Elissavet Patrikiou, Meine griechische Dorfküche

Die Rezeptgeheimnisse der Großmütter

Mit Fotos von Elissavet Patrikiou
Südwest Verlag, München, 2025, 240 Seiten, [D] 26.- Euro | [A] 26.80 Euro | [CH] 35.50 srf
ISBN 978-3-517-10357-0
Vorgekostet

Heute reisen wir nach GRIECHENLAND.

Als ich letztes Jahr auf dem Olymp stand, dem mit knapp 3.000 Metern höchsten Berg Griechenlands, konnte ich weit entfernt im Norden den Golf von Thessaloniki ausmachen und die Stadt dazu mehr ahnen als sehen. Einen Diskuswurf entfernt von der makedonischen Hauptstadt liegt das Dorf Vathylakkos, das ich, hätte ich gewusst, welche Bedeutung dieser Ort für meine Kochbuchgeschichten noch bekommen wird, ebenfalls mit großer Anstrengung in der Ferne zu entdecken versucht hätte. Nun, das relativ große Dorf mit rund zweieinhalb Tausend Einwohnern blieb unbemerkt im Dunst des makedonischen Beckens. Bis Elissavet Patrikiou kam und den Vorhang zur Seite zog, um Land und Leute vorzustellen, die maßgeblich beteiligt sind an ihrem neuen Kochbuch. Meine griechische Dorfküche hat weit entfernt etwas mit der griechischen Odyssee zu tun. Ihre Mutter Anastasia ging in den 1960er Jahren als Gastarbeiterin nach Deutschland. Jetzt im Ruhestand ist sie wieder zurück, macht das, was viele ältere Frauen und auch Männer in Griechenland gerne machen: garteln, kochen und essen. Naja, das ist eine etwas verkürzte Lebensalltagsbeschreibung, aber durchaus zutreffend. Jedenfalls hat sich Elissavet mit einigen Dorfköniginnen aus Vathylakkos mehr als nur auf einen Plausch zusammengesetzt. Es gab wohl viele Treffen und Gespräche, in deren Verlauf die ältere Generation der neugierigen Griechin-Deutschen wohl so manches Familienrezept verriet. Diese Rezeptgeheimnisse der Großmütter, wie der Untertitel von Meine griechische Dorfküche verrät, sind jetzt im Südwest Verlag herausgekommen.

Sofia, Irini, Warwara, Despina, Vasliki, Polixeni, Eleni, Tasoula, Panagiota, Maria und Anastasia heißen diese wunderbaren Frauen, die für Elissavet aufkochten. In der Einleitung heißt es: Das halbe Dorf hat mich mit Rezepten versorgt, gekocht, lauthals diskutiert, welches das bessere ist, und wir haben gemeinsam gegessen und getanzt. Ein gutes Essen ist hier ein Lebensgefühl – und das fängt bei der Ernte und Zubereitung an! Diesem Lebensgefühl spürt die Autorin nach in Wort und Bild.

Aus dem Garten und vom Markt ist wie eine Overtüre und gleichzeitig das erste von sechs Kapiteln über eine griechische Landküche, wie man sie wenig kennt. Für das Tomatenglück, d. h., für die Tomatensoße benötigt man nur frische, reife Tomaten und Salz. Das Ganze aufzukochen und abzufüllen ist in Vathylakkos Gemeinschaftsarbeit mit lauten Disputen und vielen Geschichten von früher verbunden. Die Soße hält bis zu einem Jahr, wenn sie nicht vorher für Gerichte wie Eier mit Tomatensoße oder Kritharaki mit Tomatensoße und Oliven aufgebraucht wird. In Letzterem sind kleine reisförmige Nudeln aus Hartweizengrieß, Kritharaki genannt, die auch als Griechische Nudeln hierzulande in türkischen Geschäften geführt werden. Der Garten und die Jahreszeiten bestimmen, was auf griechische Tische kommt. Viel Gemüse, Schätze von geerntetem Blumenkohl bis Spitzpaprika und Zucchini, die in Gläsern mit einem Mix aus Gewürzen, Weißweinessig und Olivenöl verwahrt werden. Toursi bzw. Eingelegtes Gemüse nennt Warwara lapidar ihr fermentiertes Grünzeug, das zu Meze genauso gut passt wie als Beilage zu Eintopfgerichten. Elissavets Oma Sofia erinnerten die Gläser mit fermentiertem Gemüse immer an ihre Heimat, an die türkische Schwarzmeerküste, aus der sie wie viele andere Griechen in den 1920er Jahren vertrieben wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Langsam blättere ich mich durch Meine griechische Dorfküche, um sofort innezuhalten beim Rezept Ausgebackener Blumenkohl mit Joghurt. Die Vielseitigkeit dieses Gemüsejuwels fasziniert immer wieder aufs Neue. Ähnlich wie der in unseren Breiten überbackene Karfiol und doch leicht anders mit Joghurt-Dip und Paprikaöl. Mama Anastasia erinnert sich, dass das die einzige Möglichkeit war, ihre Tochter dazu zu bringen, Blumenkohl zu essen. Die Blumenkohlröschen werden in einem Pfannkuchen- bzw. Palatschinkenteig ertränkt, dann teigtriefend in heißem Olivenöl herausgebacken. Eine schöne Sauerei mit Fingerspitzengefühl. Den angerösteten Semmelbröseln könnte man noch ein bisschen Käse reinreiben. Übrigens verbinde ich mit Blumenkohl und Griechenland vor allem eine Suppe, die, mit Avgolemono angereichert, eine säuerliche Note bekommt. Avgolemono, ist eine beliebte Soße aus Zitrone und Ei. Diese Mischung kommt bei Elissavet in die Lauchsuppe, inklusive Babyspinat, Kartoffel und Karotte. Für die Avgolemono werden dabei zwei Eier mit einer Zitrone schaumig geschlagen und abgeschmeckt, was mir dann fast zu säuerlich war, worauf die Soße ein drittes Ei abbekam. Die Lauchsuppe mit Zitronen-Ei-Schaum wird zusammen mit Brot und Zitronenspalten serviert; ein ideales Essen an heißen Sommertagen. Ja, Glück kann manchmal so einfach sein. Man sieht es Anastasia an, wie sie zufrieden ihre Suppe löffelt. Einen anderen Sommer-Geschmack zaubert das Aprikosenkompott mit Mastix-Eis. Ich probierte es versuchsweise mit Dosenpfirsichen. Es schmeckte nicht schlecht, nur das Frische der Früchte fehlte und das Mastix-Eis allein konnte dies nicht kompensieren. Ich konnte diesem Rezept wegen des Mastix, dem Harz, mit dem angenehm süß-bitteren Nachgeschmack, einfach nicht widerstehen. 

Eine andere Leckerei ist Süße Bergamotte vom Löffel. Löffelsüßigkeiten – also Glyko Koutaliou – haben in Griechenland einen hohen Symbolgehalt. Wollen Sie ihren Gästen zeigen, dass sie willkommen sind, dann servieren Sie ihnen diese Löffelspeise zusammen mit einem Glas Wasser und einem Mokka. Der Fruchthappen ist aber extrem süß, sodass ein Löffelchen davon mehr als genug ist. Dieses Löffeldessert lässt sich auch mit Orangen, Kirschen, Quitten, Feigen und anderen Früchten zubereiten.

Griechisches Dorfleben spielt sich aber nicht nur zwischen den eigenen vier Wänden und dem Garten ab. So treffen sich die Frauen auch In der Bäckerei, Im Tante-Emma-Laden, Rund um den Kiosk oder In der Taverne, tauschen dort den neuesten Dorfklatsch aus und manchmal vielleicht auch Rezepte. Und die Autorin? Sie verknüpft mit diesen Orten nicht nur Kapitelüberschriften, sondern auch Altbewährtes und Neues aus der griechischen Dorfküche. Beim Bäcker etwa das Traditionelle Fladenbrot oder Pita, eben alles, was mit Teig zusammenhängt. Dazu zählen die Feigen mit Myzithra aus dem Ofen, ein Gebäck mit Filoblättern, ebenso wie die Teigtaschen mit Zwiebelfüllung, die allerdings mit Hefeteig zubereitet werden.

Kapitelweise werden die wichtigsten sozialen Brennpunkte des dörflichen Alltags kurz vorgestellt, ausgeschmückt mit viel Bildmaterial und vor allem Rezepturen. So auch der Tante-Emma-Laden, der hier nicht fehlen darf, löst er doch mit seiner Warenfülle auf engstem Raum größte Bewunderung aus. Im Falle von Elissavet ist es Tante Nawsika, die einen solchen Laden führt. Hinten angebaut befindet sich eine kleine Außenküche. Ohne diese hätte es keine Eier mit Tomatensoße gegeben. Eigentlich ein Frühstücksessen, das in der gesamten Levante aufgetischt wird. Es ist eine dieser unzähligen Shakshuka-Variationen. Bei Elissavet zuhause wird die Pfanne heute noch mitten auf den Tisch gestellt und alle bedienen sich gemeinsam daraus. 

Die Autorin gruppiert rund um ihre dörflichen Hotspots rund 100 Gerichte. Den Rote-Bete-Salat mit Bulgur und Feta wie auch die gefüllten Weinblätter gibt es beim Kiosk und In der Taverne stoße ich auf Pastizio, ein Nudelgericht, das seine verwandtschaftlichen Beziehungen nach Italien nicht leugnen kann. Griechischer Nudelauflauf oder griechische Lasagne, das ist hier die Frage.

Ein Kapitel wurde bisher ausgeklammert, soll aber nicht unerwähnt bleiben. Der Glaube und die Tradition betreffen den Kosmos des griechischen Lebens in seiner Allgegenwärtigkeit. Das gilt auch für das Essen.Denn mehrfach im Jahr wird gefastet und gefeiert, liegen Enthaltsamkeit und Völlerei nahe beieinander. Man muss es ja nicht übertreiben, aber gutes Essen mit Familie, Freunden und Nachbarn ist doch was Schönes. Bald steht Ostern an und Eierfärben mit den Enkelkindern eine gefragte Sache. Mit Naturfarben natürlich, was auch eine kleine Herausforderung sein kann. Wie auch die Frage Fastenbrot oder Finikia mit Kokos, eine süße Versuchung. In heiligen Zeiten stehen Gerichte mit Bulgur, Sardellen wie auch Huhn in Vathylakkos hoch im Kurs scheint mir. Hier sich zu entscheiden fällt verdammt schwer, denn ausnahmslos alle Frauen in diesem Kochbuch bieten mit einer charmanten Freundlichkeit ihre Gerichte an, sodass man nicht nein sagen kann. 

Meine griechische Dorfküche von Elissavet Patrikiou ist eigentlich ein Hohelied auf die Dorfköniginnen von Vathylakkos. Dabei legt die Autorin ihr Kochbuch wie einen Spaziergang an. Sie orientiert sich an jener lebensnotwendigen Infrastruktur, die erst ein funktionierendes Dorfleben ausmacht. Dazu gehören der Dorfbäcker genauso wie der Wirt und der Pope. Aber vor allem Frauen, Omas und Enkelinnen, die ihre von Generation zu Generation weitergegebene griechische Landküche kochen. Meine griechische Dorfküche ist also auch eine Art Tagebuch mit einfühlsamen Fotos aus dem Alltags- und Küchenleben in Nordgriechenland und vielen guten Rezepten. Überschaubar an Zutaten sind diese vollmundigen Verführungen, auf die man sich gerne einlässt, wie etwa der Bohneneintopf mit Bulgurbällchen, den ich gestern meinen Freunden servierte. Lassen Sie sich kulinarisch verzaubern von den Frauen von Vathylakkos, Sie werden es nicht bereuen!