Ursula Bauer, Jürg Frischknecht, Antipasti und alte Wege

Valle Maira – Wandern im andern Piemont

Mit Fotos von Kris Kirkham
Rotpunktverlag, Zürich, 10.Auflage 2024, 304 Seiten, [D] 29.- Euro, [A] 29.90 Euro, [CHF] 39.- Schweizer Franken

ISBN 978-3-03973-025-4
Vorgekostet

Heute reisen wir in den PIEMONT.

Ausnahmsweise mit einem Wander- statt einem Kochbuch in der Tasche.

‚Das schwarze Loch‘ wird das Valle Maira genannt, eine abgelegene Bergregion am östlichen Rand der Alpen zwischen Monaco und Turin. Nirgends haben sich die Alpen mehr entvölkert als in den Grenztälern zwischen Cuneo und Frankreich. Im oberen Mairatal leben pro Quadratkilometer gerade noch zwei Menschen. Dafür hat das Valle Maira einen sanften Tourismus pur. Tatkräftige Leute, Dagebliebene und Zugewanderte, haben dort das alte Wegnetz zu neuem Leben erweckt. Und damit ein fantastisches Paradies Ostpiemonts, das zwischen April und Oktober jedes Wanderherz höher schlagen lässt, erschlossen. Bekannt geworden in den nördlicheren Breitengraden ist es aber durch den Wanderführer von Ursula Bauer und Jürgen Frischknecht. Antipasti und alte Wege ist im Rotpunktverlag erschienen, 2024 in der aktualisierten 10. Auflage.

Mit jeder neuen Auflage gab es offensichtlich Neues zu berichten. Über neue Rundwanderwege, Geschichten über die Menschen dort, neue Unterkünfte, Schitouren im Frühling, wenn im oberen Tal noch tiefer Schnee liegt. Oder neu aufdatierte Hintergrundinformationen,  und Service-Infos auf dem aktuellen Stand ergänzt. Auch wurden die Wanderzeiten alle neu berechnet – all das berücksichtig diese 2024er Ausgabe.

Der Einstieg erfolgt über Nützliche Informationen von der Anreise bis Zeitungen. Sie sind sehr spartanisch gehalten und ermöglichen so ein Reinschnuppern. Zum Stichwort Essen heißt es da: Das Valle Maira gehört zur gleichen Provinz wie die Langhe (Anm.: Landschaft in der Region Piemont), wo Baroli (Rotwein), hauchdünne Teigwaren und weiße Trüffel wachsen. Die Nähe zum klassischen Schlemmer-Piemont ist auch im Mairatal spürbar, die traditionelle Bauernküche nicht vergessen – eine begeisternde Mischung zu Preisen, die noch immer angenehm zum Langhe-Niveau kontrastieren. Dann wird noch mit einem Link auf Kochwochen im Kulturzentrum in San Martino hingewiesen, deren Spur aber in den Weiten des Internets versandet. Da heißt es dann, sich selbst auf Spurensuche im Internet oder direkt vor Ort zu begeben. Und festzuhalten ist auch, dass diese kleine Ungenauigkeit wohl eher eine Ausnahme ist und ansonsten die Angaben dieses Wanderführers sehr präzise sind.

Nach den Kurzinfos gibt uns ein erster Fotoessay von Norbert Breidenstein eine bildhafte Vorstellung von dem, was dort zu erwarten ist. Lachende Gesichter, Brotbacken und Essen und geschäftiges Leben in der dem Mairatal vorgelagerten Stadt Cuneo. Kurze Essays über Cuneo und die kleine Schwester Droneo wie auch Themen bspw. die Kanäle dieses Gebietes, wie auch ein Spaziergang durch alte Reiseführer lassen uns den Fuß in die sich öffnende Tür zu den Tälern, die wir erwandern wollen, setzen. Dann folgt ein weiterer Fotoessay, ehe wir zu den Ausführungen Der Mairaweg kommen. In über 30 Etappen, auf über 230 Seiten, erschließen Bauer und Frischknecht uns Wanderhungrigen eine Landschaft und deren Menschen. Wenn man das einmal erlebt hat, möchte man das nicht mehr missen. Vielleicht ist es das kontemplative Erleben, vielleicht die Stille und Kargheit, vielleicht die vielen Steine, die man mit den Fingerspitzen beim Gehen streift, Steine, die verarbeitet wurden, zu Wegmauern und Häusern. Vielleicht ist es die von Bergbauern kultivierte Landschaft oder auch die einfühlsame Sprache der Autoren, die uns in die einzelnen Streckenabschnitte hineinzieht wie ein Sog. Die erste Etappe führt von Dronero nach Sant’Anna und wird überschriftet mit Kloster geschlossen, Weiler verlassen, Essen gut. Das klingt doch lustig, aber die Strecke hat es in sich. Einmal zieht sich die Wanderung über 5 Stunden und 45 Minuten mit über 920 Höhenmetern, zum anderen gibt es jede Menge zu sehen auf dem Wege. Steinadler und Steinböcke sieht der, der in die Höhen schaut, aber auch Copelle, Tausende von Schalensteinen aus archaischen Zeiten. Wer eine Variante wagt, was natürlich mehr Zeit beansprucht, wird staunen über die hohen Pilze aus Stein, durch die hindurch der Weg führt. Wenn das geschafft ist, können wir uns freuen auf ein gutes Abendessen etwa im Ristorante La Pineta, wo Meisterkoch Marco Piemontesisches auftischt. Was das sein sollte, erfahren wir weiter hinten, bei der zweiten Etappe werden ein wenig die Kochtopfdeckel gelüftet. Im Mairatal verläuft die K&K-Grenze, was nichts mit den Habsburgern zu tun hat, sondern mit Kartoffeln und Kastanien. Wer sich auf Wanderung ins Mairatal begibt, wird überrascht sein, wie vielfältig die Küche dort ist. Die Hochburg der piemontesischen Küche liegt dem Mairatal sozusagen zu Füßen. So findet denn der traditionelle ‚Raviol‘ aus Kartoffelmehl, die ‚Oula‘, ein deftiger Eintopf mit Speck oder Schweinerippchen (nach dem Brotbacken im noch heißen Ofen gegart), zum luftigen Gemüseflan und dem in Kräutern geschmorten Kaninchen, der Bohnen-Thunfischsalat zum gebratenen Lamm, die Apfeltorte zum Bunet, dem Klassiker unter den piemontesischen süßen Flans und Puddings. Mehr muss man nicht aufzählen, lassen wir das Psalmodieren. Mit gutem Gewissen behaupten die beiden Autoren, dass, wer auf den Percorsi Occitani unterwegs ist, eine fundierte Einführung in die regionale Küche und ihre Spielarten geboten bekommt. Auch die entsprechenden Adressen dazu, wo es  Antipasti und anderes gibt.

Antipasti und alte Wege ist mehr als eine reine Wegbeschreibung von A nach B. Das Autorenduo macht früheste und jüngste Geschichte, wie die Bedeutung der Partisanen im Zweiten Weltkrieg, sichtbar, als auch Volkskundliches und Sozialgeographisches und damit das Valle Maira zum Shangri-La der Alpen.  

Also auf ins Mairatal! Cuneo ist Alpenstadt des Jahres 2024 und schon deshalb eine Reise wert. Vergessen Sie dabei nicht Antipasti und alte Wege, den Reiseführer, der Ihnen das Wandern erst zu einem Erlebnis macht. Meine Lieblingsgerichte Steinpilzravioli, Cremespinat und Parmesan-Trüffelsauce schmecken mir dort am besten.