse aus Wald, Feld und Garten

Fotos von Frieder Blickle
Folio Verlag, Bozen - Wien, 2021, 216 Seiten, 30.- Euro
ISBN 978-3-85256-842-3
Vorgekostet

Heute reisen wir nach EPPAN.

In ein Dorf weit im Süden Südtirols, dessen Name von einem alten Adelsgeschlecht abstammt. Tourismus und Weinbau prägen das Landschaftsbild in Überetsch. Im Ortsteil St. Michael wohnen und betreiben die Familie Hintner das Restaurant ‚Zur Rose‘, das weit über die Dorfgrenzen hinaus bekannt ist. Über den Patron, Herbert Hintner, schreibt Jürgen Dollase: Er ist die vielleicht wichtigste Figur für einen wundervoll zeitgenössischen Küchenstil, in dem sich Regionalität und moderne Küchenstruktur aufs Nützlichste begegnen. Heimat erlebbar machen ist jene Steilvorlage, der sich Herbert und seine Kochbrigade tagtäglich stellen. Sowohl in der Küche als auch in seinen Kochbüchern. Das aktuellste widmet sich der vegetarischen Küche, aber das wäre zu wenig, daher geht es diesmal um Richtig gut vegetarisch, wie es der Titel verspricht. Zusammen mit seinem Sohn Daniel präsentiert Herbert Hintner 89 Rezepte, in welchen bekannte und weniger bekannte Gemüsesorten die Hauptrolle spielen. Das Arbeitsmotto lautet: Kochen, was Freude macht, essen, was wir verantworten können, genießen, was die Jahreszeiten schenken.

Dass Vater und Sohn zusammen können, beweist der Willkommenstrunk. Zum Einstieg gibt es den Rucolino, ein von Rucola und Zitrone geprägtes alkoholfreies Getränk, das Herbert Hintner vor Jahren kreierte und hier nun vom Sohn mit einem Kanzi-Apfel verfeinert wird. Der Apfel setzt einen angenehm frischen Akzent gegenüber dem schärflichen Rucola, wie Daniel richtig anmerkt. Dieser Gemüsesaft ist ein wunderbarer Aperitif, mit dem man seine Gäste überraschen kann.

Die Jahreszeiten sind der rote Faden in diesem Kochbuch. Es beginnt – und das ist schon eher ungewöhnlich – mit der Artischocke, jener mediterranen Kulturpflanze, die ihre beste Zeit zwischen November und März / April hat. Ein interessantes Sprossen- bzw. Stängelgemüse, das zur Familie der Disteln gehört und bei uns noch nicht wirklich angekommen ist. In Italien gibt es verschiedene Sorten und Größen. In Südtirol wird die kleine kompakte Bergartischocke angebaut, ein Gemüse, von dem nach dem Rüsten wenig übrig bleibt zum Kochen. Der zarte, fleischige Teil am Ansatz der Schuppenblätter wird gegessen. Klassisch mit Semmelbröseln, Parmesan und Olivenöl gefüllt und geröstet. Beliebt auch die gedämpften Blattenden, die in Vinaigrette oder Sauce wie etwa Hollandaise getaucht, wird das Fleisch dann mit den Zähnen abgezogen. Die Hintners aber füllen die Artischockenherzen mit Spinat oder Zwiebeln und Käse und legen sie auf einen See von sahnigem Käsefonduta oder aromatischen Kräuterrisotto. Zwei Vorschläge, die Abwechslung in die Alltagsküche bringen.

Bärlauch ist mittlerweile auch in unseren Breiten ein beliebtes Gemüse, wenn auch manche Angst vor einer Verwechslung mit den giftigen Maiglöckchenblättern haben. Antonio Carlucchio verwendete sowohl die Blätter als auch die weißen Blüten in der Küche. Ich gebe sie zu einer Art Psteo verarbeitet und als Eiswürfel eingefroren später gerne zu Saucen und Suppen. Herbert macht mit Bärlauch Knödel, eine Variante der klassischen Tiroler Knödel, die mit Bergkäse gefüllt auf Eisbergsalat serviert werden.

Iim April noch auf den Märkten oder beim guten Gemüsehändler erhältlich ist Puntarelle, die kleinen Spitzen des Catalogna-Salats. Eine Zichorienart mit kleinen hellgrünen Knospen und Trieben, die wie dicke Spargelspitzen aussehen und gegart unglaublich zart sind. Die mit geräucherter Ricotta gefüllte Puntarelle im Tempuramantel ist schon etwas aufwändiger in der Beschaffung der Zutaten wie auch Zubereitung. Kloaznmehl etwa, das nichts anderes als gemahlene getrocknete Birnen sind, ist nur auf wenigen Südtiroler Bauernmärkten oder in manchen Feinkostläden erhältlich. Die Erklärung, was Kloazn und Kloaznmehl ist, findet sich erst weit hinten auf Seite 162. Überhaupt sind zwischen den Rezepten – meist aus gegebenem Anlass spezieller Zutaten – kurze erklärende Kommentare eingefügt. Da erfährt man mehr über Morcheln, Rohnen, Graukäse, Kastanien, verbranntes Mehl, Knollenziest, Buchweizen, Sauerklee und anderes. Nicht immer so ausführlich, wie ich es mir wünschen würde. Bspw. hätte ich mir zu Hartweizenmehl mehr Hintergründiges erwartet. Zwar gibt es immer wieder Tipps, etwa, dass Kloaznmehl durch Johannismehl oder Zimt oder Erdmandelmehl ersetzt werden kann. Aber was ist bitte Erdmandelmehl? Und wenn Sie wissen, dass es aus den Knollen des Erdmandelgrases produziert, das vorwiegend in Afrika angebaut wird, wo bleibt dann die Regionalität. Aber das sind wenige verzeihliche Ausrutscher, die die Qualität dieses Kochbuchs nicht schmälern. Und man darf nicht päpstlicher als der Papst sein. Denn, für den gebackenen Karfiol auf Zucchiniragout verwendete ich die aus Spanien importierten Sommerkürbisse. Das Gericht fand großen Anklang, meine Gäste haben das Ragout genossen. Auch die Melanzanepizza mit Lauchcreme war eine interessante Entdeckung. Die Melanzanescheiben als Pizzaboden zu verwenden ist eine wunderbare Idee. Es gibt einige derartige kulinarische Überraschungsmomente in diesem Kochbuch.

Deshalb habe ich eine Liste der nachzukochenden Gerichte angelegt und die ist lang. Um einige Rezepte zu nennen: Mit Mozarella überbackener Zuckerhut, Fenchellasagnette mit Topfen, Polenta mit Gemüse und Graukäse, Farfalle mit Schwarzkohlpesto, gelierte Traubensuppe mit Ziegenkäse und sauren Sultaninen und und und.

Der größte Teil der Rezepte orientiert sich an den Angeboten im Jahresverlauf: zum Beispiel gibt es – wie eingangs angeführt – zwischen November und April die Eierfrüchtchen für den Artischockensalat. Weitere Rezepte sind in eigenen Kapiteln angelegt, als da sind Süße Früchte, Eingelegtes, Dips und Saucen sowie Grundrezepte.

Richtig gut vegetarisch von Daniel und Herbert Hintner enthält viel Kochpotenzial sowohl in den Kombinationen der Zutaten als auch in der Art der Zubereitung. Zudem, und dafür sind auch der Fotograf Frieder Blickle wie auch das Layout mit verantwortlich, präsentieren sich die Gerichte in einem fröhlichen Farbenrausch, sehr luftig, dass allein schon das Durchblättern viel Freude bereitet. Jetzt muss ich Schluss machen, die Tomatensuppe mit Karfiol – eine Sinfonie in Rot und Weiß – will zubereitet werden.

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