Heute reisen wir nach DEUTSCHLAND.
Wir besuchen Aurélie Bastian, eine charmante Französin, die es als Autorin von Kochbüchern und als Bloggerin zu einiger Berühmtheit gebracht hat. Entgegen der allgemeinen Vorstellung, dass Franzosen per se Chauvinisten sind, bewegt sich Aurélie sehr locker unter ihren deutschen Mitbürgern. In Salzatal, einer Gemeinde nahe Leipzig lebend, bringt sie dem kulinarisch interessierten deutschsprachigen Publikum ihre französische Küche nahe. Dabei bleibt sie nicht an althergebrachten, traditionellen Rezepten hängen. Nein, sie verändert, gestaltet und kreiert raffiniert Neues, in welchem Kenner der französischen Küche manchen Klassiker wiedererkennen. Traditionell und neu gehen nebeneinander her und ineinander über. Das sind Aurélies Vorzüge.
In ihrem neuesten Kochbuch, Bienvenue. Willkommen bei mir kommen vor allem jene Gerichte auf den Tisch, die sie für Freunde kocht und backt. Damit ist auch der Auftrag klar umrissen. Es geht um Gastfreundschaft zu unterschiedlichen Anlässen und deren kulinarische Gestaltung. „Wir freuen uns immer sehr, wenn Freunde zu uns kommen“, heißt es einleitend zu Bienvenue à la maison! Interessanterweise habe ich in Frankreich die Erfahrung gemacht, dass meine Freunde kaum zu sich nach Hause einladen. Und wenn ich eingeladen wurde, dann in ein Restaurant, Bistro oder eine Auberge. Wegen ihrer beengten Lebensweise in den kleinen Pariser Wohnungen schlussfolgerte ich. Aber es geht auch anders, erfahre ich nun, weil Franzosen gerne Freunde zu sich einladen, um mit ihnen zu teilen, was sie haben; ‚à la bonne franquette‘, wie es so schön heißt. Aurélie wird konkreter. Ohne größeres Tamtam werden ein Esstisch verlängert, zusammengewürfeltes Besteck und Teller bereitgestellt, jede und jeder bedient sich am Buffet nach Lust und Laune, die Platzwahl ist frei. Der Empfang findet in der Küche statt, stehend. Mit einem Aperitif begrüßen die Gastgeber die eintrudelnden Gäste. So wird es jedenfalls im Hause Bastian gemacht und wahrscheinlich auch in vielen anderen französischen Familien. Leger geht es zu, es ist ein fröhliches und glückliches Durcheinander. Irgendwann beruhigt sich die Aufregung, die Kinder schnappen sich etwas zu essen und gehen spielen, die Erwachsenen sitzen gemütlich am Tisch und plaudern … Das Essen scheint zum Beiläufigen degradiert und ist doch das Wichtigste. Es wird sich über Stunden hinziehen. Essen und Plaudern. Das heißt, wenn um 18 Uhr der erste Bissen verschlungen wird, dann wird mindestens bis 22 Uhr gegessen. Oder, wenn um 11 Uhr zur beginnenden Mittagsfeier mit einem Aperitif angestoßen wird, dann beendet meist der Nachtisch etwa vier Stunden später dieses kulinarische französische Beisammensein.
Spätestens jetzt dürfte allen klar sein, dass Feste feiern im Hause Bastian keine fünf-Minuten-Angelegenheiten sind. Nein, sie dauern und wenn man seine Gäste feinschmeckerisch bei Laune halten will, dann ist auch der Aufwand nicht ohne. Und wie das zu bewältigen ist, das zeigt uns die Autorin.
Aurélie nimmt sieben Feiern im jahreszeitlichen und sozialen Kontext als Anlass um eine Auswahl von vier, fünf Rezepten zu erstellen, die jedes dieser geselligen Ereignisse unvergesslich machen. Ob ein Winterabend mit Freunden, ob Omas Geburtstag im Frühling, eine sommerliche Kinderparty, ein Mädels-Abend, ein Sommerfest bzw. ein Herbstfest mit Pilzen und Kastanien oder Heiligabend zu Hause – damit das alles perfekt über die Bühne geht, muss die zeitliche Koordinierung bis ins letzte Detail gut ausgetüftelt sein. Das macht sie und gibt zu jedem Fest einen Zeitplan vor. Und gesetzt den Fall, es kommen unerwartet Gäste? Dafür sollten immer bestimmte Zutaten zu Hause sein, damit man ein nettes, kleines Abendessen auf den Tisch zaubern kann. Deshalb folgt der Einleitung zuerst eine Liste jener Zutaten, die man immer im Kühlschrank, im Tiefkühler und im Schrank vorrätig halten soll. Dazu gehören bspw. Quicheböden und Brotteige.
Und nun kann es los gehen: Stellen wir uns auf einen Winterabend mit Freunden ein. Draußen ist es kalt und ungemütlich, Eisblumen am Fenster sind die Boten von Väterchen Frost. Da schätzen wir Wärme und Behaglichkeit, haben Lust auf richtig Handfestes, ohne auf die Kalorien zu achten. In den Wintermonaten bevorzugt Bastian Gerichte aus der Bretagne, der Normandie und dem Elsass. Sie denkt dabei an ‚kuscheliges‘ Essen, echtes Comfort Food. Da gibt es ein rundes Baguette, das einem Vulkankrater der Eifel ähnelt. Mittig eingebacken ist ein Camembert und allein schon der Gedanke, ein Stück Brot abzubrechen und es einzutauchen in den Camembertsee lässt uns warm werden ums Herz und anstoßen auf den unterhaltsamen Abend. Wem diese Art Fondue-Brot, nämlich warmes Camembert-Brot mit Calvados zu üppig ist, der kann ausweichen auf einen Apfel-Hähnchen-Aufstrich mit Cidre und dazu Schnitten vom ofenfrischen Baguette essen. Schneller zuzubereiten sind Mini-Flammkuchen mit Beleg-Variationen. Auch der Muschelauflauf ist schnell zubereitet und nicht nur eine Augenweide für die Sinne, sondern überhaupt eine tolle Idee, diese Meeresfrüchtchen mit Brot und Petersilie aufzupäppeln. Ebenfalls herzhaft und ungewöhnlich ist Crème brulée mit Camembert. Diese Creme, die ursprünglich aus Cambridge in England stammt, wurde in Frankreich neu erfunden und von Aurélie weiter veredelt zu einer salzigen Löffelspeise. Das sollte man ausprobieren, auch wenn sich einem abwehrend die Lippen schürzen vor der Vorstellung, dass die uns heilige Karamellcreme mit Camembert vermischt wird. Angesichts der Mengen an Camembert, Milch und Sahne rate ich zu kleinen Schalen. Diese bereits vorgestellten Gerichte, zusammen mit Überbackene Artischocken und Crèpes Suzette, runden den Winterabend mit Freunden ab. Ergänzend dazu, und das erfährt man aus dem Zeitplan, können Gemüsesalate und gegarter Brokkoli und Blumenkohl serviert werden. An Getränken passen dazu Weißwein aus dem Elsass, Cidre oder französischer Birnenwein, aber auch Glühwein sowie heiße Pfefferminz- oder Kräutertees. Das alles trägt zum Gelingen eines fröhlichen Abends mit Freunden bei – garantiert uns Aurélie. Es sind interessante Rezept-Vorschläge, die beliebig erweitert, ergänzt, verändert, nach Lust und Laune variiert werden können.
Wie toll die Gerichte und Zusammenstellungen sind, wird einem erst bewusst, wenn man die Vorschläge aufgreift und anwendet. So werden bspw. Geschmacksvorlieben von älteren oder recht jungen Familienmitgliedern berücksichtigt, zudem sind viele Gerichte einfach und raffiniert zugleich. Gemüse als Gemüseterrine serviert, ist eine Antwort auf: Wie kann man Gemüse anders präsentieren? Und das Ergebnis kann sich sehen lassen, nämlich ein Gemüsekuchen in pastellfarbenen Tönen; eine verführerische Schönheit – mit einem Stück Brot … Oder die Mini-Pasteten mit Fleischfüllung. Sie können mit frischen Zutaten oder mit Resten von Rindergulasch oder Boef Bourguignon und anderem übrig gebliebenen Schmorfleisch zubereitet werden. Der grüne Spargel-Cappuccino ist mit frischen Kräutern bestreut ein höchst gesundes grünes Kunstwerk, wenn man den Sahnetupfer weglässt. Aber auch eine gute Alternative zum Nachmittagskaffee mit Kuchen für jene Omas und Opas, die diese Tradition hochhalten. Manche Gerichte werden anschaulich mit Bildern und Abläufen vorgestellt. Aus dem Kinderparty-Kapitel beeindruckt das Überraschungsbrot. Wer Kinder großzieht, kommt an folgender Frage nicht vorbei: Mit welchem Essen kann man sie noch überraschen? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort, aber das Überraschungsbrot ist ein Hoffnungsschimmer. Bestätigen kann ich es noch nicht, denn erst nächsten Monat hat mein Enkel Jakob Geburtstag und da bekommt er diese Brothülle in Form eines miniaturisierten Fasses, in welchem kleine Aufstriche und einige knackige Ecken Wintergemüse versteckt sind.
Die Mini-Quiches – ebenfalls dem Kapitel der sommerlichen Nachwuchs-Party entnommen – faszinieren nicht nur Kinder. Bunt, mit einschmeichelnden Gemüse-Dekos – die an Smarties und Eistürmchen erinnern – angefüllt, waren diese kleinen, fliegenden Untertassen ähnelnden Kraftpakete beim letzten Familienfest bei Alt und Jung beliebt und innerhalb kürzester Zeit war das Tablett leer gefressen.
Ein wenig außen vor bleiben in dem Buch die Männer. Es gibt zwar Angebote für einen Mädels- Abend, aber wie eine Männerrunde kulinarisch zufriedengestellt werden kann, bleibt uns die Autorin schuldig. Allerdings sind die Männer ohnehin in allen Kapiteln bis auf den Mädels-Abend mit eingebunden, sowohl helfend bei den Vorbereitungen als auch zum Verzehren. Sollte sich ein männlicher Benutzer dieses Kochbuchs dennoch benachteiligt fühlen, so kann er für seinen Männer-Abend aus dem Vollen schöpfen und sich von allen Kapiteln das Beste aussuchen. Die bunte Gemüse-Quiche und den Walnuss-Roquefort-Kuchen würde ich favorisieren.
Und womit Aurélie Bastian am Heiligabend zu Hause ihre Liebsten kulinarisch beglückt, da kann man nur staunen. Die Lachscreme-Tannen habe ich mir vorgemerkt wie auch die Zwiebel- und Feigenkonfitüre zur Käseplatte. Letztere habe ich schon ausprobiert und festgestellt, dass sie eine wunderbare Ergänzung zu den beigestellten Trauben, Birnen und Äpfeln sind.
Mit Bienvenue. Willkommen bei mir hat Aurélie Bastian wieder ein abwechslungsreiches Kochbuch vorgelegt. Schon das Durchblättern ist ein Genuss, zumal die Gestaltung von Text und Bild schön ausgewogen ist. Die Rezepte sind meist einfach wie auch gut verständlich beschrieben. Manches glaubt man zu kennen und ist dann doch überrascht, welche Aromen sich eröffnen. Die Idee, über einen Kanon an Festivitäten sich der neuen französischen Küche zu nähern, ist hervorragend gelungen. Anders ausgedrückt: Wer seinen langgehegten Traum umsetzen will, Frankreichs kulinarische Bandbreite kennen zu lernen, der greife zu diesem Kochbuch. Allerdings muss man sich im Klaren sein, dass das nur ein winziger Ausschnitt dessen ist, was die französische Küche uns bieten kann.