Leela Punyaratabandhu, BANGKOK

Rezepte und Geschichten aus dem Herzen Thailands

Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer
Foodfotos von David Loftus
Südwest Verlag, München, 2019, 368 Seiten, (EU) 36.- Euro | (A) 37.10 Euro | (CH) 46.90 sfr
ISBN 978-3-517-09787-9
Vorgekostet

Heute reisen wir nach Bangkok.

Zusammen mit Leela Punyaratabandhu streifen wir durch die thailändische Hauptstadt. Auf Aroma-Spuren vergangener und gegenwärtiger traditioneller Thai-Küchen. Die Kulinarik der Neun-Millionen-Einwohner zählenden Metropole zu erkunden ist eine Herausforderung. Zu sehr werden wir abgelenkt vom Verkehrschaos Bangkoks wie auch den Thaiboxern mit ihren rituellen Schaukämpfen, die uns ein wenig an die Schuhplattlervorführungen und Tirolerabende erinnern. Wenn wir dann eintauchen in den Besucherstrom, uns langsam treiben lassend entlang des schwimmenden Marktes von Tailing Chan, vergessen wir alles, genießen die Düfte, die Farben und das Stimmengewirr. Da wird gekocht, gegrillt und gechillt. Röstaromen der Straßenküchen hängen in der Luft.

Vor 80 Jahren geschah in diesem Land Erstaunliches, was historisch verbürgt ist! Der König nahm Einfluss in die Ernährungsgewohnheiten seines Volkes. Die bis dahin multiethnische Küche sollte sich dem Westen anpassen. ‚Ich möchte, dass alle Nudeln essen!‘ war der Slogan des Diktator-Königs Ananda Mahidol. Überschwemmungen und Missernten förderten sein Vorhaben und verhalfen der gebratenen Reisnudel zum Durchbruch. Das war 1942. Bis heute hat sich phat thai oder pad thai als erstes und einziges politisch motiviertes Gericht in allen Schichten der Gesellschaft etabliert. Und es ist nicht nur das wahrscheinlich typischste Gericht Bangkoks, sondern wohl auch das im Rest der Welt bekannteste Thai-Gericht, behauptet Leela. Immer tiefer tauchen wir ein ins Land des Lächelns und in eines der schönsten Kochbücher über Thailands Küche. Bangkok, ja, das Kochbuch, ist im Südwest Verlag erschienen. Ein Mix von Rezepten und Geschichten aus dem Herzen Thailands. Leela Punyaratabandhu, Autorin und Köchin, in Bangkok geboren, wuchs in einem Anwesen mit Garten auf, der praktisch ein grüner Supermarkt war. Allerdings den größten und nachhaltigsten Eindruck lösten bei ihr zwei Räume im Haus des Großvaters aus: die Bibliothek und die Küche. Eine traditionelle Thai-Küche mit zwei Lehmöfen, in welcher Unmengen Reis gekocht wurden, während in den Töpfen Chili, Knoblauch, Schalotten und Garnelenpaste im Bananenblatt für ein Relish oder eine Currypaste garten. Aber Leela musste erst in die USA ziehen, um zu erkennen, dass die Kultur Bangkoks sie und ihre Art zu essen geprägt hat. In Chicago hat sie die Thai-Küche ihrer Großmütter wiedererstehen lassen, dabei erkannt, dass man das Essen Bangkoks überall auf der Welt nachkochen kann.

Das kulinarische Bangkok wird auf sechs Kapitel verteilt, was genügen sollte, um das Wesentliche der Küche Zentralthailands herauszustreichen. Dabei orientiert sich Leela an ihren Lehrmeistern, Bangkok, die Großeltern und die Mutter. 

An erster Stelle aber steht der Reis! Deshalb räumt sie gleich zu Beginn mit einem Vorurteil auf: Reis ist keine Beilage, sondern Hauptmahlzeit. Reis wird immer ungewürzt serviert, fungiert wie eine leere Leinwand, die bereit ist, jede Farbe anzunehmen – was für eine schöne Metapher! Bunt präsentieren sich dazu die beigefügten Mahlzeiten, die dann ungeniert gewürzt sind. Die Betonung liegt auf ungeniert, markant. Und was bleibt, ist der Genuss, wenn sich der natürliche Duft des Reises mit den Aromen exotischer Ergänzungen mischt. Im ersten Kapitel geht es also um Grundgerichte: Gekochter Reis oder Gedämpfter Klebreis oder Frittierte Reiscracker oder Einfacher Reisbrei oder, etwas flapsig ausgedrückt, um verschiedenen Reis in unterschiedlichen Aggregatzuständen. Ebenso fundamental und wichtig sind noch eine vielseitig einsetzbare Würzsoße, das Chilirelish und man staune, Schweinegrieben und Schweineschmalz. Denn Grammeln und Schmalz sind auch Teil unserer traditionellen alpinen Küche, und nun erfahren wir, dass diese Zutaten auch in vielen altmodischen hölzernen Vorratsschränken Thailands lagern. Früher war Schmalz, so Leela, das Brat- und Backfett Nummer eins in Bangkok. Für eine Schale Reis mit Grieben und Chilirelish würde er jedes Steak stehen lassen. Dieser Ausspruch des thailändischen Gastrokritikers Mom Rajawongse Thanadsri Svasti wurde zur stehenden Redewendung und meint, dass eine einfache hausgemachte Mahlzeit besser als das Essen im schicksten Restaurant der Stadt sei. Aber so einfach wie der erwähnte Dreiteiler sind die Rezepturen nicht, die im nachfolgenden Kapitel Herzhafte Bissen vorgestellt werden. Für die Teigtaschen mit Huhn-Erdnuss-Füllung kommt ein Reisteig zur Anwendung, der aus Tapioka-, Reis- und Klebreismehl besteht und zu dünn ausgerollt, leicht reißt. Die Autorin merkt hier an, dass die thailändischen Teigtaschen nicht zu verwechseln sind mit den chinesischen, die, auf Weizenmehlbasis hergestellt, deshalb eine andere Textur haben. Bevor sie serviert werden, diese kleinen Köstlichkeiten, werden sie mit Knoblauchöl eingepinselt. Eine größere Herausforderung stellen Reispapierpäckchen mit Chili-Limetten-Sauce dar, vor allem wenn das Reispapier selbst hergestellt wird. Wer sich auf dieses Wagnis einlässt, wird feststellen, dass Genauigkeit Voraussetzung ist, was auch für andere Gerichte in diesem Buch gilt. Aber das Ergebnis versetzt Sie, mit etwas Phantasie, ins Herz Bangkoks, zumindest  verspricht das die Autorin.

Leider ist Bruder Uan, der berühmteste Straßenverkäufer Bangkoks was, Gegrillte Schweinefleischspieße betrifft, zu weit weg, sonst würden wir uns eine größere Menge dieser heiß begehrten Spieße kaufen und einfrieren. So erfahren wir über ihn, dass er trotz seines Ruhmes immer noch mit großer Sorgfalt magerere und fetterere Schweinfleischspieße grillt, die er so reichhaltig würzt, dass man eigentlich keinen Dip dazu braucht. Bruder Uan ist eine von vielen Geschichten, die, zwischen den Rezepten eingestreut, die unzähligen Facetten Bangkoks uns literarisch näher bringen. Eine Geschichte widmet sich der Bitterorange, eine andere der königlich-thailändischen Küche und eine andere wiederum den Relishes. Auch dem Thai-Eistee wird gehuldigt und seine besänftigende Wirkung mit Familiengeschichte zusammengewürfelt. Leela ist eine großartige Erzählerin, würzt sie doch mit diesen kurzen Episoden das kulinarische Angebot Bangkoks und reicht sozusagen Rezepte mit Bezug auf die Geschichten nach. D.h., der Ausführung über Relishes folgt das Rezept für Salziges Soja-Kokos-Relish und den Ausführungen über Die Cookshops Bangkoks sind Schweinekoteletts Hainan-Art beigestellt. Die Koteletts werden mit einem verquirlten Ei überzogen, paniert, gebraten und mit einer leichten Sauce und Erbsen serviert. Dafür greifen die meisten Bangkoker aus Nostalgiegründen auf Dosenerbsen zurück. Diese Verschränkung von authentischen Geschichten und Rezepten fördert ein tieferes Verständnis für Bangkoks Küche und für die Bangkokains. 

Nicht sehr erstaunlich ist dagegen, wie viele Beilagen zum Reis hier aufgetischt werden, eher wie unterschiedlich sie sein können. Vom Curry mit cha-om-Küchlein und Garnelen über Grünen Rindercurry, dem Schwein-Garnelenpasten-Relish (Bootsrelish) – ein Resteessen, das am Königshof entstanden ist – bis zum Omelett mit Krebsfleischfüllung. Die asiatische Omelett-Version aus Enteneier, Reismehl, Fischsauce und Pfeffer unterscheidet sich stark von der europäischen. Aber nicht nur der Teig, denn das Omelett wird in einer 10 cm hohen Schmalzsuppe zu einem unförmigen Klotz herausgebacken. Dabei gebärdet sich das Teigpaket recht widerspenstig, üben und nicht verzagen ist angesagt.

In der Abteilung Menüs und Einzelgerichte besticht Reis-Vernicelli mit Fischcurry vor allem wegen des herausragenden Aromas vom chinesischen Ingwer. Lustig fand ich die Muschelkrapfen, die nichts mit unserer Vorstellung von Krapfen zu tun haben, sondern mehr einem zerissenen Omelett gleichen. Es ist der gleiche Teig wie für die Teigtaschen, nur die Mengenverhältnisse sind anders.

Im Kapitel Süßes finden sich vor allem Rezepte, die den Gaumen nach einer scharfen Mahlzeit besänftigen. Im bäuerlichen Nordthailand könnte das einfach eine Kugel Palmzucker sein. In Leelas Bangkok-Küche sind die Rezepte schon etwas raffinierter, exotischer. Tapiokaperlen, Thai-Zuckermelone, grüne Mango oder Kondensmilch sind nun die Hauptakteure. Dinge, die zu Süßem verarbeitet werden. Im Kokos-Milchreis-Küchlein bündelt sich der kulinarische Kosmos Thailands. Kokosmilch, Zucker und Reis sind die am meisten verwendeten Grundzutaten in der thailändischen Küche. Die Küchlein ähneln dem mittelalterlichen dänischen Weihnachtsgebäck Æbleskiver, sind rund, aber ohne Weizenmehl. Die Eiercreme mit gebratenen Schalotten dürften auf die kurze Zeit der portugiesischen Fremdbestimmung zurückgehen. Wahrscheinlich eine der wenigen positiven Auswirkungen vom Kolonialismus. Wie die Schalotten zur süßen Creme kamen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Mutig fand ich das Rezept zu Durian-Eiscreme. Denn keine Frucht ruft so gegensätzliche Reaktionen hervor wie die Durian – Hingabe oder Ekel, und nichts dazwischen. Eine frische Durian zu bekommen ist wie ein Lotto-Sechser – fast unmöglich, und wenn, dann ist sie sehr teuer. Also wenden wir uns wieder dem Grundsätzlichen zu, denn im letzten Kapitel geht es um Basisrezepte. Sie runden den Geschmack bestimmter Gerichte ab wie das Garnelenpasten-Relish, eignen sich zum Dippen und Würzen wie die Sriacha-Sauce oder stehen einfach auf dem Tisch wie das Salz zum Nachwürzen, dafür ist das Rote Chilipulver gedacht. Zu den Standard-Rezepturen gehören der Gebratene Schweinebauch, Fleisch- und Fischbällchen, die Fischwurst, aber auch Reispapier und Rotiteig, ein Teig, der sich sehr dünn ausziehen lässt, und einiges mehr. Am Schluss aber, werden die Zutaten vorgestellt wie in einer Galerie. Eine Parade von Exoten, die von Bananenblüten über saure grüne Mango bis zum Wasserspinat reichen. Sogar eine Kalksteinlösung findet sich im Repertoire, die für die Currybällchen oder frittierten Teigtaschen unerlässlich ist, gibt sie doch den Gerichten erst die nötige Knusprigkeit.

Gut zu wissen, dass viele der hier vorgestellten Rezepte nur in Bangkok zu haben sind. Leela Punyaratabandhu holte sie für ihr Buch hinter dem Bambusvorhang hervor. Da erlebt man manche Überraschung. Beispielsweise das Rezept für Gebratener Eisenbahnreis, das Ketchup enthält, eben eine nicht gerade typisch thailändische Zutat. Die Erklärung folgt vorab, nämlich, dass eine 300 km lange  Eisenbahnfahrt zum Meer, wo die Oberschicht strandurlaubte, für diese so angenehm wie möglich gemacht wurde. Das heißt, im Bordrestaurant bekam man seinerzeit noch importierte Luxushäppchen, die Normalsterblichen sonst vorenthalten waren. Und der Eisenbahnreis war Statussymbol und sehr teuer wie auch Butter, Wurst, Erbsen und Würzsaucen aus Europa vergleichbar mit dem heutigen Foie Gras, Kaviar oder Hummer.

In Leelas Bangkok spiegeln sich Komplexität und Faszination einer Stadt gleichermaßen wider, ohne in allgemeine Stereotypien zu verfallen. Sie räumt auch mit dem Klischee auf, dass es das beste Essen auf der Straße gibt. Mit ihr dringen wir tiefer ein in die Küchen der Stadt, bekommen zu sehen, was Touristen normalerweise nicht zu sehen bzw. zu kosten bekommen. Essen aus Bangkoks Küchen, wie die Fleischbällchen in pikanter süß-saurer Sauce oder karamellisierte Eier mit Schweinebauch, die cremige Tom-Yam-Nudelsuppe mit Garnelen, süße Eiercreme mit gebratenen Schalotten und einige Köstlichkeiten mehr. Hier wird klassisches Thai-Essen aufgetischt wie auch Gerichte, die chinesische oder burmesische Einwanderer mitgebracht haben. Aber auch persische und indische Kochstile beeinflussten Bangkoks Küche, etwa durch die Beimischung ‚trockener‘ Gewürze wie Zimt, Nelken oder Sternanis, wodurch die Currys nicht so scharf werden.

In Bangkok von Leela Punyaratabandhu stehen an erster Stelle Kochrezepte; darin eingestreut sind liebevolle Zwischenbemerkungen über eine Stadt, die man gerne kennenlernen möchte. Alle Rezepte sind mit einem Vorspann versehen, aus dem sich zudem wunderbare Einblicke in das Leben einer traditionsreichen Bangkoker Familie ergeben. Perfekt wäre gewesen, noch ein Übersichtsplan mit den Stadtteilen und Plätzen, auf die die Autorin mit ihren Texten wie auch mit den Fotos Bezug nimmt. Letztere sind aussagestark und farbenfroh. Zweifellos ist Bangkok eines der schönsten Kochbücher mit teils anspruchsvollen Rezepten, die mitunter eine Herausforderung sein können, oder man umschifft sie galant. Wer sagt, dass die Currypaste unbedingt im Mörser gemacht werden muss? Leela ist diesbezüglich sehr pragmatisch, verweist auf küchenmaschinelle Hilfe.

Bangkok aus dem Südwest Verlag ist mehr als ein Kochbuch – es ist eine Verführung in die zentralthailändische Küche, garniert mit volkskundlichen, historischen und persönlichen Geschichten.