Nadine Levy Redzepi, Downtime

Soulfood der Extraklasse

Fotografiert von Ditte Isager
Aus dem Englischen von Annika Genning
Knesebeck Verlag, München, 2018, 304 Seiten, mit Lesebändchen, 36.-- Euro
ISBN 978-3-95728-232-3
Vorgekostet

Heute reisen wir nach KOPENHAGEN.

Wer durch die Hauptstadt Dänemarks streift, begegnet mindestens zwei Wanderern von Weltgeltung. Da treffen wir auf den Philosophen Sören Kirkegaard, der von der Menschheit nicht sehr überzeugt ist, wenn er behauptet, dass „die meisten Menschen so sehr dem Genuss nachjagen, dass sie an ihm vorbeilaufen“. Ein Zeitgenosse und nicht weniger pessimistisch ist Hans Christian Andersen mit seinen oft traurigen Geschichten. Er verfasste berühmte Märchen wie „Das hässliche junge Entlein“ oder „Die Prinzessin auf der Erbse“ oder „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“, die die Fantasie vieler Kinder anregen. So auch die des kleinen Mädchens, das beim Schein eines abbrennenden Streichholzes in eine Stube hineinsah, „wo der Tisch mit einem blendend weißen Tischtuch und feinem Porzellangedeckt stand, und köstlich dampfte die mit Pflaumen und Äpfeln gefüllte, gebratene Gans darauf.“

Wer heute durch die Gassen Kopenhagens spaziert, könnte zwei anderen Persönlichkeiten über den Weg laufen, die vor allem das moderne Leben dieser Stadt repräsentieren. Während René Redzepi in sein weltberühmtes Restaurant Noma eilt, nutzt Nadine Levy Redzepi die Zeit, auf dem Markt fürs Familienessen einzukaufen. Noma ist die Heimat des Ausnahmekochs René. Das ist der Ort seiner beruflichen Herausforderung, wo er sein Geld verdient und er den Speisezettel vorschreibt. Zuhause sind die Redzepis eine Etage über dem Restaurant. In der großzügigen Wohnküche ist Nadine die Chefin. Dort kocht sie für ihre drei Kinder und René. Oft kommen Gäste zu Besuch, auch berühmte Küchenchefs, die sich auch von Nadine kulinarisch verwöhnen lassen. Dann spielt im Hintergrund leise Musik, die zwei älteren Töchter helfen beim Schälen des Gemüses, waschen den Salat oder streiten sich, wer die Vinaigrette machen darf.

Grundsätzlich ist Kochen für Nadine Entspannung und die wichtigste Verbindung zu ihrem familiären Umfeld. Dann ist Downtime, die mit Essen und Trinken gekoppelt ist. Downtime kann vieles bedeuten: Freizeit, Auszeit, Produktionsausfall, Störungsdauer, Reparaturzeit, Arbeitspause oder einfach Zeit der Muße. Für Nadine eine Zeit des produktiven Stillstands oder anders ausgedrückt, ihre Freizeit im eingeschalteten Kochmodus. Downtime ist deshalb auch der Titel ihres ersten Kochbuchs, das im Knesebeck Verlag nun auf deutsch erschienen ist.

Im Vorwort gesteht René, dass er früher Chefköche wegen ihrer Kochkunst bewunderte. Heute gilt seine Hochschätzung den Eltern, Großeltern und Erziehern, die ihren Kindern Essen kochen, das sie nicht gleich wieder ausspucken. Deshalb ist Nadine für ihn die fähigste Köchin, die er kennt, und Downtime eine Sammlung von Rezepten der Extraklasse. Letzteres verspricht jedenfalls der Untertitel.

Einfach genial ist die Einteilung des Kochbuchs in die drei Hauptkapitel Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts. Sie werden von kleineren Abhandlungen tangiert, die sich dem Vorratsschrank wie auch den Küchengeräten widmen und zu guter Letzt einen biographisch geprägten Einblick in das Leben der Familienküche gewährt. In den drei Hauptblöcken kann es zu Überschneidungen kommen, wenn bspw. Vorspeisen zu Hauptgerichten aufgepeppt oder Frühstücksklassiker wie Omeletts oder Porridge zum Abendessen serviert werden. Das macht aber nichts, denn grundsätzlich gilt: „Wenn man etwas kocht, worauf man selber Lust hat, kann man nichts falsch machen.“ Downtime ist nicht für die gehobene Küche gedacht, sondern Familienküche. Für die alltagstauglichen Rezepte muss man keine gefinkelten Kochtechniken beherrschen, allerdings sind einige dabei, für die der gesamte Arbeitsaufwand mindestens zwei Stunden beträgt, manche auch mehr. Daher empfiehlt es sich unbedingt vor dem Loslegen, die Kurzbeschreibungen der Rezepte, die am jeweiligen Kapitelanfang zusammengefasst sind, zu lesen. Da erfährt man von den selbst gemachten Kartoffelchips mit Sardellenhumus: für diese zwei Basics, die selbstgemacht besser schmecken, beträgt die Arbeitszeit 30 und der gesamte Aufwand mindestens 40 Minuten. Dass für das Kartoffelpüree mit grünem Gemüse und gebeiztem Eigelb etwa zwei Stunden einzukalkulieren sind. Und die Topinambur-Mandelmilch-Suppe benötigt 20 Minuten Arbeit und 50 insgesamt.

Zu Beginn serviert Nadine oftmals Fingerfood anstelle eines ersten Gangs. Dabei vergibt sie an die Gäste und Familienmitglieder gerne Aufgaben, bindet sie ein in den Herstellungsprozess der Mahlzeiten. Eine Geste, die mir sehr gut gefällt und die ich auch immer wieder anwende. Es gab bisher noch keine Ablehnung.

Übernommen als Idee habe ich von der Autorin die Kartoffel als zentrale Zutat für Vorspeisen. Das hat sich bewährt und die Potato Skins mit Lachsrogen machten nicht nur als eyecat- cher Eindruck auf meine Gäste. Sie wurden ratzeputz verzehrt. Beim nächsten Mal gibt es mehr. Imponiert hat mir auch – und nicht nur weil es schnell zu machen ist – der Lauch mit Vinaigrette, Schinken und Pinienkernen. Die Wurzeln dieses Gerichts liegen in Frankreich, vielleicht empfiehlt Nadine deswegen, diese Vorspeise warm zu servieren und ein Glas Sekt dazu. Ich be- vorzuge aber die skandinavische Tradition und esse dieses bekömmliche Lauchgericht mit einer Scheibe getoastetes Roggenbrot, bestrichen mit leicht gesalzener Butter. Es empfiehlt sich, die Topinambur-Mandelmilch-Suppe nicht mit den Fingern zu essen. Dieses cremige Süppchen mit vier nussigen Geschmacksnoten ist so sättigend, dass sie in kleinen Portionen gereicht wird, also eher ein Gruß der Küche ist.

Nadine Redzepis Vorspeisen sind sehr vielfältig und überraschen in ihrer Feinabstimmung. Während wir uns den letzten Bissen des Kurkumabrots mit Kräuterauberginen in den Mund schieben, bereiten wir uns innerlich vor, uns wieder zivilisiert zu benehmen. Mit Gabel und Messer werden wir nun dem deftigen, sättigenden, intensiv aromatischen Hauptgang zu Leibe rücken. Da es sich in erster Linie um unter-der-Woche-Gerichte handelt, gilt es zwei Ansprüche in der Essensplanung zu berücksichtigen. Zum einen sollen die Gerichte abwechslungsreich sein und zum anderen ist die Zeit ein knappes Gut, da für Nadine die alltäglichen Dinge des Tages wie Hausaufgaben, Windelwechseln und Gute-Nacht-Geschichten gemeistert werden müssen. Frische Waren und Vorräte kommen dann gleichermaßen zum Zuge, wobei Eier die wahrscheinlich abwechslungsreichste Zutat in ihrer Küche sind. Und so unterteilt sie die Hauptgerichte in Ofengerichte, denen Pastavariationen folgen, die wiederum von Alles aus einem Schüsselgericht abgelöst werden. Diesen folgen Eier zum Abend, die von Pfannengerichten verdrängt werden. Dann kommt noch einmal die Ofenzeit = Freizeit ins Spiel, bis man schlussendlich beim Niedrigtemperiertem und langsam Gegarten ankommt. Aus dem großen Angebot an Hauptgerichten musste ich unbedingt den Auberginenauflauf probieren. Der zwar einiges an Aufwand abforderte, aber als Abendessen serviert uns alle begeisterte. Wie Schnitzel werden die entwässerten Auberginenscheiben mit Käse herausgebacken und dann noch im Bräter wie eine Gemüselasagne abwechselnd mit der Tomatensauce geschichtet. Eine sättigende Angelegenheit, die sich lohnte und sehr lecker war.

Aus dem großen Angebot an Desserts buk ich die Apfeltarte nach traditioneller Art. Es war der Geburtstagskuchen für meinen Sohn Matthias. Fast wäre ich daran gescheitert, denn der blind gebackene Tarteboden zerbrach wegen meiner Ungeduld in einige Teile. Aber die Mandelpaste, die eigentlich als Isolierung verhindert, dass der Teigboden von den Äpfeln durchnässt wird, agierte hier auch als Leim und die hinein geschichteten Apfelspalten verdeckten das Malheur zudem. Anzumerken sei, dass die Mandelpaste sehr einfach und schnell selbst herzustellen ist und kein Fertigprodukt verwendet werden muss, wie vorgegeben. Geschmeckt hat die Tarte vorzüglich und ward auch recht schnell von den Geburtstagsgästen verschlungen. Also ein voller Erfolg, wie man sieht und sie wird wohl noch öfters von mir gebacken werden. Aber davor gilt es, noch einige aus den vielen Dessertangeboten auszuprobieren, etwa das Dänische Apfeldessert oder den Haselnuss-Krokant-Kuchen oder den poppig aussehenden Macaronkuchen. Das heißt aber nicht, dass Nadine nur Kuchen zum Nachtisch reicht. Nein, es gibt auch Eiscreme aus Sahne, Milch und echter Vanille, Nadines dekadentes Tiramisu, eine himmlische Pannacotta mit Karamell und und und …

Für Nadine Redzepi bedeutet Genuss Leben – sie jagt ihm nicht hinterher, wie Kirkegaard andeutet. Sie nimmt sich Zeit fürs Einkaufen und Kochen und davon profitieren ihre Familie, ihre Freunde und letztendlich wir, die ihr Familienkochbuch in Händen halten. In diesem stellt sie einfache, zum Teil bekannte Gerichte mit ihrer persönlichen Note vor. Ausführlich sind die Rezeptbeschreibungen mit vielfach lobenden Anmerkungen und Tipps. Manchmal etwas umständlich in der Formulierung – fast schon pädagogisch – aber gut verständlich sollen die Rezepte zum Nachkochen anregen. Das tun sie. Ein Übriges trägt das schöne Design bei, wie auch die Fotografien von Ditte Isager, die die Gerichte sehr anschaulich in Szene setzt. Fotos, in die man versucht ist hinein zu beißen, so plastisch wirken sie. Aber das Schlusswort hat Nadine Levy Redzepi: Ich nahm mir vor, ein Familienkochbuch zu schreiben, etwas, das von einer Generation in die nächste weiter gereicht werden kann. That‘s Downtime.

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