Heute geht es um ein Garten-Kochbuch.
Im Untertitel von Alice Waters The Art of Simple Food heißt es: Rezepte und Glück aus dem Küchengarten. Damit ist auch der Rahmen abgesteckt, in welchem Umfeld wir uns bewegen – Küche und Garten.
Die Autorin Alice Waters ist eine Ikone der US- amerikanischen Kochkultur, wie es Marilyn Monroe für den Film oder Buffalo Bill für unsere Vorstellung vom Wilden Westen ist. Waters gilt als die Erfinderin der cuisine california. Ein Trend, der diametral entgegengesetzt zu Fast Food, dem Slogan „Hauptsache gesund“ verpflichtet ist und das riesige Angebot von Obst und Gemüse – das faktisch vor der Haustür wächst – nützt. Dass es in den USA eine recht große Slow Food Bewegung gibt, ist ihr zu verdanken. Ein Frankreichaufenthalt Anfang der 70er Jahre verführt die ausgebildete Montessori-Lehrerin in die Welt der Kochkunst und verändert nachhaltigst ihr Leben. Zurück in den Staaten, die Studentenunruhen sind noch nicht ganz verklungen, eröffnet sie 1971 in Berkley das legendäre Chez Panisse. Ein Menü pro Tag und langsam kochen ist das Erfolgsrezept. In 44 Jahren läppert sich einiges zusammen an Erfahrungen sowie Rezepten, was sich mittlerweile auch in acht Kochbüchern ausdrückt. Eine Zutat fehlte noch, der Garten und die Leidenschaft für die Pflanzen, vor allem Nutzplanzen. Nun ist sie komplett. An die Welt des Grüns sind bei ihr früheste Kindheitserinnerungen geknüpft und später der Wunsch, das Lieblingsessen selbst anzubauen. Ihr Küchengarten ist Sehnsuchtsort und Laboratorium „sorgfältig ausgewählter Zutaten voller Kraft und Leben“, wie sie im einleitenden Kapitel „Mein Küchengarten“ schreibt, die entscheidend sind für den Sprung von „gut kochen“ zu „unwiderstehlich kochen“. Aus Respekt vor der lebenswichtigen Gartenarbeit und im Bewusstsein, dass Essen kostbar ist, wurde The Art of Simple Food geschrieben. Grün ist auch der Umschlag dieses Kochbuchs, dunkles Spinatgrün der Leinenrücken, in hellem Salatgrün das Cover, unter dem Titel die feine Zeichnung einer Schüssel mit Salatblättern. Darunter die Verheißung Rezepte und Glück aus dem Küchengarten. Einfach und edel der äußere Eindruck. Im Innenteil keine Fotos, dafür viele Zeichnungen von Patricia Curtan. Die sind gut, schwarz-weiß, detailgenau. Ob Sauerampferblätter, Spargelstängel, Süßkirschen, die Farben Grün, Gelb, Rot werden im Kopf des Betrachters, also meinem, automatisch hinzugedacht. Der Fokus liegt ganz auf den Kulturpflanzen. Sie stehen im Mittelpunkt, um den herum sich das Kochbuch aufbaut. In einem ersten Teil ist der Geschmack als Inspiration der Aufhänger, an welchem unterschiedliche Gemüse- und Obstgruppen, wie an einer Tafel dargestellt werden, wobei sie kapitelmäßig dem Jahreslauf folgen.
Die kulinarische Reise beginnt mit den Kräutern und ihren Blüten, dann kommen die zarten Blätter der Salate, die geheimen Helden Knoblauch, Zwiebel und Lauch, es geht vorbei an unterirdischen Schätzen, den Wurzeln und Knollen, knackigen Stängeln von Fenchel, Staudensellerie, Spargel, Rhabarber und Kardonen! Ups, noch nie gehört? Cynara cardunculus, die Kardonen sind mit der Artischocke verwandt, schauen aus wie Staudensellerie und als Salat, geschmort mit Olivenöl oder als Kardonen-Gratin mit Bechamelsoße und Parmesan eröffnet sich ein neuer Geschmack, zwischen Mangold und Rhabarber, so mein gewagter Vergleich. Aber wir reisen weiter. Hinein in den Hochsommer, flankiert von Erbsen, dicken und grünen Bohnen, tauchen erste Tomaten, Auberginen, Paprika, Mais und Okra auf, die, von farbenfrohen Zichorien abgelöst, weiterleiten zum unentbehrlichen Blattgemüse. Diverse Kohlsorten, Mangold, Spinat sind erste Vorboten des Winters, dann wird es windig. Brokkoli, Blumenkohl (Karfiol) stehen stramm, das Sommerobst wird geerntet, späte Erdbeeren und Brombeeren vom Busch geklaubt, die Nüsse, Herbst- und Zitrusfrüchte läuten das Ende der Reise ein. Gemüse und Früchte haltbar machen ist die letzte Station von insgesamt 16.
Jede Haltestelle, d.h. Kapitel, wird mit einem Vorspann und Bild eingeleitet. Sodann verschafft eine großzügig gestaltete Rezeptliste den ersten Überblick, die in ausführliche Produktbeschreibungen mit Rezepten münden. Beispielsweise erfährt man über die Okraschoten dass sie auch Ladyfingers heißen. Fritiert, gegart oder in Suppen verwendet, liebt man sie. Aber wer Okra hasst, der hatte vielleicht nur einen ungünstigen ersten Eindruck. Und Alice Waters erklärt dann, wie man sie vielleicht doch noch mögen könnte. Das ist eine der Stärken von ihr, dass sie das Gute herausstreicht bzw. neue Zugänge schafft, Obst und Gemüse eventuell anders zu verarbeiten und somit zu einer kulinarischen Neubewertung führt. In diesen kurzen Produktbeschreibungen fließen sowohl Kocherfahrungen und Tipps ein, bis hin zu persönlichen Gefühlen, als auch Botanisches und Gartentechnisches. Die beigestellten Okrarezepte sind Okras in Maisgries frittiertmit zwei Variationen und Sautierte Okras mit Tomaten und Gewürzen. Letzteres habe ich ausprobiert und als Beilage zu einem indisch angehauchten Hühnchengericht serviert. Mit Bockshornklee, Koriander und Kreuzkümmel gewürzt, harmonierte es hervorragend mit dem indischen Gericht.
Spannend und neu für mich waren die Panierten Grünen Tomaten. Für diesen Versuch opferte ich zwei Green Zebra-Tomaten. Das leicht säuerliche der Tomaten gepaart mit der knusprigen Panade schmeckte sehr gut und eignet sich m. E. für eine Vorspeise der besonderen Art.
Nachgekocht habe ich auch das Butternusskürbis-Knollensellerie-Gratin, das ich Ihnen am Ende vorstelle. Dabei werden Sie auch feststellen, dass Waters die Rezepte nicht wie üblich in Zutaten und Zubereitung trennt, sondern beides in einem einzigen Textfluss vereint. Die Zutaten werden dabei fett hervorgehoben und das reicht zum Schreiben der Einkaufsliste.
Dreiviertel des Buches sind den Rezepten und Gartenprodukten gewidmet, der Rest – etwa 90 Seiten – dem Neuen Küchengarten. Mit diesem zweiten Kapitel, Vom Samenkorn zur Samenernte, führt Alice Waters ihren privaten Missionierungsfeldzug für den essbaren Garten, für nahrhafte Lebensmittel, gesundes Essen generell. Es ist auch ein Plädoyer für den Anbau des eigenen Essen – quasi step by step zum eigenen Küchengarten mit vielen Infos.
Herausragend finde ich allerdings den ersten Teil – die Rezepte und ihren Zugang zu den Kulturpflanzen, der sehr liebevoll ist. So schreibt sie bspw. über Bohnenkerne: Viele sind umwerfend schön anzusehen, in kräftigen Farben, gestreift und gesprenkelt in unglaublichen Mustern auf ihrer glänzenden prallen Oberfläche. Freude, Ehrfurcht und Respekt im Umgang mit den Nutzpflanzen sind Waters Charakteristika. Dieses Kochbuch ist ein Meisterwerk.