Heute reisen wir in die jüdische Küche.
Wer zum ersten Mal von gläubigen Juden zum Essen eingeladen wird, wird kaum einen Unterschied zu seinen eigenen nichtjüdischen Essgewohnheiten feststellen. Neugierige dürfen dann schon mal einen Blick in die Küche werfen und da gibt es dann doch einiges zu entdecken, das abweicht von der eigenen Küche und Kochmethode. Bei meinen jüdischen Freunden sah ich beschriftete Küchenkastentüren, zwei Kühlschränke, was allerdings eher die Ausnahme ist, und ein rotes Geschirr für Milchiges und ein blaues für Fleischiges. Daran geknüpft sind jüdische Speisegesetze, die klar vorgeben, welche Lebensmittel miteinander verzehrt werden dürfen und welche nicht. Der Schinken-Käse-Toast ist tabu, wie auch das Cordon bleu und andere Gerichte in der Kombination fleischiger und milchiger Grundlagen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Annabelle Schachmes’ Kochbuch Die Jüdische Küche kein Rezept für Cheesburger oder Rahmschnitzel enthält. Dafür aber einige besondere Schmankerln, die man in anderen Kochbüchern vergeblich sucht.
Die Autorin reiste für ihr Kochbuch einige Monate kreuz und quer durch alle Kontinente, immer auf der Suche nach ursprünglichen jüdischen Gerichten. Zusammengetragen hat sie über 160 Rezepte, sowohl traditionelle als auch moderne, die letztlich Ausdruck einer internationalen Küche sind. Heißt das, die jüdische Küche gibt es nicht? Zunächst ist sie ein kulinarisches Konglomerat, das verschiedenen nationalen, d. h. landestypischen Einflüssen ausgesetzt war und ist, bedingt durch die historische Diaspora der Juden. Also eher eine Weltküche mit Lokalkolorit.“Wenn ich etwas koche und es schmeckt wie bei meiner Großmutter“, schreibt die Schriftstellerin Amanda Shters im Vorwort, dann „kommen in mir sehr starke Gefühle auf. Denn die sogenannte jüdische Küche ist Ausdruck eines Glaubens und der Überzeugungen, die allen Herausforderungen Stand gehalten haben, und – wie archäologische Fundstücke – den Ablauf der Geschichte dokumentieren.“ In weiterem Sinn ist sie also auch Identifikation und Rückhalt von Menschen mit jüdischem Glauben. Und damit auch eine Chronik des Überlebens. Altüberlieferte Gerichte wie bspw. der Challa-Zopf weichen vielleicht in der Würzung voneinander ab, ob sie nun in Rom, Danzig oder New York zubereitet werden. Aber der Grundteig ist weltweit immer derselbe: Hefe, Eier, Öl, Zucker, Mehl und klassisch bestreut mit Sesam oder Mohn. In Amsterdam aß ich ihn mit einer Gewürzkombination aus Rosmarin, Knoblauch und Zwiebeln. Essen als Ausdruck der Zusammengehörigkeit, das ist die jüdische Küche primär. In Schachmes Kochbuch übernehmen Fotos die Dokumentation. Starke, größtenteils farbenfrohe Bilder lassen uns BetrachterInnen in eine vielschichtige und lebensfrohe jüdische Kultur eintauchen. Marktstände mit Gemüse und Gewürzen, Tische vollbepackt mit Bagels, Fladenbroten und anderem Gebäck, Töpfe randvoll mit Sauerkraut, Menschen mit und ohne Schläfenlocken, und natürlich Essensfotos. Ob Piroschki Karottensalat mit Kreuzkümmel, Klassische Latkes und anderes, am liebsten möchte man sofort in die Küche stürzen und flugs alles nachkochen und auskosten.
Auf 360 Seiten teilt Annabelle Schachmes die Rezepte in acht Kapitel ein. Die klassische Einteilung in Vorspeisen, Hauptgerichte, Beilagen, Suppen und Desserts wird ergänzt mit Kapiteln zu Gewürze, Eingelegtes, Würzmittel, weiters Brot & Backwaren sowie Street Food & New York Delis. Die beiden Letzteren fallen aus dem Rahmen und es wird auch nicht explizit erklärt, warum es aufgenommen wurde, dürfte aber mit der großen jüdischen Community in der Stadt der Städte zusammenhängen.
Groß ist die Tradition des Konservierens von diversen Gemüse- und Obstsorten in Salz- und Essiglake. Wie einfach Sauerkraut herzustellen ist, erfährt man hier genauso wie das Einlegen von Salzzitronen und die Zubereitung diverser orientalischer Würzpasten. Chrain, die Meerrettichpaste, mit roter Bete verfeinert, war eine wunderbare Zureichung zu gegrilltem Fleisch. Ob russisches Malossols oder Tahini, die maghrebinische Sesampaste, in diesem Kapitel vereinen sich aschkenasische und sephardische Kochtraditionen. Die Ambasauce, verflüssigtes Mango-Chutney, war für mich eine wunderbare Entdeckung und passte hervorragend zu einem schnellen Sandwich.
In der Vorspeisenabteilung fand ich Piroschki mit dreierlei Füllungen. Diese Teigtaschen sind der kleine Bruder der osteuropäischen Piroggen.
Fans von Kreuzkümmel kommen auf ihre Kosten mit dem Kartoffelsalat, der, mit eben genanntem Gewürz veredelt, eine feine, schnell zubereitete Vorspeise ergibt. Den Orangensalat mit Oliven und Granatäpfeln setzte ich meiner Literaturrunde als Pausenfüller vor die Nase; ein betörender Zitrusduft war plötzlich in Raum und Stille.
Eine Herausforderung war die Herstellung des Brikteiges, der Geduld, sehr viel Geduld und Geschick einfordert. Dank der bebilderten Schritt-für-Schritt-Anleitung hatte ich bei der Herstellung des Teiges keine großen Schwierigkeiten, zudem er große Ähnlichkeiten mit dem für den gezogenen Apfelstrudel hat.
Natürlich musste ich ebenso den Tscholent ausprobieren wie auch das sephardische Pedant dazu, Dafina mit einem Hackfleischknödel. Beides klassische Schabbat-Gerichte mit langen Schmorzeiten. Dem Dafina verleihen die mitgekochten Datteln eine besondere Note. Die Zubereitung ist nicht kompliziert, jedoch die Zeit inclusive Einweichen schlägt mit ca. 26 Stunden zu Buche. Aber man muss nicht dabei bleiben. Und dieses langsame Schmoren bringt Qualität von Zartheit und Aromenfülle.
Unzählig sind die Rezepte, die es noch auszuprobieren gilt. Viele vegetarische wie auch außergewöhliche und exotische Gerichte sind in diesem Kochbuch versammelt. Zutaten wie Buchweizen, Granatapfel oder orientalische Gewürzmischungen gehören ebenso dazu wie Kartoffel und Reis. Diese bunte Vielfalt macht die jüdische Küche so spannend und erweitert langsam aber stetig unsere mitteleuropäischen Essgewohnheiten – das ist gut so. Dazu trägt dieses schöne, in vielen hellblau-Tönen designte Kochbuch bei. Wer sich darauf einlässt, bereichert seine Essgewohnheiten ungemein.