Heute geht es ums Grillen.
Auf der Terasse meines Bruders sind wir letztes Wochenende zusammengekommen. Es galt etwas zu feiern. Im Hintergrund der Hausherr, eine mächtige Grillschürze hebt sich von seinem Bauch ab, in der einen Hand die Grillzange, in der anderen ein Bier. Vor sich, in eine Nische hineingerückt wie ein Altar, der Edelstahl Gasgrill. Die Kinder bekommen als Erste, Bratwürstchen kurze, lange, zur Schnecke gerollte – die Erwachsenen müssen auf ihre Schweinskoteletts und „Rippelen“ noch warten, diese brauchen etwas länger als die Würstchen. Später gibt es auch gegrilltes Gemüse. Röstaromen hängen in der Luft, die erfüllt ist von Gesprächen und Lachen.
Für einen kurzen Moment sehe ich uns alle als Neanderthaler, eine archaische Situation, wie wir uns um das Feuer rotten und an einem Stück Fleisch nagen. Real sieht es so aus: In der Mitte der Grillmeister, um ihn seine Adlaten und lose verteilt die anderen – eine klare Rollenverteilung: der Mann steht am Feuer und die Frau lässt sich verwöhnen. Grillen spricht Urinstinkte an. In ist es, am Grill zu stehen und nicht in der Garage unterm Auto zu liegen. Die Industrie hat das erkannt und die Grillwelt verändert. Auf diese Veränderung haben die Ratgeber- und Kochbuch-Verlage mit unzähligen Publikationen reagiert. Auch der Becker Joest Volk Verlag folgt diesem Trend und stellt mit Grillgut den Bändigern des Kohlengrills ein 344 Seiten starkes Kompendium zur Seite. Das enthält so ziemlich alles, was es an Wissenswertem zum Grillen mit Holzkohle gibt. Grob lässt es sich in zwei Bereiche gliedern: Die Rezepte, sie machen den Hauptteil aus, und in einem zweiten Abschnitt wird auf 50 Seiten alles rund um den Grill abgehandelt. Das beginnt mit einer kleinen Kohlenkunde und endet beim Arbeitsplatz, mit Beispielen, wie er aufgebaut sein könnte.
Ein halbes Jahr lang feilte der Autor und Grillprofi Angelo Menta in aller Ruhe an Rezepten und Zutaten und testete so in aller Ruhe mit hungrigen Essern Smoked Roastbeef, Spießbraten von der Schweineschulter, Hühnerbrust hot‘n spicy, Lammfilet und viele andere Leckereien. Herausgekommen ist ein fett gepresstes Holzkohlebrikett von Grillbuch und eine Grillschule mit praxisgerechtem Grill-Know-how. Die erste Voraussetzung ist, entspannt an den Grill zu gehen. Grillen ist fast meditativ. Einfache Handgriffe, ruhige Abläufe und gute Vorbereitung, dann sollte nichts mehr schiefgehen.
Menta unterteilt die Rezepte in die Kategorien Rind und Kalb, Schwein, Geflügel, Lamm, Fisch und Meeresfrüchte, Burger, Veggie, Beilagen sowie Saucen und Marinaden. Jeweils vorangestellt ist eine kleine Warenkunde mit Schemazeichnung. Kurz und prägnant führt er aus, welche Teile zum Grillen geeignet sind. Und leitet als eine Faustregel ab: Je mehr ein Muskel bewegt wurde, desto weniger eignet sich das Fleisch zum Grillen oder Kurzbraten. Und es verwundert nicht, dass Menta mit dem Steak beginnt. Zunächst gibt es Tipps rund um das perfekte Steak, wie Fleischqualität, Marmorierung, Vor- und Zubereitung und, ganz wichtig auch für andere Fleischsorten, ruhen lassen, um es saftig und zart hinzubekommen. Dann geht es los mit Rumpsteak pur, Rinderfilet mit gerösteten Cognacpflaumen etc.
Die zu dem Grillgut passenden Kräuter, Gewürze und Öle sind jeweils am Kapitelbeginn in einer kleinen Tabelle aufgelistet.
Stark strukturiert sind die Rezeptbeschreibungen, ein Schema, das sich durchzieht und für die Anwendung äußerst praktisch ist. Ergänzt werden sie mit wunderbaren Fotos, die das Wesentliche vermitteln, ob als Detail oder Überblick. Spätestens bei den Classic Sparerips wird klar, dass die flapsige Aufforderung „Wirf schnell den Grill an“ völlig verkehrt ist. Nach einem zweistündigen Marinierbad muss das gute Stück mindestens für fünf Stunden auf den Rost. Und für einen ordentlichen Schweinenacken, Pulled Pork sind nach 24 Stunden Marinierzeit bis zu 16 Stunden Grillzeit zu veranschlagen. Ideal wäre für die Zubereitung des Nacken ein Wassersmoker, aber es geht auch mit dem Kugelgrill. Wie überhaupt alle im Buch vorgestellten Grillrezepte mit einem einfachen Kugelgrill umgesetzt werden können. Im Lammabschnitt fiel auf, dass Menta mit Lammlachse, -keule, -schulter, -topf und -filet, wohltuend mehr als den üblichen einstelligen Prozentsatz des Lammkörpers zum Grillen anbietet.
Ausprobiert habe ich den Kabeljau im Mangoldblatt mit Orangenbutter. Überraschend war, dass der Mangold die hohe Hitze von 250 Grad Celsius, zwar indirekt, so gut überstanden hat. Mit Zitronenscheiben und Orangenbutter angerichtet, war der gegrillte Fisch ein neues Geschmackserlebnis.
Eine sehr gute Idee sind die Semmelknödel vom Grill. Dieses Rezept inspirierte mich generell, verschiedene Knödelarten auf den Grill zu legen. Mit dem Ergebnis, dass an einem der nächsten Wochenenden ein Knödel-Grillfest mit erweitertem Personenkreis ins Haus, d.h. in den Garten, steht.
Die Hühnerbrust hot‘n‘ spicy für vier Portionen, schmeckt phantastisch und ist leicht zuzubereiten. Sogar mit einem einfachen Standgrill. Wie das geht, können Sie im Rezept nachlesen.
Allen Rezepten vorangestellt ist ein Infokasten. Aus dem geht hervor, welche Utensilien man benötigt, mit welchen Temperaturen gearbeitet wird und wie viel Zeitaufwand zu veranschlagen ist. Hinzu kommen orange unterlegte Tipps und Piktogramme, die die Kohleverteilung bildhaft darstellen. Letztere hätten m.E. ganz am Anfang erklärt werden müssen. Zumindest ein Hinweis zu den Themen „Das perfekte Grilltiming“ und „Kerntemperaturen“ in der Einleitung wären hilfreich, um den Zusammenhang zwischen Kohleverteilungsschema sowie direkter und indirekter Hitze zu begreifen. Überhaupt sollte man, ehe man mit dem Grillen beginnt, den zweiten Abschnitt, der mit „und jetzt ein wenig Theorie“ betitelt ist, zumindest quer lesen.
Das Buch ist großzügig gestaltet. Ein wenig kleiner wäre handlicher. Inhaltlich sehr vielseitig und innovativ, sprechen die Rezepte sowohl Anfänger als auch routinierte Grillmeister an. Aber auch jene Frauen, die am Rost ihren Mann stellen.
„Schatz, ich will ein Rind von dir!“ rief tatsächlich jemand in die Grillrunde.