Heute reisen wir nach ITALIEN.
In Ligurien rund 2 km östlich von La Spezia und getrennt durch den Fluss Magra befindet sich dieses Städtchen, dessen größte historische Bedeutung vielleicht darin liegt, dass Napoleon Buonapartes Ursprungsfamilie von dort abstammt. In der jüngeren Geschichte können wir noch Melissa Forti hinzuzählen, die eine über Italiens Grenzen hinaus bekannte Teestube im historischen Zentrum betrieb. Melissa, ihres Zeichens Kuchenbäckerin, was nicht ganz richtig, aber auch nicht ganz falsch ist, denn sie drückt sich nur durch Kuchen aus, versteht sich aber nicht als Bäckerin, wie sie in einem Interview bekannte. Ihrem ersten Kuchen- und Torten-Backwerk, das vor drei Jahren erschien, folgt nun ein zweites, das die winterlichen Festtage, also Weihnachten aus dem Blickwinkel der italienischen Backtradition betrachtet, aber modern interpretiert. Melissa Fortis Weihnachts-Backbuch ist im Prestel Verlag herausgekommen.
Im Vorwort lässt uns Tim Raue wissen, dass Scheitern – im Kontext von Kuchen- oder Tortenbacken – nicht unbedingt das tragische Ende bedeuten muss. Ausgangspunkt war sein Debakel beim Versuch, Melissas Tiramisu Torte für die Fernseh-Sendung Kitchen Impossible ohne Anleitung nachzubacken. Und er schlussfolgert, wer in Melissas Backwelt eintauchen will, soll sich strikt an ihre Rezepte halten. Denn nur dann kann man ein großartiges Resultat erbacken, eben Kuchen und Torten mit dem grazilen Flair ihrer Schöpferin und er meint damit auch jene Welt von Wärme und Behaglichkeit, die den Weihnachtstagen inhärent ist.
Das Backbuch ist in drei Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel werden große Torten & prächtige Kuchen präsentiert. Hier bewegt sich die Autorin in der internationalen Backwelt, mit Klassikern, die sich manchmal mehr und weniger an das überlieferte Rezept halten, bis zur Neuschaffung. Es ist eine Reise, die mit der Galette de Rois beginnt. Einer Dreikönigstorte aus Frankreich, in deren Füllung ein kleines Geschenk versteckt ist. Sie führt uns weiter, zunächst nach Australien mit einer weihnachtlichen Pavlova, und weiter nach London wegen der Dattel-Sticky-Toffee-Torte sowie in die Südstaaten der USA zu einem Red Velvet Cake mit viel Butter und Frischkäse, der vor allem wegen seiner roten Tortenböden weltberühmt ist. Der Ausflug ins Reich der Torten endet in Süditalien bei einer Köstlichkeit, die sich Biancomangiare all’Amaretto nennt, ein weißer Pudding aus Sizilien, der hier mit Mandel-Likör verfeinert wird.
Im zweiten Abschnitt geht es um Plätzchen, Kleingebäck & mehr. Da finden sie köstliche Mandelkekse aus Siena (Raicciarelli Di Siena) neben Mascarpone-Pralinen oder die in Italien so berühmten Biscotti Allo Zenzero, in Tannen- oder Stern- oder Weihnachtsmannform ausgestochene Ingwerkekse. Hier reicht die Bandbreite von Florentiner Plätzchen, einem Rezept aus Medici-Zeiten, über Springerle, dem süddeutschen Weihnachtsklassiker aus Ei, Zucker und Mehl, bis zur kalorienreichen Marquise au Chocolat mit französischen Wurzeln. Ausklingen lassen wir diesen Kleingebäck-Parcours mit einem Espresso Freddo, der, kalt serviert mit etwas Grappa oder Likör verfeinert werden kann. Die Italiener wissen zu leben.
Im dritten Teil werden Weihnachtsbrote & anderes Gebäck vorgestellt. Die Brazadela ist ein einfacher Kuchen aus der Region Emilia-Romagna und sehr alt. Ein Arme-Leute-Kuchen der ursprünglich die Form eines Kringels hatte. Natürlich darf in Italien keine Panettone fehlen, der König der Weihnachtskuchen, der aber auch einer der kompliziertesten Kuchen der Welt ist. Melissa verspricht uns ein vereinfachtes, gelingsicheres Rezept, eine Ausführung, die dem Heute angepasst ist. Es existieren nicht nur unzählige Versionen dieses Sauerteig-Klassikers, er ist heute auch viel fluffiger als früher, was damit zusammenhängt, dass die Backindustrie sich einer ganzen Palette künstlicher Zusatzstoffe bedient. Wer also Melissas Panettone nachbäckt, muss sich im Klaren sein, dass die Textur kompakter ist als die einer gekauften. Der letzte weihnachtliche Backvorschlag aber gehört den Milchbrötchen, die ohne Rosinen dann zum Frühstücksbrötchen fürs ganze Jahr wechseln. Ein Vorschlag, der Melissas Vorlieben entspringt.
Melissa Fortis Weihnachts-Backbuch ist ein fast barockes Werk gediegener Backkunst. Verstärkt wird dieser Eindruck auch wegen der durchgestylten Fotos, die, vielfach die Torten, Kuchen und Kekse vor dunklem Hintergrund ablichten, ein wirkmächtiger Blickfang sind. Und so lässt vermutlich manches Foto uns zögern in der Nachahmung, wie zum Beispiel das vom Windbeutel-Turm, der noch nicht realisiert wurde. Dafür habe ich den Kürbis-Gewürz-Kuchen ausprobiert, der meine Freunde vor den Corona bedingten Auflagen noch auf den Winter einstimmen sollte. Gemundet hat er allen, hat aber nicht die Diskussion um die zu erwartenden Coronaauswirkungen auf uns und die Gesellschaft verhindert. Diese verlief sehr gesittet und friedlich, begleitet von gelegentlichen Schmatzgeräuschen. Von der Veneziana, dem süßen Hefekuchen mit Cremefüllung, konnten meine Enkel nicht genug bekommen. Ich musste ihnen versprechen, bald wieder einen zu backen. Dann allerdings mit Manitobamehl, das einen hohen Glutengehalt besitzt und so sich für eine lange Teigführung eignet. Menschen mit Glutenunverträglichkeit kommen in Melissas Weihnachts-Backbuch mit zwei Rezepten etwas zu kurz, für Veganer gibt es drei von insgesamt 70 Rezepten. Fortis Bandbreite an einfachen wie auch kunstvollen Backwerken ist groß und manchmal eine Herausforderung, die Können voraussetzten. Aber wie schon Tim Raue in seiner Einleitung bemerkte: Jede Zutat ist präsent und geht ein Zusammenspiel mit den weiteren Akteuren ein – stets getragen von einer Art Spannung, die jeder Torte innewohnt. Melissas Buch lädt zum Nachbacken ein. Ihre Backwerke sind raffiniert, traditionell, wiederentdeckt und angepasst. Betrachten Sie Backen als Spiel, bei dem Sie, mit Melissas Anleitungen an der Hand, nur gewinnen können. Sowohl an Back- als auch Genusserlebnissen.