Heute reisen wir nach BAYERN.
Fast an den Rand von München, ins Grüne. Dort, irgendwo nahe der Metropole, lebt Barbara Bonisolli mit ihrer Familie, zusammen mit Enten, Hühnern und Bienen. Umgeben von viel Natur und Grün-Kultur. Seien es Obstbäume, Salatköpfe oder Tomatenstauden, Bonisolli hegt und pflegt mit viel Liebe ihre Zutaten, wenn man davon ausgeht, dass das Gewachsene und Geerntete die Grundlage ihres Berufs ist. Sie ist Foodfotografin und Kochbuchautorin. Kocht also schon von berufswegen, aber auch familienbedingt, abwechslungsreich und vielfältig. Es sind die Kinder und ihr Mann, die sie herausfordern und die gleichzeitig ihre Testesser sind. Wie auch geladene Freunde am riesigen Tisch, die ihre neuen Rezepte quasi begutessen und anschließend werten.
Ihr neuestes und drittes Kochbuch, das im Callwey Verlag erschienen ist, nennt sich schlicht VEGETARISCH. Und das nicht unbedingt, weil sie vehement für Tierrechte einträte. Nein, ihre Reduzierung des Fleischkonsums hängt mit dem Wachsen des eigenen Gartens genauso zusammen wie mit den zwingenden Argumenten des Klimawandels. Ihr Einstellung – „Eine Aubergine ist kein Schnitzel, und sie hat es nicht nötig, sich als eines zu verkleiden.“ – ist eine Kampfansage gegen trendige Versuche, mit vegetarischen Gerichten das Fleisch zu ersetzen. Mit anderen Worten, die Gemüse-Bratwurst ist eine Beleidigung für alle Beteiligten. Das sind die Pflanzen und Tiere wie auch unser Geschmacksempfinden.
Bonisollis neues Kochbuch ist sehr reduziert. Ein knappes Vorwort zu Beginn und ein ausführliches Register am Ende umklammern die 50 vegetarischen Rezepte. Letztere sind offenkundig klassisch gegliedert in Vor-, Haupt- und Nachspeisen, ohne sie in weitere Kategorien einzuteilen. Die meisten Zutaten finden sich im eigenen Garten. Allerdings muss das dann schon ein großer sein, denn die Palette der verwendeten Gemüse ist breit gestreut. Die Protagonisten der Rezepttitel lesen sich wie die Hauptakteure in einem Gartenbuch: Spinat, Frühlingszwiebel, Brennnessel, Radieschen, Kartoffeln, Erbsen, Borretsch, Zuckerschoten, Mangold, Quitten, Auberginen usw.. Nur weniges wie etwa Linsen oder Avocado oder Granatapfel findet sich nicht im heimischen Garten, ist zuzukaufen. Jedem Rezept ist eine Doppelseite gewidmet: rechts der Text und links in kraftvollen Farben die abgebildete Speise. Auflockernd dazwischen immer wieder eingestreut ganzseitige Detailaufnahmen von Blättern, Früchten, Gemüsen, Blüten, Gartenwerkzeug u.a. Hier tobt sich die Autorin aus, wenn auch zurückhaltender als in früheren Werken. Aber sie beweist das gute Auge für Wahrhaftes und Schönes. Ihre Abbildungen der Gerichte lassen uns das Wasser im Munde zusammenlaufen. Es sind meist einfache Gerichte ohne viel Firlefanz. Der Brennnesselrisotto mit gratiniertem Ziegenkäse und Bärlauchblüten läutet den kulinarischen Frühling ein. Die ersten Bärlauchblüten die für dieses Gericht mehr dekorativen Charakter haben, zeigen sich ab März. Viel interessanter dagegen sind allerdings die ganz jungen Brennnesselblätter, die nicht nur gut schmecken, sondern auch viel Eiweiß und Vitamin C enthalten. Dies ist ein Risotto ganz nach meinem Geschmack. Weil Brennnesselblätter fast das ganze Jahr geerntet und die Bärlauchblüten saisonal angepasst, durch andere essbare Blüten ersetzt werden können. Für Liebhaber erntefrischen Gemüses zählt der Kartoffelsalat mit Radieschen zu den top ten. Entgegen der Rezeptanweisung schäle ich die gekochten Kartoffeln nicht. Zum einen, weil die Schale von Frühkartoffeln einfach gut schmeckt, zum andern enthält sie wertvolle Inhaltsstoffe. Beim nächsten Gericht, dem Spinatsalat mit Avocado und Apfel war ich von der Kombination und seiner Wirkung überrascht. Da kokettieren milde birnenförmigen Eierfrüchtchen mit einem säuerlichen Ableger aus der Familie der Rosengewächse, gemeint sind Granny-Smith-Äpfel. Eingestreut noch einige geröstete Cashew-Nüsse, sodass das Ganze jene Spur von Krachmacherei und Knackigkeit erhält, die man so liebt. Nach wenigen Bissen taucht aus den Tiefen der Erinnerung plötzlich die Eingebung auf, das kenn ich doch. Und tatsächlich, den Spinatsalat mit Avocado und Apfel finde ich auch in Bonisollis Das vegetarische Kochbuch von 2016. Beim direkten Vergleichen kommen einige Rezepte zum Vorschein, die bereits im großformatigen vegetarischen Kochbuch abgedruckt sind. Der Kürbisreiberdatschi mit Quittenkompott und Schmand wie auch das Linsencurry mit Kürbis und Avocadocreme oder der Karotten-Apfel-Salat mit gebratenem Halloumi, um drei Gerichte zu benennen. Also: Fans von Barbara Bonisolli, die ihre ersten beiden Kochbücher besitzen, werden einige der in VEGETARISCH vorgestellten Rezepte wiederfinden.
Jene, für die Barbara Bonisollis grüne Küche unbekannt ist, quasi Terra incognita, die können sich auf vegetarische Kocherlebnisse freuen, die nicht alltäglich sind, aber es werden können. Frische und regionale Zutaten sind die Voraussetzung, auch wenn sie nicht aus dem eigenen Garten kommen. Die Rezepte sind abwechslungsreich und vielfältig. Delikate Gerichte, die meist schnell zubereitet und mit etwas Phantasie individuell wandelbar sind. VEGETARISCH, mit 50 schnellen Wohlfühlrezepten, ist so schön bebildert, dass man immer wieder gerne darin blättert und sich auch verführen lässt, vegetarische Experimente durchzuführen.
