Mikkel Karstad, nordic family kitchen

Rezepte aus der nordischen Naturküche

Mit Fotos von Anders Schonnemann

Prestel Verlag, München - London - New York, 2021, 256 Seiten, 37,10 Euro

ISBN 978-3-7913-8742-0
Vorgekostet

Heute reisen wir nach DÄNEMARK.

In das südwestlichste Land Skandinaviens. Mein erster Eindruck von Hans Christian Andersens Heimat war Gelb, wegen der riesigen Getreidefelder, die im Spätsommer das Land in kräftigen Gelbton tauchen. Das mischte sich dann mit dem Blaugrau der unendlich weiten Meerestrände an der Ostsee, die fast menschenleer waren. Des Dänen Mikkel Karstads Sicht auf sein Heimatland ist wohl ein anderer, mehr Eldorado kulinarischer Begehrlichkeiten. Sein Blick in Wald und Ufersaum ist geschult an den Pilzen, Beeren, Wildkräutern, Muscheln und anderem Essbaren. Die Natur fasziniert und verführt und man möchte Mikkel mit seinem Bart gerne die Rolle des letzten Mohikaners  im Lederstrumpf zuordnen. Aber er ist Koch und ein Verfechter der Naturküche. Das war nicht immer so, denn Karstad war in seiner Ausbildung von der französischen Küche geprägt. Seine Lehr- und Wanderjahre von hektischer Betriebsamkeit, auch noch, als er zurück in heimatlichen Gefilden auf Schloss Christiansborg kochte. Dort, war er Küchenchef und für das leibliche Wohl des dänischen Premierministers, der Mitglieder des Parlaments wie auch der Staatsgäste verantwortlich, in einem 24-Stunden-Job gefangen. Und heute? Heute ist der Vater von vier Kindern immer noch Koch, in weiterer Folge kulinarischer Berater, Foodstylist wie auch erfolgreicher  Kochbuchautor. Aber, er verbringt viel Zeit mit seiner Familie im Wald, am Meer – überhaupt in der Natur. Dort wird gekocht und gegessen, eine Naturküche zelebriert, die auch Hermann Hesse gemundet hätte. Dieser kulinarische Freiheitsdrang kulminiert in seinem jüngsten Kochbuch: nordic family kitchen, das im Prestel Verlag auf deutsch erschienen ist.

Sein auf das leibliche Wohl der eigenen Kernfamilie bedachte Art entschleunigender Rückbesinnung auf die Lebensweise seiner Eltern und Großeltern: Erinnern bildet die Basis Mikkels nordischer Naturküche. Eine Aufgabe mit Verantwortung. Frühere Generationen lebten es vor, täglich frisch zu kochen und auch übers Essen zu reden, bekennt er im Vorwort. Seine Botschaft: Das Entscheidende ist, dass Sie sich jeden Tag etwas Zeit zum Kochen nehmen, dass Sie sich die Mühe machen, ein gutes Essen zuzubereiten, hochwertige Zutaten aus der Region verwenden und – das ist besonders wichtig – mit Familie und Freunden gemeinsam essen. Der Rest sind Rezepte, 73 Gerichte, die auf 10 Kapiteln verteilt sind. Und zwar: Aus dem Garten, Frühstück, Backen, Vom Strand, Eier, Mittagessen, Aus dem Obstgarten, Pasta, Abendessen sowie Aus dem Wald. Zuordnungen die wohl auch individuelle Essens-Vorlieben erkennen lassen, bspw. die Eier- und Pasta-Gerichte. Meine Lieben würden sicher noch ein Risotti-Kapitel einfordern.

Manche der Rezepte sind bekannt. Wenn sie auch meist in der Zusammensetzung der Zutaten abweichen. Porridge kenne ich und bin neugierig. Worin mag sich sein Haferbrei von meinem unterscheiden? Mickkels Porridge mit Pflaumen ist angereichert mit Wildrosen und Haselnüssen, und in dieser Kombination schon ein feiner Leckerbissen. Zudem mischt er unter seinen Flockenmix aus Hafer und Dinkel auch ein wenig Bier, das sich dann im Dunst verflüchtigt. Aber bevor der Porridge mit den gebackenen Pflaumen serviert wird, kommt noch Butter hinein. Und das macht ihn weich und cremig.

Auch gegrillte Ofenkartoffeln kennt man. Mikkels Variante mit Kräutern, Quark und Parmesan sind aber eine Spur besser als die landläufig genossenen. Dabei lässt er offen, ob Mager- oder Sahnequark zu verwenden ist, während die Handvoll Kräuter klar benannt sind mit Rosmarin, Salbei und Majoran.

Karstads Vorstellung von Familienküche definiert sich vor allem über zwei Zugänge: zusammen kochen und zusammen essen. Im Gemeinsamen liegt auch eine pädagogische Herausforderung. Und so ist dieses Kochbuch auch durchdrungen von fotografisch festgehaltenen Glücksmomenten der Kinder und Erwachsenen beim Essen, beim Grillen, beim Schwimmen usw.. Die Foodfotos sind grandios.

Dass Karstad nicht unbedingt viel von äußerer korrekter Erscheinung des Gekochten hält, zeigt sich bei einigen seiner abgelichteten Gerichte. Da sind auf dem Algen-Fladenbrot einige angekohlte Stellen starken Röstens erkennbar und auch die Zimtschnecken ähneln eher kleinen misslungenen Zöpfen denn einem wohlgeformten Gehäuse, wie wir es aus dem Tierreich kennen. Aber kommt es darauf an? Nein, der Inhalt und Geschmack des Gekochten bzw. Gebackenen oder Gegrillten sind die wesentlichen Kriterien und deshalb sind die Zimtschnecken mit schwarzen Johannisbeeren als himmlischer Genuss zu verbuchen. Das bewiesen meine drei Enkel, die neun von 10 Schnecken in Rekordzeit verputzten.

Auch der Rhabarber-Marzipan-Kuchen mit Zitronen-Thymian fand sofort Freunde bei meinen Gästen. Ich ging leer aus, das macht aber nichts, denn ich habe vorher beim Salat ordentlich hingelangt. Der Spitzkohl-Salat, in diesem Fall eine Beilage für Makrele vom Grill, ist mit Frischkäse und marinierten Stachelbeeren so wunderbar gedopt, dass man fast versucht ist zu behaupten, hier wird Salat neu definiert.

Das Algen-Fladenbrot mit Meersalz, Kräutern, Blüten und Olivenöl ist ein indisches Naan-Brot, das mit gemörserten Rotalgen verfeinert wird. Anstelle der Rotalgen verwendete ich Salicornia, besser bekannt als Queller. Das Salz ließ ich weg.

Eine kleine Überraschung waren die warmen Butterbohnen mit gebratenem Brokkoli, Olivenöl und Kräutern. Die Bohnen plus langstielige Brokkoliröschen kombiniert mit einer Kräutermischung aus Süßdolde, Basilikum, Estragon und Kapuzinerkresse ist großartiges Essen mit wenig Aufwand. 

nordic family kitchen ist eine Sammlung von 73 Rezepten, die ich auch als ein Ausdruck von nordischem Lebensgefühl verstehe. Dabei geht es gar nicht um originär nordische sondern um frische Zutaten aus Natur und Garten. Wohlfühlen und Gemeinschaft sind oberste Prämissen. Diesen Eindruck verstärken auch die Fotos. Schön inszenierte Gerichte, auf Leinentüchern gedeckt, die sanfte Farbtöne ausstrahlen. Sowohl sinnlich als auch romantisch sind die Bilder vom Grillen bspw. über Feuer bruzzelnder Marshmallows oder aufgespießter dampfende Steinpilze, ein anderes zeigt einen Sohn beim Schneiden des körnigen Roggenbrotes. Mikkels methodischer Ansatz liegt in dem sich unterordnen der Jahreszeiten und Ressourcen, wie er in einem Interview erklärte. Im Frühjahr Kräuter sammeln, wilde Beeren im Sommer und im Herbst gibt es Pilze und Haselnüsse – aber nicht ausschließlich findet sich diese Art Küche in nordic family kitchen. Abwechslungsreich, klar strukturiert und einfach sind die meisten Rezepte. Die aufgetischten Gerichte überschaubar an Zutaten mit gelegentlicher Akzentuierung bestimmter Ingredienzien begeistern Alt und Jung.