Anna Saldadze & David Gigauri, GEORGIEN

Eine kulinarische Liebeserklärung, Anekdoten & Rezepte

Mit Fotos von Mariam Janashia
Aus dem Englischen übersetzt von Maia Panjikidze
Leopold Stocker Verlag, Graz, 2018, 125 Seiten, 22.90 Euro
ISBN 978-3-7020-1743-9
Vorgekostet

Heute reisen wir nach GEORGIEN.

Schwarzes Meer, Kaukasus, saftige Täler, Steppenlandschaften, Dorfleben wie vor hundert Jahren und Tiflis, die pulsierende Hauptstadt – das sind Bilder, die von der Vielfältigkeit eines Landes zeugen und die Besucher in ihren Bann schlagen. Die alte Kirche auf einer grünen Hügelkuppe hebt sich ab vor den schneebedeckten Gipfeln im Hintergrund, bestätigt die Vorstellung von einem Land kontrastreicher Natur und jahrhunderte alter Kultur. Es wurde unzählige Male überrannt von Feindesscharen hat sich aber immer wieder aufgerappelt wie ein Stehaufmännchen, das ist die andere, die geschichtsträchtige Seite dieses Landes. Die Georgier selbst behaupten, dass das mit ihrer Gastfreundschaft zusammenhängt. Gutes Essen und guter Wein verwandeln feindliche Attacken in Freundschaften. Das ist die Waffe Georgiens, Essen als Mittel des kulturellen Überlebens. John Steinbeck reiste 1947 durch Georgien und schrieb: „In diesen Georgiern hatten wir unseren Meister gefunden. Sie schlugen uns beim Essen, beim Trinken, beim

Tanzen, beim Singen. Sie besaßen die wilde Fröhlichkeit der Italiener und die körperliche Energie der Burgunder. Alles, was sie taten, taten sie stilvoll.“ Bei den Georgien ist mehr Lebensfreude anzutreffen als anderswo. Steinbeck erlebte das auf der Fahrt von Westgeorgien nach Tiflis beinahe täglich. Ständig wurden er und sein Begleiter Robert Capa zum Essen eingeladen auf echt georgische Art und Weise, quasi eine allumfassendes gastfreundschaftliches Ritual. Gemeint ist Supra, die festliche Tafel, Markenzeichen einer Nation, die Essen als universelle Sprache versteht.

Viele Georgier, die das Land verlassen haben, nahmen ein Stück Heimat, ihre Esskultur mit. Sie zelebrierten diese sowohl im familiären Rahmen als auch in der Öffentlichkeit. Den Lebensgeschichten von sieben ausgewanderten georgischen Persönlichkeiten, für die Essen mehr war als tägliche Nahrungsaufnahme, spürten Anna Saldadze und David Gigauri nach und präsentierten sie im Kontext zur georgischen Tafel in ihrem im Leopold Stocker Verlag erschienenen Kochbuch, GEORGIEN, eine kulinarische Liebeserklärung.

Salome Andronikowa in London, Gogi der Betreiber des Café-Haus Larue in New York oder der Bestsellerautor George Papashvily sind vielleicht bekannt. Sie wie auch Prinz Peter Bagration, George Balanchine, die Mdivanis, Tamara Toumanova und Prinz Nicholas Toumanoff führten ein spannendes Leben, das geprägt ist von köstlichen Aromen des Essens. Andronikowa, die lange Zeit nicht einmal Tee kochen konnte, war nach dem Zweiten Weltkrieg gezwungen, es zu lernen. Und jetzt, gestand sie ihrer Freundin, der russischen Dichterin Anna Achmatowa, jetzt, wo ich auf ein gewisses Alter zugehe, ist mir nichts anderes geblieben, womit ich die Männer anziehen kann. Salome verdanken wir so wunderbare Rezepte wie Georgisches Ratatouille, Auberginenkaviar und einige mehr. Für das Ratatouille gibt sie sogar zwei Varianten vor. Hier sollte noch eingeflochten werden, dass alle Rezepte im Buch überarbeitet, praktisch ins Heute übersetzt wurden. Keti Bakradze empfand es als Privileg, an ihren Rezepten zu arbeiten, in ihre Persönlichkeiten hineinzublicken. Dass jedes Rezept eine persönliche Signatur eines Menschen ist, davon ist Keti überzeugt. Die Art des Kochens ist einzigartig wie die Körpersprache. Rezepte sagen viel über einen selbst aus, über seinen Geschmack und seine Vorlieben. Die professionelle Köchin und Inhaberin von „The Dinning Room“ in Tiflis versuchte die Intentionen der kochenden Promis zu interpretieren und visuell zu gestalten. Herausgekommen sind Gemälde, die Mariam Janashia fotografisch inszenierte. Da behaupte mir einer, das Auge isst nicht mit. Da finden sich Bilder von wie Kerzen stehende dunkelviolette Auberginen, die sich kaum abheben vom schwarzen Hintergrund, wäre da nicht das aufflackernde Lichtlein des rotwürfeligen Ratatouille. Oder die Walnusssauce Satsiwi, die in der ovalen Tonform einem Dampfer gleicht, der darauf wartet, mit Messer und Gabel entladen zu werden. Oder das Chatschapuri: in seiner Vollkommenheit goldbraun wie die Mittagssonne, präsentiert sich das Brot noch ohne seinen Inhalt preiszugeben. Das mit Käse gefüllte Brot ist wahrscheinlich das berühmteste georgische Gericht. Jede Region hat ihre eigene Variante; ob geschlossen oder offen, Chatschapuri ist der Wahnsinn. Abgehoben präsentiert sich dann Tkemali, die Pflaumensauce, von der Chruschtschow behauptete: Mit Tkemali kann man sogar die eigenen Nägel genießen. Farbenfroh von Knallrot über Grün wie Spargel bis zum herbstlichen Gelb, unterstreicht diese Sauce jedes Gericht mit kräftigen Noten von Gewürzen und Früchten.

Für George Balanchine, dem Vater des amerikanischen Balletts, war der Sinnengenuss, den er im Essen und Wein fand, nur von der Begeisterung übertroffen, die er empfand, wenn er die Körper seiner hervorragenden Tänzer zu den Myriaden seiner Ballette formte. Das hinderte ihn aber nicht, nach den Vorstellungen für sich und seine Truppe ein Abendessen zu kochen. Einmal war das ein unvergessliches Gericht: Borschok, eine rubinrote klare Consommé mit Rindfleischgeschmack. Anzumerken ist, dass das Geheimnis im Backen der Karotten liegt. Und auf die Frage, was er wählen würde, wäre er auf der berühmten einsamen Insel, antwortete er: Kartoffel! Natürlich! Gute ausgezeichnete, fantastische, heiß gekochte Kartoffeln – knusprig, knackig – wie Zucker!

Nachdem George Papashvily von einer Gruppe junger Indianer aus einem Fluss vor dem Ertrinken gerettet worden war, beschloss er als Dank für sie zu kochen. Es gab Lammspieße und den Indianern gefiel, wie er sie zubereitete. Ein englisch sprechender junger Mann sagte zu ihm: „Mein Großvater mag die Art, wie du das Schaf tötest, putzt und kochst. Er will wissen, aus welchem Stamm du kommst. Wie viele Schafe hast du? Kann man bei euch gut jagen?“ Er erzählte ihnen, dass er von der anderen Seite der Welt komme und dass die 200 Schafe in seinem Dorf für alle

reichen, wenn sie sie mit Vorsicht schlachten. Dann schüttelte sie sich die Hände und zogen weiter ihres Weges. Immer wieder lassen die Autoren kürzere und längere Anekdoten von den Protagonisten einfließen. Das macht das Kochbuch zum Lesebuch. Mitunter auch zum Vorlesebuch, wie bei mir, denn, als meiner illustren Gästeschar Poulet au Jus d’Orange serviert wurde, ließ ich es mir nicht nehmen, die Geschichte einer Begegnung von zwei Prima-Ballerinas vorzulesen. 1925 lernte Tamara Toumanova die bereits berühmte Pavlova kennen, die auf die Frage: „Tanzen Sie auch?“ „Nur ein kleines bisschen“, antwortete.

Am Ende verraten wir noch ein Geheimnis. Prinz Nicholas Toumanoff, ein begeisterter Gourmet und Vodka-Produzent, trank gerne Nizzy Fizz, einen Longdrink aus gesüßtem Grapefruitsaft, Gin, Tonicwater und Selterswasser. Sehr erfrischend mit einer Limettenscheibe, mehr muss man nicht sagen.

GEORGIEN von Anna Saldadze und David Gigauri ist ein sehr sinnliches Koch- und Lesebuch. Schön gestaltet mit in Szene gesetzten Speisen und Getränken, mit Rezepten, die auffordern, nachgekocht zu werden, und mit Geschichten von Persönlichkeiten, die überzeugte Georgier waren. Den Blick von außen verdanken wir John Steinbeck, mit seiner apodiktischen Aussage: „Ehe Sie nicht Georgien gesehen haben, haben Sie nichts gesehen …“. Ich meine, GEORGIEN von Anna Saldadze und David Gigauri hat die Tür zu diesem Land so weit geöffnet, dass wir wissen, was uns erwartet, wenn wir dorthin reisen. Aber jetzt nehmen wir das Buch zur Hand und eilen in die Küche, um uns Papashvilys oder Salomes Heimat zu erkochen.