Heute reisen wir ins Reich der KUNST.
Genauer, in das Reich der Kochkunst. Unsere Reiseführerin ist Alessa Dostal, eine junge Illustratorin und Malerin. Ausgangspunkt sind Mutters Kochrezepte, die Alessa illustrieren wollte und nicht genau wusste, wie. Deshalb kochte sie zuerst alle Rezepte nach. Dabei wurde ihr schnell bewusst, dass sie keine klaren Vorstellung davon hatte, wie das Ergebnis aussehen sollte. Ein Umstand, der sie anfänglich störte, aber je länger sie kochte, desto freier und experimentierfreudiger wurde sie. Das Aussehen des Gerichts wurde Teil des Augenblicks, orientierte sich an den verwendeten Lebensmitteln, deren Farbe, Konsistenz und Geschmack. Flexibilität war gefordert und die Ergebnisorientierung eine variable Prämisse. Weiters bedeutete das, dass es kein Foto von den Gerichten geben muss. Und so konzipierte Dostal ein Kochbuch, worin die Zutaten und Arbeitsschritte nonverbal, d.h. gezeichnet sind, quasi in Piktogrammform vorliegen. Aber damit keine Missverständnisse entstehen, ist die Zubereitung immer auch als Text ausformuliert wie auch die Mengenangaben unter der jeweiligen Zutat. Zeitangaben fehlen, während die Portionsgrößen in Suppenschüsseln, die unter den Rezepttiteln angeordnet sind, ausgedrückt werden. Bspw. beim Salat mit Büffelmozarella sehe ich zwei Suppenteller, das ergibt, naja, Sie werden es herausfinden …
Alessa Dostal geht noch einen Schritt weiter. Sie plädiert fürs individuelle Variieren der Zutaten, fordert sogar auf, unserer Experimentierlust freien Lauf zu lassen. Zum Beispiel ist der Radicchio durch Chicorée ersetzbar, wenn es darum geht, eine deutlichere Bitternote herauszustreichen.
Aber Halt: Wir wissen ja noch nicht mal, von welchem Kochbuch wir hier sprechen. Ziege mit Himbeere ist der sehr originelle Titel dieses Koch-Kunst-Buches, das im Verlag Freies Geistesleben herausgekommen ist. Darin werden 55 Rezepte vorgestellt, die generationenübergreifend sind. Denn, es handelt sich um die Lieblingsrezepte von Alessas Mutter, die von Alessa nachgekocht auf Alltags-Tauglichkeit für dieses Kochbuch geprüft wurden und jetzt vielleicht sogar schon von der dritten Generation nachgebaut werden.
Zugegeben, bei diesem Titel und mit dem Titelbild dachte ich sofort an ein Kinderbuch. Die Zeichnungen sind sehr realitätsnah und leicht distanziert gleichzeitig, enthalten ein spielerisches Element, das schwer in Worte zu fassen ist. Im ersten Gericht ist die Aubergine die Hauptakteurin. In Ringe geschnitten, steht sie wie der schiefe Turm von Pisa auf dem Schnittbrett. Man könnte darin auch eine Bauchtänzerin sehen. Manche Bilder lassen viel Deutungsspielraum zu. So demonstrieren Küchenfließen mit Fischmotiven für mich die Reichhaltigkeit der Fischsuppe. Erinnern mich an Portugal. Sehr zurückhaltend und doch so treffend ist die bildhafte Verknüpfung zu den Matjes nach Hausfrauenart. Da sieht man nur eine Katzenpfote am unteren Bildrand, die sich langsam über den Tischrand schiebt, um nach dem Hering zu angeln, dessen Schwanz über den Tellerrand hängt. Und mit dem Kartoffelgratin werden wir aufgeklärt über die Knollenvielfalt. Plakativ und in voller Farbenpracht werden Rosalinde, Laura, La Ratte, Blauer Schwede und einige Kartoffelsorten mehr hier vorgestellt. Dieses Schema, auf der einen Seite das Rezept und auf der anderen eine bildhafte Assoziation zieht sich durchs ganze Buch.
Formal sind die Rezepte in fünf Kategorien unterteilt: salzig, sauer, scharf, bitter und süß. Das ist auch die Kapiteleinteilung.
Die Gerichte sind Hausmannskost mit leichtem Hang zum Mediterranen. Die Spinatlasagne ist ein guter Einstieg. Die Zubereitungsbeschreibung ist etwas ungenau. Der Spinat ist zuerst entkoppelt von der Ricotta-Masse und dann beim Schichten plötzlich eins. Aus den klassischen drei Schichten werden zwei, wie in der Zeichnung. Warum ganz obenauf Gruyère gestreut und der Parmesan separat gereicht wird, hat sich mir nicht ganz erschlossen. Auch die drei Eier, die der Ricotta-Sahne-Mischung Halt geben, ist wohl eine deutsche Sicherheitsmaßnahme und in keinem italienischen Lasagne-Rezept zu finden. Die Schicht-Pasta schmeckte gar nicht so schlecht, inspirierte mich aber zu einer Art Auflauf mit Palatschinken anstelle der Teigblätter und das war ein Hit. Ausprobiert habe ich auch den Blumenkohl polnisch, der sich sehr puristisch gibt. In Salzwasser bissfest gekocht wird er mit Croûtons und würfelig geschnittenen Eiern serviert. Auf der Suche nach etwas Neuem für Nachher, stieß ich auf die Joghurtbombe. Sie wird wenig gezuckert mit Grapefruits garniert, was wohl die Voraussetzung war, dass sogar beharrliche Süßspeisegegnerinnen davon kosten mussten.
Erstaunlich hoch ist der Wiedererkennungrad, lassen sich die einzelnen Piktogramme den Zutaten treffsicher zuordnen. Butter wird immer mit einem Messer und einem Stück Butter auf der Klinge dargestellt. Kochtopf ist klar, Sieb ist klar, wie die meisten Küchenutensilien. Fischfilet, von Seezunge, Heilbutt oder Felchen ist wie ein langer Dorn gezeichnet, gleicht einer Karotte und nicht unähnlich der Rinderroulade, nur ist die dicker und stumpfer. Man muss bei einigen Lebensmitteln sehr genau schauen, was dann mit etwas Übung recht gut gelingt. Mein Enkel Jakob und ich hatten viel Spaß beim Entziffern der Piktogramme, wobei ich den Vorteil hatte, dass ich die Zutatenliste lesen kann. Mit seinen drei Jahren hat er viel erkannt. Z. Bsp. den Pfefferstreuer, die Eier und einiges mehr.
Anlässlich eines Geburtstagsessens war mein Beitrag der Salat mit Ziegenkäse. Die heißen Ziegenkäsescheiben umgeben von frischen Himbeeren und aufgebrochenen Feigen waren das i-Tüfelchen zum Festessen. Von der Verwendung gefrorener Himbeeren würde ich abraten. Das Koch-Kunst-Buch Ziege mit Himbeere wurde aufgeschlagen hinter den Salattellern aufgestellt. Und natürlich mussten alle Anwesenden das Rezept abfotografieren und in dem Kochbuch blättern, sorgte so für einigen Gesprächsstoff. Und klar, das Buch wechselte den Besitzer.
Ziege mit Himbeere ist ein sehr schön gestaltetes Druckwerk mit praxistauglichen Rezepten. Wenn auch die Anwendung anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig ist, man ist schnell im Piktogramm-Modus und es macht Spaß. Manche Rezepte kennt man, manche sind neu. Ich finde, es ist ein schönes Geschenk für kunstsinnige Köchinnen und Köche, aber auch für Großeltern, die mit ihren Enkeln spielerisch Piktogramme enträtseln. Von Alessa Dostal entzückend illustriert. Allein schon das Titelbild der Ziege mit der Himbeere zwischen den Lippen ist großartig. Und wie bspw. der Salat mit Büffelmozarella auf dem Servierteller angerichtet wird, bleibt Ihnen überlassen, ist das nicht großzügig?