Caroline Eden & Eleanor Ford, Samarkand

Kulinarische Erlebnisse entlang der Seidenstraße

Aus dem Englischen übersetzt von Elke Homburg
Fotos von Laura Edwards
Hölker Verlag, Münster, 2017, 224 Seiten, 36.-- Euro
ISBN 978-3-88117-134-2
Vorgekostet

Heute reisen wir nach SAMARKAND.

Das stimmt aber nur zum Teil, denn Reisen in ferne Gegenden ist immer ein Aufbrechen ohne Ende. Gleichzusetzen einer Befreiung, die einzige Freiheit, die uns geblieben ist. Und nur zur Orientierung peilen wir einen Ort mit jenem geheimnisvoll klingenden Namen an: Samarkand. Eine Stadt, die den geographischen Mittelpunkt der Seidenstraße – vor allem in ihrer Hochblüte im 13. Jahrhundert – markiert. Tausende Straßenkilometer verbinden die Küstengegenden des Mittelmeers mit der Stadt Hangzhou im östlichsten China, dazwischen mittig platziert, Samarkand. Nur mit flüchtigem Blick umfangen wir die Dörfer und Täler auf unserer Reise. Und man weiß erst, wenn man fährt, was einem die Unternehmung wert ist: der Zauber, unterwegs zu sein, das Geheimnis der Namen, die sich erst mit Inhalten und Leben füllen, das Wirklichkeitswerden eines Traums, das Entzücken an der Entdeckung!

So mag es wohl jenen zwei Frauen ergangen sein, die einfach losfuhren, um die kulturelle Vielfalt und vor allem das kulinarische Erbe der Völker entlang der Seidenstraße aufzuspüren. Der genussfreudige Reisebericht von Caroline Eden und Eleonore Ford erschien unter dem Titel Samarkand im Hoelker Verlag. Die Fotos steuert Laura Edwards bei.

Im Mittelpunkt stehen die Küchen der Tadschicken, Russen, Türken, Bergjuden, Koreanern, Kaukasiern und Usbeken. Also jene sieben ethnischen Gruppen, die Samarkand im Laufe der Jahrhunderte prägten. Eine kulinarische Erkundung, die strapaziöse Reisen voraussetzt, auf endlosen Landstraßen, manchmal Karawanenwegen, manchmal Maultierpfaden, über hohe Pässe, auf gefahrenvollen Berg- und abenteuerlichen Talrouten, manchmal auf kaum sichtbaren Spuren in der Wüste. Am Abend wird der Staub mit Wodka hinuntergespült. Das hochprozentige Getränk ist ein Erbe der Sowjet-Ära, dem selbst die islamischen Volksgruppen Zentralasiens nicht abgeneigt sind. Mehr noch, mit Wodka wird Gastfreundschaft zelebriert.

Eden gibt in der Einleitung einen ersten Überblick über die mannigfaltigen Ausprägungen der Kochkulturen. So erfährt man und staunt, dass eine halbe Million Koreaner von Stalin während des Zweiten Weltkriegs nach Zentralasien zwangsdeportiert wurden. Diese brachten die Schärfe in den Gerichten wie auch kräftige Aromen mit. Sehr viel früher wurden vom mongolischen Militärführer Timur im Schatten des Kaukasus Nordaserbaidschans Juden angesiedelt. Wandert man heute in der Mittagszeit durch die Stadt Gyrmyzy Gasaba, dann breiten sich in den Straßen die verführerischen Düfte von Kurkuma, Eier und Brathähnchen aus. Zum jüdischen Neujahrsfest gibt es vor allem einen große Plow à la Samarkand oder den Rosh Hashanah Plow mit Berberitzen, Granatapfel und Quitten. Plow oder auch Pilow wird gerne mit Risotto verwechselt, dabei gibt es zwei wesentliche Unterschiede zwischen dem zentralasiatischen und dem italienischen Gericht. Der Pilow ist trocken und wird mit Langkornreis gemacht, während für den Risotto Rundkornreis verwendet wird und seine Konsistenz zwischen flüssig und sämig liegt. Ein feiner Happen ist Duschanbe Pilaw, benannt nach der tadschikistanischen Hauptstadt. Da werden Fleischbällchen mit gekochten Eiern von mit Dillspitzen begrüntem Reis umrahmt. Ein anderes Festessen ist Butterreis unter der Schah-Krone und dieses zeigt uns, wie vielfältig Pilaw sein kann. Da wird der Reis in persischem, ungesäuertem Lavash-Brot eingepackt und nach dem Backen wie eine Pizza in sechs Teile geschnitten. Das sieht dann wie eine Krone aus. Und im Basmatireis verbergen sich süße Überraschungen wie Rosinen, Maronen und Aprikosen.

Die Idee für dieses Reise-Kochbuch kam Caroline auf einer ihrer Fahrten durch Zentralasien. In Geschichten, die lose eingestreut im Buch verteilt sind, vertieft sie kulinarische Impressionen. Diese kurzen Beiträge bringen uns nicht nur Kochtraditionen, sondern vor allem die Menschen und ihre geschmacklichen Vorlieben näher. Ob es sich bei ihrer Reise nach Samarkand um Äpfel aus Kasachstan, Haselnüsse vom Schwarzen Meer, den grünen Basar von Almaty in Kasachstan, die Bedeutung des Brotes in Zentralasien, die Auberginen im Allgemeinen und die Festessen im Besonderen handelt – Eden zaubert mit ihren literarischen Splittern eine vielfältige Lebendigkeit zentralasiatischen Alltags. Da werden die Nudelmacher von Kaschgar vorgestellt. Das sind vor allem Uiguren. Diese turksprachige Ethnie im Nordwesten Chinas ist heute politischen Repressalien ausgesetzt, das Ziel, die Löschung des kulturellen Gedächtnis’, wird von der chinesischen Politik angestrebt. Das wird dann doch nicht so leicht umzusetzen sein, denn es sind viele Han-Chinesen, die von den Uiguren die frisch gemachten Nudeln kaufen. Mit akrobatischem Geschick wirbeln die uigurischen Köche in der Öffentlichkeit die immer länger werdenden dünnen Nudelstränge durch die Luft und buhlen so auch um Gäste für ihre Lokale. Die fertigen Nudeln werden dann, mit Fleischbrühe, Paprika, Zwiebeln und Tomaten vermengt, als Beilage zum Lammtopf serviert. Eleanor Ford, die für die Rezepte verantwortliche Mitautorin, hat zum Kennenlernen ein Lamm-Nudel-Laghman ausgewählt, das mit einer Chili-Sumach-Mischung sehr würzig abgeschmeckt wird.

Inhaltlich machen Kategorien die Kapitel aus. Es beginnt mit Mezze & mehr, wird fortgesetzt mit Suppen, dann kommen Kebab & Co., welchen die wärmende Winterküche nachfolgt. Ab hier weiten sich die Kapitel auf in Plows & Pilaws, weiters Beilagen, Brot & Teig, dann folgen Getränke und es endet bei Dessert & Süßes. Den ultimativen Schlusspunkt setzt ein umfangreiches Register.

Von den vorgestellten Rezepten habe ich einige nachgekocht. Einfach und sehr schmackhaft, allerdings ohne rohe Zwiebel, war der Tomaten-Dill-Basilikum Salat. Etwas raffinierter und auch aufwändiger waren die Auberginenrollen mit Walnussfüllung: ein Klassiker des Kaukasus mit den für Zentralsien typischen Zutaten wie Granatapfelkerne und Koreander, der uns die Auberginen in neuem Gewande präsentiert. Die würzigen Korjo Möhren sind eine Erfindung der koreanischen Minderheit. In Ermangelung des richtigen Kohls für ihre Kimchi- Gerichte kreierten sie eine Vielzahl an scharf eingelegten Salaten wie eben diesen Karotten-Salat.

Hier vereint sich die erdige Würze Zentralasiens mit der Schärfe Ostasiens. Für mich verleiht der Kreuzkümmel dem Salat die besondere Note.

Das Omelett auf jüdische Art ist eine Art Frittata oder Schakschuka, das im Bergland Aserbeidschans auf den Tisch kommt, wenn es draußen bitterkalt ist. Und es war ein klarer, kalter Winterabend, an dem mein Sohn Matthias gerade auf Besuch war und wir Khoyagusht – wie es im Original heißt – zubereiteten. Ein herrliches Essen. Das Geheimnis, das diese einfache Eierspeise zu einem imposanten Geschmackserlebnis werden lässt, liegt in der Zubereitung. Ganz am Schluss werden die Eier in die Pfanne geschlagen, die im Backofen unterm Grill langsam gar werden. Die Eier bekommen dadurch eine leichte, fluffige Konsistenz. Zu zweit aßen wir vier Portionen, das muss wohl nicht mehr kommentiert werden.

Die Lachs-Kulebjaka, eine russische Pastete, die einem Strudel ähnelt, ist etwas ganz Besonderes. Für Eleanore Ford ist die mit Lachs, Reis, Eiern und Champignons gefüllte eine der besten Kulebjakas von Samarkand. Dreimal habe ich diesen Strudel zu verschiedenen Anlässen in immer neuen Varianten gebacken; und jedesmal wurde ich fast verlegen wegen der vielen Komplimente. Versuchsweise habe ich die Kulebjaka auch mit „zerrupfter“ Hühnerbrust gefüllt. Sie war zwar auch sehr gut, aber um einiges trockener als die lachsbefüllte. Weitere Versuche sind geplant: mit Fleischfülle, Creme frâiche oder frischen Spinat; aber ich befürchte, dass die Lachs- Kulebjaka nicht zu schlagen ist.

Die Liste der nachzukochenden Rezepte ist lang. Samarkand, von Caroline Eden und Eleonor Ford ist eine gelungene Mischung von Rezepten wie auch Küche- und Reiseeindrücken. Garniert mit phantastischen Fotos, vermittelt dieses Kochbuch einen nachhaltigen Eindruck von einer wenig bekannten Region und den Menschen, die dort leben. Wir kommen ihnen nahe über Gerichte, die sie alltäglich aber auch zu festlichen Anlässen zubereiten. Die beiden Autorinnen legen mit Samarkand eine der interessantesten Länderküchen vor, auch, weil so viele Geschmacksvariationen darin vorkommen.