Andrea Boscagli, Mercedes Lauenstein, Semplice!

Meine einfache italienische Küche

Mit Fotos von Juri Gottschall
Verlag Antje Kunstmann, München, 2017, 224 Seiten, 28.80 Euro
ISBN 978-3-95614-208-6
Vorgekostet

Heute reisen wir nach MÜNCHEN.

Dort lebt Andrea Boscagli und dort betreibt er seit 1983 das Vini e Panini, eine Bar und Bottega in einem. Wobei unter Bottega mehr ein Feinkostgeschäft zu verstehen ist. Spezialitäten aus Italien und vor allem der Toskana werden angeboten. In der Toskana ist Boscagli aufgewachsen. Bei seiner Großmutter Giulia, einer Bäuerin. Sie weckte bei ihm die Leidenschaft fürs Kochen und bei ihr erlernte er die Basics der einfachen, ländlichen, mittelitalienischen Küche. Das prägte ihn bis heute und schlägt sich in seinem Kochstil nieder. Mehr noch, es wurde zum Motto. Semplice! So lautet auch der Titel seines ersten Kochbuchs, das im Verlag Antje Kunstmann erschienen ist. Meine einfache italienische Küche im Untertitel ist wortwörtlich zu nehmen, wobei die Betonung auf das Possesivpronomen Meine liegt. In der Einleitung erfährt man, wie Andrea Boscagli zum Kochen kam, wie wichtig für ihn die Einflüsse von Großmutter und Vater, der auch Koch war, waren. Und, dass wir dieses Buch wohl auch den Schwabingern Münchens zu verdanken haben. Sie sind quasi Geburtshelfer, denn im Laufe der Jahre fragten sie immer wieder nach typisch italienischen Rezepten, Kochanleitungen auf kleinen Zettelchen, die mit den Lebensmitteln übern Ladentisch gingen. Und so kam es, wie es kommen musste: In seiner Bottega-Bar kann man nicht nur Produkte Italiens kaufen, sondern auch typisch toskanische Gerichte la Boscagli auf der Zunge zergehen lassen. Und dass die Fans der italienischen und speziell toskanischen Küche nicht immer extra nach München müssen, dafür gibts Semplice!

Ungewöhnlich lang ist die Inhaltsseite, denn da werden bereits alle Rezepte aufgelistet. Nach der Einleitung inventarisiert Andrea aber zunächst jene Küchenwerkzeuge, die seiner Ansicht unbedingt notwendig sind. Das ist praktisch und für Messies von Küchenutensilien ernüchternd. Darin streift er auch Themen wie „das richtige Öl“ oder „zum Kochen mit Wein“. Aber dann geht es richtig los, mit den Grundrezepten. Da arbeitet er sich durch, vom Eierpastateig bis zum frischen Focaccia. Und hier fließen auch wichtige Tipps ein, Berufserfahrungen einiger Jahrzehnte. Bspw. dass „je matter die Oberfläche der (gekauften) Pasta, desto besser ihre Qualität“, oder dass „eine raue Oberfläche von der Herstellung in traditionellen Bronzeformen zeugt“ und das wiederum bewirkt, dass „die Sauce gut an der Pasta haften bleibt und sich ideal mit ihr verbindet“. Ein äußerst nützliches Kapitel, auch wenn ich mir gewünscht hätte, noch mehr zu erfahren, etwa wann und warum Andrea die Tagliatella bzw. Fettuccine oder andere Nudelformen verwendet. Nach dem Grundsätzlichen folgen die Kapitel Antipasti, Suppen, Pasta, Risotti, Gnocchi & Malfatti, Gemüsegerichte & -beilagen, Fisch & Meeresfrüchte, Fleisch, Essen mit Freunden und Dolci. Mit einem ausführlichen Rezept- und Stichwortverzeichnis klingt das Kochbuch aus. Dabei fällt auf, dass er der Pasta, den Risotti sowie Gnocchi und Malfatti ein besonderes Augenmerk verleiht. Wie auch das Kapitel Essen mit Freunden heraussticht. Letzteres begründet er mit dem italienischen Kulturmerkmal der Convivialità, dem geselligen Miteinander. Dafür eignen sich Bratenrezepte ideal. Und es gibt für 10 Personen einen gemischten Fleischtopf oder toskanischen Schweinebraten ua. Dieses kleine Kapitel ist bereits eine feine Sache und erspart einem das mühsame Herumrechnen. Und schmecken tut es auch, das belegt der Kalbsbraten mit Salbei, den ich ausprobierte und runterrechnete auf zwei Personen.

Einiges von den Nudeln-, Reisgerichten und Kartoffelklößchen habe ich ausprobiert. Die Spaghetti nach „Hurenart“ sind sehr pikant und haben deshalb vielleicht diesen lasterhaften Beinamen erhalten. Für die Lasagne mit Ricotta und Spinat lohnte sich der größere Aufwand, die Lasagneblätter selber herzustellen. Allein schon deshalb, weil es Spaß macht und man feststellen kann, dass selbstgemachte Nudeln besser schmecken. Auffällig ist die Reduzierung der Bechamelsauce, wohl wegen des noch immer hohen Restwassers im Spinat. Am meisten überrascht hat mich, wie Boscagli den Risotto zubereitet. Mit der Reissorte Carnaroli bin ich dabei, aber in der Grundzubereitung weicht er ab. Zum Aufgießen verwendet er nur Wasser, wobei, wie temperiert geht nirgends hervor. Ich verwende, und so findet man es in den meisten italienischen Kochbüchern, meistens eine heiße Gemüsebrühe. Nur Wasser hat was für sich, vor allem dann, wenn der Geschmack nicht durch die Brühe verstärkt oder verfälscht werden soll. Beispielsweise beim Risotto mit frischen Steinpilzen, da bleiben die Steinpilzaromen wuchtig dominant. Ebenfalls eine Entdeckung war für mich der Risotto nach Bäuerinnenart, der durch Weglassen der Butter und des Parmesan die feinen Gemüsearomen stärker zur Geltung brachte. Aus dem Gnocchi-Lager probierte ich die Gnocchi mit Rote Beete. Ein Überraschungsessen für meine Liebste, wobei die zart rötlichen Klößchen ihre Wirkung nicht verfehlten. Wohl auch, weil der Butter-Salbei-Überzug sich wohltuend im Gaumen niederschlug. Aber das ist eine Vermutung. Nicht umhin kam ich, auch die Malfatti auszuprobieren. Die sind das Gegenteil von den korrekten Gnocchi, nämlich die schlampigen. Und die haben auch ihren besonderen Reiz. Die Malfatti nach Art des Hauses haben mir so vorzüglich geschmeckt, dass ich nicht umhin komme, sie Ihnen am Ende zu präsentieren.

Es gäbe noch vieles zu berichten. Die Begeisterung Andrea Boscaglis für Artischocken, wie unzählige Gerichte in diesem Kochbuch beweisen. Dass Gemüseblüten zuzubereiten keine Hexerei ist, wie es das Rezept für Zucchiniblüten mit Ricotta-Minze-Füllung zeigt. Dass das berühmte Vitello Tonnato auch ohne Mayo auskommen kann und dadurch eine heitere, leichte Note bekommt. Nebenbei sei erwähnt, dass der übriggebliebene Kalbsfond sich bestens im Risotto nach Mailänder Art weiterverwenden lässt. Wie einfach es ist, Artischocken vorzubereiten, beschreibt Andrea nachvollziehbar in Wort und Bild, um dann auf die Rezepte zu verweisen, wo sie reingehören: Risotto ai carciofi, als Beilage zu einem Steinbuttgericht usw. Aus dem Dolci Kapitel sollte ich das original „zieh mich hoch“- das „bring mich in Schwung“-Rezept noch erwähnen, wie tira-mi-sù (Tiramisù das Original) ins Deutsche übersetzt heißen würde.

Andrea Boscagli hat mit Semplice! ein einfaches wie besonderes Werk der italienischen Kochkultur kreiert. Es ist die Bündelung wunderbarer Rezeptvorschläge aus seinem über die Jahre gewachsenen Zettelkasten. Und, er bleibt dabei seinem Standpunkt treu: Aus wenig viel machen. Wir Nutzer von Semplice! profitieren doppelt. Seine Rezepte sorgen für gutes Essen, das sich in Wohlbefinden niederschlägt.

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