Daniela Wattenbach, Heimat im Glas

Vergangene Köstlichkeiten

Südwest Verlag, München, 2018, 208 Seiten, 18.50 Euro
ISBN 978-3-517-09691-9
Vorgekostet

Heute reisen wir nach HEIMATEN.

Derer gibt es so viele, wie es Menschen gibt, und keine Heimat existiert wirklich, wenn es nach dem Philosophen Ernst Bloch geht. Denn erst wenn „… der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch sich erfasst hat … [dann] entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ (Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung)

Aber es gibt auch andere Vorstellungen von Heimat, die sich konkret auf Sprache, Familie, Regionen beziehen. Für die Kräuterpädagogin Daniela Wattenbach aus dem bayrischen Franken ist es der Duft der Blumenwiesen, die Großmutter, quasi die Erinnerungen aus Kindertagen, was sie an Heimat knüpft. Was schleppt ihr denn jetzt schon wieder alles an? war Omas wiederkehrende Frage an die Enkelin, die Giersch, Bärlauch, Waldmeister und vieles andere von ihren täglichen Streifzügen durch die umliegenden Heu- und Streu- obstwiesen heimbrachte. Dann wurde erklärt und manches verarbeitet. Deswegen sind Danielas Erinnerungen ans Walnusssammeln und die schwarzen Fingernägel davon, der Geschmack des noch warmen Apfelkuchens und der Geruch des frisch eingekochten Himbeergelees, was sie prägte und was sie als Heimatgefühl empfindet. Heimat ist keine Flagge, wohl aber geliebte Landschaft mit all ihren Herrlichkeiten der Natur. Ob von frühlingshaftem zarten Grün, ersten sommerlichen Gemüsegenüssen, herbstlichen Obsternten oder Sammelerträgen vor angekündigtem Wintereinbruch, Daniela Wattenbachs Sammelleidenschaft ist geprägt von den Jahreszeiten. Und mehr noch, sie konserviert die Köstlichkeiten vor ihrer Haustür in Form von Pesto, Limo, Sirup, Senf, Likör, Gelees, Marmeladen und anderes. Wie, das verrät sie uns in ihrem Kochbuch. Heimat im Glas, welch bezaubernder Titel, entreißt viele Köstlichkeiten der Gefahr des Vergessens.

In vier großen Kapiteln, den Jahreszeiten entsprechend, interpretiert die Autorin ihre kulinarischen Kindheitserinnerungen neu. Ihr Anspruch dabei ist, die Köstlichkeiten der Natur aufzuzeigen und vor allem, wie leicht es ist, diese Reichtümer im Glas haltbar zu machen. Das gelingt ihr hervorragend. In 80 Rezepten, ganz ohne künstliche Zusatzstoffe, werden Gartenerträge und Gesammeltes aus Wald und Feld haltbar gemacht mit unterschiedlichsten Methoden. Daher gilt das einleitende Kapitel grundsätzlichen Überlegungen und Fragestellungen: Was tun mit all dem Obst und Gemüse? Welche Möglichkeiten gibt es, saisonale Lebensmittel haltbar zu machen? Kurz und bündig stellt die Autorin das Einkochen, das Einfrieren, das Dörren und Trocknen von Obst und Kräutern vor, aber auch, was bei der Zubereitung von Marmelade, Konfitüre und Gelee zu beachten ist. Knappest behandelt sie das Haltbarmachen mit Alkohol, Öl oder Essig. Ausführlicher wieder geht sie auf die Herstellung von Säften ein, was uns Nutzern jetzt sehr entgegenkommt, da 2018 ein Obstjahr ist. Unwahrscheinlich, wie voll behangen heuer die Apfel-, Birnen-, Zwetschgen- und Quittenbäume sind. Dementsprechend gerne greift man auf bewährte Rezepturen zurück, wie sie Wattenbach anbietet. Die Birnen sind eingelegt in ein mit Zimt und Rum verfeinertes Zitronen-Zucker-Wasser. Bei den ersten Gläsern habe ich zu lange gewartet mit dem Einkochen nach dem Verschließen der Gläser. Ein Fehler, denn in diesen fünf Gläsern gärt es mittlerweile heftig. Vielen Rezepten fügt die Autorin auch wertvolle Tipps an. So sollten den Birnen mit allem Drum und Dran die Stiele vorher mit einem scharfen Messer vorsichtig abgeschabt werden, damit kein bitterer Geschmack an die Früchte und ihren Sirup weitergegeben werden kann. Die Gurken fürs Essiggurkenglas sollten nicht zu groß und möglichst gerade gewachsen sein. Die Hagebuttenzeit beginnt ab Oktober, da sind die Früchte noch hart und etwas säuerlicher mit viel Vitamin C. Wer das Hagebuttenmus süßlicher mag, muss mit dem Ernten bis nach den ersten Frostnächten warten. Und noch ein wichtiger Tipp: Die Hagebuttenkerne nicht wegwerfen, denn davon lässt sich der wunderbare Kernles-Tee zubereiten. Das war auch für mich neu. Überhaupt ist das Buch Heimat im Glas zur Zeit im Dauereinsatz. Ich lese nach, wie man Quittenbrot und Quittenlikör macht, lasse mich dazu verleiten, Apfelmus und Apfelringe in größeren Mengen herzustellen und meine Kürbisse zu Chutney oder Kürbismus, wie die Bayern dazu sagen, einzukochen. Sauerkraut in großem Tontopf zu machen wurde mir von meiner besseren Hälfte untersagt, aber nicht Sauerkraut in Einweckgläsern.

Ein schönes Unterkapitel thematisiert die Hecke im Herbst. Da widmet sich die Autorin der Hagebutte, der Schlehe, der Kornelkirsche, der Mispel und der Vogelbeere, also der wenig bekannten und verarbeiteten Frucht der Eberesche. Bei zwei Rezepten betrat ich Neuland. Die Fränkischen Oliven  aus Schlehen und der Hagebuttensenf mit Wildkräutern sind einfach ein Wahnsinn. Der Hagebuttensenf muss zwar eine kurze Zeit noch etwas nachreifen, ehe er sein volles Aroma entfaltet. Aber zu Käse, zu kurzgebratenem Fleisch oder im Salatdressing ist die fein-fruchtige Note der Hagebutte einfach himmlisch. Diesen Himmel auf Erden können Sie nachvollziehen, wenn Sie das Rezept des Hagebuttensenfs in Ihrer Küche nachkochen.

Zu manchen der vorgestellten Früchte hätte ich gern mehr erfahren. Die Autorin verweilt sehr stark bei praktischen Erklärungen, etwa: zum Hagebuttensammeln ziehen Sie sich am besten Handschuhe an. Hagebuttensenf mit Wildkräutern oder die reifen blauen Früchte (der Schlehe) sollten Sie allerdings nicht frisch von der Hecke weg essen, denn sie schmecken herb und bitter. Zur Schlehe könnte man bspw. noch erzählen, dass sie Felsüberhänge, lichte Laubwälder, Wiesen und Weinberge als Standorte bevorzugt, dass sie leicht mit Stecklingen kultiviert werden kann, dass auch die Blüten unmittelbar nach dem Aufblühen zwischen März und April gesammelt werden können, wie auch die Rinde im Spätherbst usw. Aber vielleicht will Daniela Wattenbach das in einem nächsten Kochbuch mit neuen Rezepten dann ausführlicher darstellen.

Im Winterkapitel wird den Hühnern Aufmerksamkeit geschenkt und das Rezept für Eierlikör verraten. Das erinnert mich an meine Kindheit und meine Mutter, die gerne ein Gläschen des selber gemachten Eierlikörs trank. Weitere Themen sind noch Honig samt Honiglebkuchen und etwas, das ich nur aus Bayern kenne. Die Fränkischen Minischneeballen sind zwar nur mit einem Spezialeisen zu machen, so dachte ich bisher, aber man kann sie auch mit einem großen Teesieb formen. Das werde ich jedenfalls demnächst ausprobieren. Das alphabetische Rezeptverzeichnis ist in seiner Einfachheit sehr praktisch, mehr braucht es nicht.

Heimat im Glas von Daniela Wattenbach ist ein Kleinod, das es in sich hat. Da wird ein ausgewogener Querschnitt heimischer Kultur- und Wildpflanzen präsentiert und wie sie verarbeitet werden. Weniger ist mehr, scheint hier die Devise. Zudem gibt es einige Überraschungen. Für mich waren das das Vogelbeerenmus, die Zwetschgen in Rotwein und die Gelbe-Rüben-Marmelade, die mir beim ersten Verkosten unmittelbar nach der Herstellung zu süß war und jetzt nach einigen Wochen Reifezeit genau die richtige Süße hat. Freunden, die zum Frühstück eingeladen waren, plünderten, ich kann es gar nicht anders sagen, fast meinen ganzen Gelbe-Rüben-Marmelade-Vorrat. Das sagt alles. Auch wenn manches Rezept recht außergewöhnlich erscheint, Daniela Wattenbach versteht es, die Speisekammer der Natur in tolle Köstlichkeiten zu verwandeln. Da werden sich noch einige Überraschungen auftun bzw. eingekocht.

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