Heute geht es um ein Kinderkochbuch.
Im Lied ‚Where Do the Children Play?‘ zählt Cat Stevens viele Orte auf, die für Kinder tabu sind. Vorwiegend Orte, die gemeinhin gesellschaftlichen Fortschritt widerspiegeln und außerhäusliche Räume betreffen. Aber es gibt auch innerhalb der ‚vier eigenen Wände‘ Sperrbezirke für Kinder, bspw. die Küche. Die Bedenken sind immer dieselben: Die Küche ist kein Spielplatz, da ist es viel zu gefährlich. Das Kind könnte sich mit dem Messer schneiden, an heißen Töpfen verbrennen etc., so die ewig gleichen Argumente der Erwachsenen. Das muss nicht sein, behaupten Anke M. Leitzgen und Lisa Rienermann mit ihrem bei Beltz & Gelberg erschienenen Buch, „Entdecke, was dir schmeckt“. Und, sie machen die Küche zum Spielplatz. Die Grundsatzfrage: Darf man mit dem Essen spielen? relativieren sie und stellen ihr 22 Ideen zum Ausprobieren entgegen. Da heißt es: Schäle eine Kartoffel auf drei verschiedene Arten oder: Lege ein Kunstwerk aus Obst und Gemüse. Iss es auf. Oder: Backe jemanden glücklich! Wer kann diesen Herausforderungen widerstehen? Der Küchenversuch, aus einem hart gekochten Ei mit einem Kochlöffel ein Herz zu formen gelang meiner Leihenkelin Rixa ausgezeichnet und wurde lobend bestaunt.
Auf einer Entdeckungsreise durch eine Welt lustvollen Essens leiten uns die Autorinnen in sieben Kapiteln. Beginnend bei sich selbst, stellen sie zunächst die Urfrage: Warum schmeckt mir das? Die Antworten sind so einfach wie verblüffend und lassen sich im Wesentlichen auf die Begriffe Duft, Farbe und Form reduzieren. Betörend duftende rote Erdbeeren sind Verführer genauso wie frisch herausgebackene Fischstäbchen, die in dieser Form völlig harmlos aussehen. Den nächsten Haltepunkt bestimmt der Einkaufszettel. In: Wie kaufe ich schlau ein? erfährt man allerlei Wissenswertes rund um die Nahrungsmittel, wie über saisonale bzw. lokale Angebote, die berücksichtigt werden sollten. Wussten Sie, dass man von den rund 1500 Apfelarten, die es bei uns gibt, nur etwa 30 tatsächlich kaufen kann? Das sind lediglich 2% der österreichischen Apfelsorten. In die Erstellung der Einkaufsliste fließen immer auch Überlegungen der Vorratswirtschaft mit ein. Das dritte Kapitel zur Frage: Was gehört in die Küche? beinhaltet aber nicht nur Kochzutaten, relevante Themen wie Vorräte anlegen, Gewürzgarten auf der Fensterbank u.a., sondern auch, welche Küchenwerkzeuge wozu gebraucht werden.
Damit ist die Basis geschaffen, um zum Eigentlichen überzugehen, dem Kochen. Was passiert beim Kochen? Hier wird es wissenschaftlich. Mit dem Erhitzen der Lebensmittel werden Eiweiße, Kohlehydratketten, Enzyme entwirrt, vernetzt, aktiviert oder lahmgelegt. Anschaulich und gut nachvollziehbar werden in diesem Kapitel diverse Kochvorgänge und ihre Auswirkungen erklärt. Wie verbindet man Fett und Essig? Um Butter zu machen, muss die Sahne, also das Fett, vom Wasser getrennt werden. Warum das so ist und was das mit der Buttermilch zu tun hat, erfährt man auch hier. Ebenso, was das Backpulver im Teig macht, warum Rösten den Geschmack verändert oder wie Lebensmittel, z.B. Ketchup und Marmelade lange haltbar gemacht werden. Zentrale Fragen, die mit ein wenig Chemiewissen Kochpannen vermeiden helfen. Nun geht es aber zur praktischen Umsetzung. In ‚Was mache ich damit?‘ zeigen Leitzgen und Rienermann, wie mit ein und derselben Zutat unterschiedlichste Gerichte gezaubert werden können. Aus Tomaten wird Tomatensalat, Ofentomaten, Bruscetta, aus Mehl wird Pfannkuchen, Tassenkuchen, Mürbteig und daraus wieder Quiche oder Obsttarte, und aus Milch wird Pudding bzw. Himbeer-Lassi gemacht. Speise-Variationen mit demselben Ausgangsprodukt werden anschaulich mit Fotos und Verlaufspfeilen durchgespielt und dokumentiert. Beim Durchblättern dieses Kapitels wird uns BetrachterInnen schlagartig klar: Die wunderbare Vielfalt an Speisen verdanken wir einer überschaubar geringen Anzahl von Nahrungsmitteln. Da kommt Respekt auf vor dem Ei, der Karotte, der Kartoffel und allen anderen Grundnahrungsmitteln. Und Wertschätzung, wenn man all die Gerichte aus ‚Was koche ich heute?‘ nachgekocht und gegessen hat. Dieses Kapitel favorisiert Rezepte, die gute Laune machen und auf junge Esserinnen und Esser abstimmt sind. Neben Tomatensoße mit Nudeln, Schokoladenkuchen, Pommes frites, Kräuterquark etc. gibt es zwei, die Fleischiges beinhalten. Hier ist anzumerken, dass in ‚Entdecke, was dir schmeckt‘ – mit wenigen Ausnahmen – die vegetarische Küche bevorzugt wird. Im Rezeptteil, der etwa ein Viertel des Buches einnimmt, tauchen erstmals Kinder in Wort und Bild auf. Da ergänzt die zwölfjährige Tula den offensichtlich von ihr zubereiteten Salat so: „Salatsoße mache ich immer in einem Glas auf Vorrat!“ Und die 10-jährige Kjell, die am Ende einer Fotostrecke vor einem Turm bunter Waffeln sitzt, meint lapidar: „Die Warterei nervt ein bisschen!“. Und Recht hat sie. Denn bis die schön dekorierte und leicht abgekühlte Waffel verzehrfertig auf dem Teller liegt, das dauert. Aber umso größer ist dann der Genuss beim Reinbeißen. Dieses Erlebnis möchte ich Ihnen nicht vorenthalten und am Ende das Rezept für die Waffeln verraten.
Der Rezeptblock richtet sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche. Für sie werden einfache, alltägliche Gerichte Schritt für Schritt in Wort und Bild erklärt. Weitere Informationen wie Zubereitungszeit, Schwierigkeitsgrad und Inhaltsstoffe können mit einem Blick erfasst werden. Mit wenigen Ausnahmen, auf die extra hingewiesen wird, sollten die jungen Köchinnen und Köche allein mit dem Buch zurechtkommen. Aber es macht sicher mehr Spaß, wenn Kinder und Erwachsene gemeinsam kochen. Zudem können auch die Eltern und Großeltern noch Neues zum Thema Kochen aus diesem Buch erfahren.
Im letzten Abschnitt stellen sich die Autorinnen die Frage: ‚Wie werde ich Küchenprofi?‘ Die Antwort ist ein kleines Küchen-ABC, eher Glossar und Tipps, die von nützlich bis exotisch reichen. Schade finde ich, dass die beigestellten Bilder zu Miniaturdarstellungen verkümmern, denn das geht auf Kosten der Bildaussagen. Ein Manko wird beim Stichwort K wie Kreuzkontamination sichtbar: Unter diesem Begriff versteht man die Übertragung von potenziell krankheitserregenden Mikroorganismen von einem Lebensmittel auf ein anderes. Das geschieht, wenn man nicht sauber arbeitet, d.h., die Kochwerkzeuge nach jedem Gebrauch nicht gründlich reinigt. Hygiene kommt also, wie hier unter Kreuzkontamination, im Buch eher versteckt und beiläufig vor. Diese Schwäche könnte in einer Neuauflage von den Autorinnen leicht behoben werden und ‚Entdecke. was dir schmeckt‘ zu einem makellosen Kinderkochbuch machen.
Text und Bild ergänzen sich wunderbar in diesem Buch, das so liebevoll verspielt gestaltet ist. Die Kapitelüberschriften sind mit unterschiedlichsten Lebensmitteln auf schwarzer Hintergrundfarbe geschrieben, bspw. folgt dem aus Mehl gelegten WARUM ein aus Fadennudeln geschriebenes
Schmeckt und diesem wiederum mit Sahne gesetztes MIR DAS, inklusive Fragezeichen. So werden bereits in einer Überschrift drei Lebensmittel in den Vordergrund gerückt. Die grafische Gestaltung zeigt von der ersten bis zur letzten Seite höchstes Niveau. Selbst unscheinbare und schwer sichtbare Fettflecken bekommen in diesem Kinderkochbuch noch eine wichtige Bedeutung, und sei es nur als ein Buchstabe. Das Design mit Hang zu verspielten Details motiviert jung und alt, sich auf leichte, unkomplizierte Art mit Kochen auseinander- zusetzen. Ausprobieren mit Spaß – was will man mehr?