Nuno Mendes, Lissabon

Lisboeta - Rezepte und Geschichten aus der Stadt des Lichts

Mit 6 Inserts und Papierwechsel
Fotos von Andrew Montgomery
Aus dem Englischen übersetzt von Mechthild Barth und Jochen Stremmel
Prestel Verlag, München, 2018, 316 Seiten, 32.90 Euro
ISBN 978-3-7913-8448-1
Vorgekostet

Heute reisen wir nach LISSABON.

Die Stadt des Lichts hat in den letzten Jahrzehnten viel von der einst strahlenden Leuchtkraft verloren. Leere, verfallende Häuser nicht nur an der Peripherie, sind Objekte der Spekulanten. Die Altstadt abgebrannt und nun wieder aufgebaut ist ein Touristenmagnet. Die portugiesische Seele, vielfach besungen im Fado, einem Musikstil vor allem der Städte Lissabon und Coimbra, ist mal in Euphorie dann wieder in Untergangsstimmung – sie gehört zum Wesen der Stadt wie auch zum Marketing. Wer mehr über den Charakter der Lisboetas herausfinden will, findet vielleicht eine Antwort im Geschäft ‚das portugiesische Leben‘, wo Typisches der Stadt Lissabon verkauft wird. „Noch ist Lissabon“, meinte die Geschäftsführerin Catarina Portas in einem Interview, „eine lebendige Stadt. Arm und reich leben hier nebeneinander, und auch die verschiedenen Epochen und architektonischen Stile sind überall erkennbar. In der Gestaltung der Stadt sind alle vertreten. Das ist eine große Bereicherung!“ Im Süden der Stadt steht der berühmteste Turm Portugals, der Torre de Belem. Tagtäglich umrundet ihn eine unendliche Touristenschlange, während zu seinen Füßen gemächlich der Tejo fließt, der einige Kilometer weiter in den Atlantik mündet. Neben dem Turm befinden sich noch die alten Kai-Anlagen, von denen aus die portugiesischen Eroberer zu ihren Entdeckungsreisen ausliefen. Alfonso de Albuquerque, der den östlichen Seeweg nach Indien eroberte, Heinrich der Eroberer, der die Insel Madeira entdeckte, Vasco da Gama und viele andere, die dann reich beladen mit wertvollen Gewürzen von ihren Entdeckerfahrten zurückkehrten und Lissabon zur Weltmetropole machten. Das padrao dos descobrimentos, ein Denkmal mit nationalistischen Zügen am Ufer des Tejo, erinnert an das Zeitalter der Entdeckungen wie auch das Hyronimuskloster, ein Prachtbau dieser Zeit. Der Torre de Belem und das Kloster bergen viele Geschichten wie die weltbekannten Cremetörtchen, die Pastéis de nata, die von diesem Ort aus die Welt eroberten. Das Rezept war und ist heute noch ein streng gehütetes Geheimnis. Während der portugiesischen Wirtschaftskrise im Jahr 2008 besann man sich, sich auf den Export von nationalen Produkten zu spezialisieren, darunter das Pastéis del nata. Nun ist das Törtchen ein Exportschlager und dem Staat hat es 2015 191 Mio Euro eingebracht.

Ein gegenwärtiger portugiesischer Entdecker kulinarischer Feinheiten, der in London lebt und immer wieder in seine Heimatstadt Lissabon zurückkehrt, ist Nuno Mendes. In England erobert er mit seiner portugiesischen Küche die britischen Gaumen. Inspirationen holt er sich dabei aus der Stadt seines Herzens. Nun hat er ein Buch geschrieben über das Lebensgefühl in Lissabon, das immer auch mit Essen zusammenhängt. Lissabon, Lisboeta – Rezepte und Geschichten aus der Stadt des Lichts ist bei Prestel erschienen.

Vereinfacht könnte man das Kochbuch Lissabon als eine Annäherung in zwei Blöcken bzw. Zugängen beschreiben. Da sind zunächst der kulinarische Teil mit Rezepten und dem Drumherum und dann gibt es noch die sehr persönliche Auseinandersetzung mit der Stadt, die sich in sechs kleinen Textformaten, die im Buch verteilt sind, manifestiert. Darin beleuchtet Nuno ausgewählte Themen wie Entdeckungen, Café-Kultur, Tascas, Fisch, Strandleben und Santo Antónió. Diese Aspekte prägen seiner Ansicht nach die Stadt, machen ihre Einzigartigkeit aus. So ist auch meine Vorstellung von Lissabon, die mit der berühmten Straßenbahn, der Farbe Gelb und süßem Gebäck verknüpft ist.

Mendes Inserts sind schöne, an Historien reiche kurze Geschichten mit viel hintergründigem Wissen. Alles beginnt in der Markthalle, wo der Handel blüht und die frischesten Lebensmitteln und die aufregendsten kulinarischen Genüsse angeboten werden. Der Mercado da Ribeira ist das Bindeglied zwischen Geschichte und Jetzt, zwischen Land und Stadt. Der Duft von Gewürzen aus fernen Ländern vermischt sich mit dem süßen Duft der Cremetörtchen und den starken Aromen von Zitronen, Knoblauch und dem Kabeljau. Frauen dominieren hier und die Fischverkäuferinnen genießen einen legendären Ruf. Die Markthalle ist quasi der Spiegel der portugiesischen Esskultur. Auf diese geht Mendes in weiterer Folge genauer ein. Der Hauptteil widmet sich daher den Gerichten, die auf sieben Kapitel verteilt, in gewissem Sinne dem Tagesablauf der Lisboetas geschuldet sind. Vormittags stehen also Gebäck und Snacks an, die vom Mittagessen abgelöst werden. In den Nachmittagsstunden gibt es gelegentlich Kleinigkeiten, die auf einem kleinen Teller serviert werden, ehe das zweite große Tagesmahl, das Abendessen, gereicht wird. Gefolgt wiederum von Nachspeisen und Sandwiches.

In der Einleitung nimmt Mendes uns mit auf einen Spaziergang durch Lissabon, wir fahren ein Stück mit der berühmten gelben 28er Tram, lernen einige seiner Freunde und Kochkollegen kennen, lauschen gemeinsam der Fadosängerin Amália Rodrigues die von der portugiesischen Großzügigkeit und Gastfreundschaft singt. Es ist ein Vorgeschmack des Lebensgefühls der lisboetas, das uns Nuno vermitteln will. Natürlich ergänzt mit vielen Rezepten und Geschichten.

Und schon tauchen wir ein in die Welt der Pastéis, dem kleinem Gebäck, das uns mit einem Espresso, stark und schwarz, den Tag angenehm beginnen lässt. Aber es wäre nicht Nuno, wenn er nicht im Vorfeld aufklärte, wie sehr diese süßen Leckereien die portugiesische Esskultur prägen und wir uns dann entscheiden müssen, was wir essen, d.h. vorher backen wollen. Es fällt Nasch- katzen wie ‚meiner-einer‘ schwer, sich zu entscheiden zwischen Mandelcreme-Dreiecken oder Puddingtörtchen, die eine Annäherung an die Pastéis de nata sind, oder Krapfen mit Süßkartoffelcreme, diese wiederum ein Weihnachtsgebäck.

Am späteren Vormittag ist Salgados, also Fingerfood der Extraklasse, angesagt. In den Tascas oder Snackbars werden zwischen 11 und 12 Uhr herzhafte Kleinigkeiten angeboten, die frisch frittiert und direkt aus der Pfanne am besten schmecken. Aber Vorsicht, nur all zu leicht wird man durch betörenden Duft verführt, sofort hinein zu beißen, wobei man sich die Zunge verbrennt. Kalt schmecken die Salgados, in denen auch das Wort sal also Salz steckt, nicht. Mendes stellt einige seiner Lieblings-Salgados vor, wobei mich die Grünen Eier, Ovos verdes sofort faszinierten und ausprobiert werden mussten. Sie schauen nicht nur fantastisch aus, sie schmecken auch so.

Mittags werden in Portugal gewöhnlich drei Gänge serviert. Meistens wird Suppe bestellt, dann Fisch oder Fleisch mit Reis und Kartoffeln und am Ende ein Nachtisch sowie Kaffee. Dieser Abschnitt ist dann auch der umfangreichste, streicht damit den Stellenwert des Mittagessens bei den Portugiesen heraus. Hier offenbart sich auch der wahre Charakter der portugiesischen Esskultur als eine Küche deftiger Hausmannskost mit raffinierten Kombinationen. Der Grünkohleintopf mit chourico und Kartoffeln ist so ein herzhaftes Gericht. Dazu ein Glas Bier, ideal für die Winterzeit. Der gebackene Kabeljau mit karamellisierten Zwiebeln und Kartoffeln fällt schon in seiner äußeren Erscheinung auf, weil die oberflächlich drapierten Eierhälften und dazwischen gestreuten schwarzen Oliven den Blick auf sich ziehen und der Fisch in die Tiefen des Tellers zwischen die Kartoffelstücke abtaucht. Aber kaum nimmt man den ersten Bissen in den Mund, entführt uns die unvermutet cremige Konsistenz dieses Fischgerichts in glückselige Zufriedenheit. Ein wunderbares Essen mit Überraschungseffekt. Auch die Brotsuppe mit Garnelen hatte ähnliche Wirkkraft. Deftig geht es in diesem Kapitel zu mit einigen verblüffenden Erfahrungen, was an Kombinationen möglich ist. Zum Beispiel der Tomatensalat mit Erdbeeren) oder die Cataplana mit Seeteufel und chourice, eine interessante Genussmischung von Fisch, Wurst und Muscheln. Und natürlich fasziniert die Cataplana, ein Topf aus zwei Halbschalen bestehend, die mit Klappen zu einer verschlossenen Pfanne werden. Dieses Kochgeschirr wurde von den Mauren eingeführt.

Auch im Kapitel Abendessen sind die Akteure Kabeljau, Huhn und Fleisch anzutreffen, wenn auch mehr das Gemüse im Vordergrund steht, so meine subjektive Einschätzung. Der gebackene Sellerie mit Fenchel-Koriander-Brühe wie auch der gegrillte Spitzkohl mit Knoblauchbutter und weißen Bohnen bestätigen dann, was mit portugiesischem Essen allgemein verbunden wird: viel Koriander und viel Bohnen. Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit, denn die ganze Wahrheit ist, dass in dieser Esskultur die gesamte Welt vertreten ist, im süßen Milchreis der Orient, im Maisbrot Amerika. Will heißen, dass die portugiesische Küche eine Küche der Entdecker ist, die entdeckt werden will. Mit dem Kapitän Nuno Mendes segeln wir von einer kulinarischen Erscheinung zur nächsten und entscheiden selber, welche davon in unserer Küche materialisiert wird.

Nuno Mendes‘ Kochbuch Lissabon, Rezepte und Geschichten aus der Stadt des Lichts, ist eine tolle Entdeckung am Kochbuchhimmel. Allein wie der Lichtkünstler Andrew Montgomery mit seinen Bildern die Stadt und die Speisen einfängt, macht sprachlos. Sie bereichern das Buch ungemein, wie auch die Übersetzung als einfühlsame Nachdichtung hervorzuheben ist. Dem Autor Mendes gelingt es, die Stadt und ihr besonderes Flair authentisch zu beschreiben, dass man am liebsten losziehen möchte, um die Köstlichkeiten an den beschriebenen Plätzen auszukosten. Das geht sogar, denn am Ende des Buchs sind einige gute Adressen von Lissabons Cafes, Bars, Restaurants und Märkten aufgelistet. Ich aber nehme das Buch zur Hand und segle Richtung Küche, denn die betrunkenen Feigen mit Pistazien und Sahne habe ich meiner Frau schon lange versprochen.

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