Alison Roman, Dining In

Freche Rezepte, genial einfach und verblüffend im Geschmack

Fotos von Michael Graydon und Nikole Herriott
Übersetzung aus dem Englischen von Claudia Theis-Passaro
Narayana Verlag, Kandern, 2. Auflage 2020, 328 Seiten mit Lesebändchen, 35.- Euro
ISBN 978-3-96257-106-1
Vorgekostet

Heute reisen wir nach NEW YORK.

Sie ist wohl die bekannteste Stadt der Welt, liegt am Hudson River und ist ein Hot Spot der Kulinarik. Die Bandbreite reicht von Foodtrucks über Delis bis hin zum Sternerestaurant à la Eleven Madison Park. Aber die sind heute nicht unser Thema, wir bleiben privat.
Alison Roman ist eine Zugezogene, die sich prima den New Yorker Verhältnissen angepasst hat. Die Küche ist klein, Mixer besitzt sie keinen. Sie benutzt immer dieselbe Edelstahlpfanne, die meisten verwendeten Zutaten sind einige gängige Nahrungsmittel, die ihren wohlverdienten Platz im Kühl- bzw. Küchenschrank haben. Wenn Alison in ein Restaurant geht, bestellt sie Gerichte, die sie niemals kochen oder selbst machen würde. Bspw. geröstetes Knochenmark auf Toast oder ein stundenlang zubereitetes japanisches Tonkotsu-Ramen. Aber ihre größte Freude ist, für andere wie für sich selbst zu kochen. Und ihre Messlatte ist hoch – es sollte zuhause genauso gut schmecken wie auswärts, in einem guten Restaurant.
Alison Roman hat klare Vorstellungen, was sich früh abzeichnete, sonst hätte sie nicht gegen den Willen der Eltern das College geschmissen, um Kochen zu lernen. Das ist ihre Bestimmung und die Zahlen sowohl der Follower ihres Blogs als auch die der verkauften Kochbücher geben ihr recht. Ihr Erfolgsgeheimnis sind die einfachen, gelingsicheren Rezepte, die sie ins Internet stellt und nun überarbeitet in einem Kochbuch zusammenfasste. Dining In ist im Narayana Verlag auf deutsch herausgekommen. Es sind Rezepte, die weder abschreckend anspruchsvoll sind noch so simpel und offenkundig, dass man sich fragen muss, wozu man überhaupt das Buch gekauft hat, schreibt sie in ihrer Einführung. Das ist schon mal ein gut nachvollziehbares Konzept, würde ich ergänzen. Ihre Rezeptesammlung ordnet die Autorin irgendwo zwischen ‚drüber’ und ‚normal’ ein. Dazu gibt es viele Tipps, damit das Kochen mit der Zeit immer leichter von der Hand geht.
In acht großen Kapiteln offeriert Alison ihre Rezepturen.
Vorangestellt werden aber erst mal ihre persönlichen Zugänge, die sich an organisatorische Fragen, eben der Vorratshaltung und der Würzmittel konkretisieren. D. h., es geht um die Dinge, die ihre Gerichte am meisten beeinflussen. Zutaten, die sie zu einer besseren Köchin machen. Diese Einstellung zu übernehmen ist gar nicht übel, zumindest dann, wenn man sich auf Alisons Gerichte einlässt.
Zu diesen als Vorrat gehaltenen Zutaten gehören neben Sardellenfilets, Kapern, Fischsauce, verschiedene Salze ohne Rieselhilfen auch verschiedene Olivensorten, Parmigiano im Stück, Harissa, Brotbrösel, Nüsse, Kokosöl, Olivenöl, Tomaten in der Dose, Zitrusfrüchte und einiges mehr. Ausführlich werden sie beschrieben, denn diese Zutaten werden in ihren Rezepten bevorzugt. Vorher aber widmet sie sich den Würzmitteln, die sie selbst am liebsten nutzt und die fast universell in den verschiedensten Gerichten zum Einsatz kommen. Wie etwa das Chili-Öl, von dem Alison behauptet, dass man die Qualität eines Szechuan-Restaurants an diesem Öl erkennt. In den besten steht auf jedem Tisch ein Töpfchen des feurigen Zeugs mit in Neonorange leuchtendem salzigen Öl, in dem kleine flockige Samenstückchen schwimmen, und das fast zu scharf zum Essen ist. Mit diesen Würzmitteln richtet Alison manche Zwischenmahlzeit an, rettet gar fadeste Salate. Ich erkenne: Es hat was, sich diese Wunderwuzzis vorrätig zu halten. Ob Allrounder Saatenmix, frisches Zatar, Salsa verde die x-te, grüne Romanesco, zitroniges Tahini-Dressing, einfache Salz-Pfeffer-Lake, Rote-Bete-Lake, diverse Brotbrösel-Kombinationen, Mayonnaise für Leute, die keine mögen usw.. Diese vorgefertigten Würzmittel halten sich einige Tage im Kühlschrank.
Nach diesem Vorgeschmack kommen wir zu den eigentlichen Rezeptkapiteln. Am Anfang der Schöpfung steht für Alison nicht das Licht, sondern das Gemüse.
Schon das erste Gericht, Mit Essig gegarte Rote Beten mit Frühlingszwiebeln und Joghurt, ist eine fulminante Erscheinung. Was man auf den ersten Blick gar nicht sieht bei diesem vielen Rot, ist das Joghurtbett auf dem die Hauptakteure liegen. Auffällig ist, dass Alisons Protagonisten auf dem Teller sich immer auf ein oder zwei beschränken, wodurch das Ganze geschmacklich besser zur Geltung kommt. Ihre Gemüse-Gerichte sind kein Who is who der Gemüse. Dennoch raffinierte Kombinationen, die sich abheben von den üblichen. So auch die gerösteten Kurkuma-Karotten mit Samen und Labaneh, bei denen das Würzelgemüse zusammen mit den Samen geschmort wird. In diesem Gemüsekapitel reicht die Palette von roh bis ofengegart. Dabei sind es die spielerischen Arrangements, die mich faszinieren. Wie Gegrillte grüne Bohnen mit cremigem Tahini und frischer Chilisauce. Und die diversen Gemüse, vom Lauch über Pilze bis zu den Tomaten, die in Olivenöl gegart werden. Die In Butter geröstete Radieschen mit Zatar wie auch Burrata mit Clementinen, Schalotten und Brunnenkresse sind eingetragen in meiner Nachkoch-Liste, die immer länger wird. Im zweiten Kapitel fühlt man sich ins Genre der Mantel- und Degenfilme versetzt, rückt dem Radicchio mit Sardellenbrösel und Eigelb mit Messer und Gabel zu Leibe. Zwar nicht ganz aufgehoben wird das Gemetzel in der Obstsalate-Abteilung, aber spätestens bei den herzhaften Frühstücksgerichten sollte es wieder zivilisiert zugehen. Langschläfer und Frühstücksgenießer dürfen sich freuen auf deftigere, eher salzige Frühstücke, um besser in den Tag reinzukommen. Wie wär’s mit Gebackene Eier auf Kichererbsen und Chorizo mit frischen Brotbröseln ? Klingt sehr amerikanisch dieses doch sehr zeitaufwändige Pfannengericht und erinnert gleichzeitig irgendwie an Schakschuka. Eigentlich sind wir immer noch im Wirkungsbereich der Salate. Denn auch das fünfte Kapitel, das sich mit Körner und Kornsorten auseinandersetzt, enthält einige Salate wie den Spalterbsen-Salat oder den Vier-Bohnen-Salat mit grüner Romesco. Allerdings auch Pasta-Gerichte wie die Bucatini mit gerösteten Tomaten und Sardellenfilets. Auch hier ist auffällig, wie Alison verschiedenste Zutaten miteinander verknüpft, so abweschslungsreiche, spannende Essen kreiert. In den beiden Kapiteln Fisch und Fleischgerichte stößt man allenthalben wiederum auf manche Überraschung. Mit Räucherforelle als kaltes Abendessen, war ich bisher eher einfallslos unterwegs, ein bisschen Zitronensaft darauf geträufelt, das war’s. Räucherforelle mit Senf und Apfel aufgemotzt, essen wir dieses ideale kalte Abendessen mindestens einmal im Monat. Aber, es wird Zeit, sich um die Süssen Sachen zu kümmern. Ob Sorbet oder Kuchen, auch darin bringt es Alison zur Meisterschaft. Sind die Rhabarber-Mandel-Galette und die Zitronen-Tarte nach Shaker-Art schon wahre Köstlichkeiten, so ist der Heidelbeerkuchen mit Mandeln und Zimt aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. Komme ich in Verlegenheit, etwas mitzubringen zu einem Fest, so ist es dieser Kuchen, der mich immer rettet. Schnell gemacht ist dieser Heidelbeerkuchen, der, kaum angeschnitten schon wieder verschwunden ist von der Tafel.
Dining In von Alsion Roman ist eine Schatztruhe voller Rezepte, die, wenn einmal aufgemacht, man nicht mehr so schnell schließen wird. Hier werden Gerichte präsentiert, die mit frischen Aromen und geringem Aufwand punkten. Kaum zu glauben, dass all diese Rezepte in einer engen, kleinen New Yorker Küche entstanden. Alisons geschmackliche Messlatte ist so hoch, dass alle ihre Gerichte problemlos in einem Restaurant serviert werden können, behaupte ich. Jedenfalls beschert sie uns mit ihren unprätentiösen klugen Gerichten himmlische Genussfreuden.