Heute reisen wir nach NEAPEL.
Die Vorstellung vom Süden verbinden sich in der europäischen Reisegeschichte der Neuzeit vor allem mit dem Golf von Neapel. Die Pflanzen- und Blumenpracht ließen die Gegend als irdisches Paradies erscheinen. Auch die scheinbare Freizügigkeit einer libertinären, vor allem männlichen, Erotik gehören seit alters her zu den Charakteristika der Stadtbeschreibung. Also eine heiße Stadt, die zudem umrahmt ist von zwei aktiven Vulkanen. Im Jahre 79 n. Chr. begrub der Ausbruch des Vesuvs Pompeji und Herlculaneum – Stätten neapolitanischer Lebensfreude – unter einem 20 Meter hohen Aschenberg und ließ das Leben zu Stein erstarren. Heute lockt diese legendäre Zerstörungskraft Millionen Menschen an. Wer sich durch Neapel bewegt, treibt durch Raum und Zeit, in der Vergangenes stets gegenwärtig ist. Das Vergangene hat sich, schreibt der Ethnologe Marino Niola, in Gegenstände und Gewohnheiten, Verhaltensweisen, Speisen und Klänge eingelagert. Und Dario Santangelo, ein in Wien lebender Neapolitaner und leidenschaftlicher Koch, bringt es auf den Punkt, wenn er Neapel und den Golf mit einem Terracotta-Kochtopf vergleicht. Die Menschen dieser Region köcheln seit Jahrhunderten in ihm ragù napoletano, das üblicherweise am Sonntag gegessen und an bestimmten Tagen, die der familiären Tradition heilig sind. Eine Sauce, die Ausdruck der neapolitanischen Gemeinschaft ist. Aber Neapel ist mehr: Stimmengewirr, Gehupe, chaotisches und nervöses Leben in den engen Straßen, soviel aromatischer Kaffee, wie er in keiner anderen italienischen Stadt getrunken wird. Das Leben spielt sich sommers wie winters auf den Straßen ab, wird zu Klängen der Tarantella-Musik Pasta, Risotto, Ragù oder eine Frittata gegessen. Nicht zu vergessen die Pizza Napoletana, die im Süden Italiens, im Königreich von Neapel geboren wurde und von hier aus ihren Siegeszug um die Welt antrat. Angetreten sind auch Dario Santangelo und seine Frau Manuela, nicht um die Welt zu erobern, aber zumindest dem deutschsprachigen Raum mit ihren Kochkursen und Kochbüchern die Küche Neapels nahe zu bringen. In ihrem aktuellsten Werk Kochen wie in Neapel, spüren sie dem Lebensgefühl und der Esskultur dieser Stadt nach.
Am Anfang geht es um Geschichte, Brauchtum, Tradition, Küchenutensilien und Kochtechniken, also Theorie und Genese neapolitanischer Kochkultur. Es ist ein Spaziergang durch die Küche der Vorfahren. Man erfährt von Gepflogenheiten, bspw. die des bourbonischen Hofes im 18. Jahrhundert, der von französischen Köchen, den Monsu, bekocht wurde und deren Gerichte und Ess-Trends auch vom ‚gemeinen Volk‘ übernommen wurden. Essen ist den Neapolitanern mehr als ein Grundbedürfnis, es ist mitunter Ritual, aber auch Entschuldigungsgrund, um sich lästigen Leuten zu entziehen in dem man einwirft: ‚Es tut mir leid, ich muss gehen, ich habe noch nichts gegessen!’ Die Santangelos nehmen uns bei der Hand wie Reiseführer und manövrieren uns auf den ersten 50 Seiten mit vielen Bildern und Geschichten durch Stadtteile, Märkte, kleinen Läden, immer wieder umringt von essenden Menschen, durch das quirlige und von Düften beherrschte Neapel. Im nächsten Abschnitt werden Details bekanntgegeben, das was die Alchemie der neapolitanischen Küche ausmacht. Typische Werkzeuge, Utensilien wie den Terracotta-Kochtopf, Fisch-Bemehlsieb und das Abtropfsieb für Frittiertes, aber auch die klassischen Grundzutaten, die den typischen Charakter neapolitanischer Rezepte ausmachen. Gewürze wie Basilikum, Oregano und Fenchelsamen, dann leuchtend gelbe Zitronen sowie Salzkapern, Pecorino romano, Salzsardellen und einiges mehr. Breiten Raum wird der Pasta gegeben, weil erstens, Nudelgerichte in Italien immer als erster Gang, d.h. als Primo serviert wird und zweitens die Kochdauer der Teigwaren ein Indikator für die Qualität ist. Je höher der Proteingehalt des Hartweizens, desto länger die Garzeit und desto höher die Güte des Produkts. In diesem lesenswerten und informativen Abschnitt wird deutlich, dass Nudel nicht gleich Nudel ist, vor allem welches Pastaformat für welches Gericht verwendet wird.
Dann wird ernst gemacht, werden in 10 Kapiteln Rezepte der traditionellen Küche sowie die neuen Trends vorgestellt. Das Autorenduo startet mit dem Tagtäglichen, das sind Pasta und Teige für Brot, Gnocchi, Pizzen und anderes. Dem traditionellen Stellenwert für Feier- und Familientage geschuldet ist das zweite Kapitel, das Festtagsgerichte vorstellt. An erster Stelle steht das Ragù auf neapolitanische Art als Symbol für Wohlstand, gleichermaßen für Arbeiter als auch Unternehmer. Step by step wird der Kochvorgang mit einer Bildergalerie aufgezeigt. Ein Verfahren, das noch einmal angewendet wird, bei der Frittate. Die Gnocchi auf neapolitanische Art werden verfeinert mit geriebenem Pecorino romano und viel Mozzarella die Bufala. Der Mozzarella gehört zu Neapel wie der Vesuv und das Meer. Der gesunde und kalorienarme Frischkäse ist dank seines sanften, milchigen Geschmacks ideal zum Kombinieren mit anderen Aromen, speziell mit Tomaten.
Der Festtag wird schnell wieder abgelöst vom Alltag und so folgt den Festmenüs die Alltagsküche, die zwischen Tradition und neuen Trends pendelt. Da werden gemästete Fusilli, Penne mit Speckzwiebeln genauso aufgetischt wie die berühmten Bucatini-Poverella mit Spiegelei und Pecorino oder ein Wirsing-Risotto.
Minestre die Pasta sind Eintopfsuppen verschiedenster Art, d. h. mit und ohne Flüssigkeit. Schier unendlich scheint die Kombinationsmöglichkeit der Minestre die Pasta: mit Zucchini, mit Miesmuscheln, mit Linsen und einigen Zutaten mehr. Nicht mit Frittaten, denn den Omeletten ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Diese Eierkuchen sind überschriftet mit nachhaltiger Küche und die Autoren demonstrieren, wie diese effizient umgesetzt wird.
Jetzt folgen drei klassische Kochbuchkapitel: Fleischgerichte mit reichhaltig Geschmack, Fisch und Meer auf dem Tisch sowie der reichhaltige Gemüsegarten, nicht nur als Beilage.
Originär wird es mit den Pizzen und pikanten Torten, die notabene von Süßem abgelöst werden. Eine Sonderstellung nimmt m. E. die gefüllte Pizza mit Brotteig auf neapolitanische Art ein, die entweder mit Endiviensalat oder pikantem Stängelkohl und Bratwürsten beschickt ist. Interessant und sättigend allemal erinnert diese geschlossene Pizza mehr an ein Quichegericht mit Hefeteig.
Von verführerischen Cremes, z. Bsp. Bergamottencreme oder Orangencreme bis zu eher aufwändigen Zitronentörtchen „Delizia al Limone“ beglückt das letzte Kapitel all jene, die den dolcis nicht widerstehen können. Ausgezeichnet gemundet hat uns die süße Spaghetti-Frittatina mit Rosinen und Walnüssen, Orangensauce und Schlagsahne und damit eine neue Variante süßer Speisen.
Ganz am Ende findet sich ein Rezeptregister, das nach Kategorien die Gerichte listet, damit aber eine alphabetische Suche unmöglich macht. Das ist sehr schade!
Die vielen Fotos geben sehr stimmungsvoll das pulsierende Leben der Stadt wieder, wie auch die Foodfotos das Wesentliche erfassen und in den Mittelpunkt rücken. Packend und anschaulich erzählt ist Kochen wie in Neapel mehr als ein Städte-Kochbuch. Wer z. Bsp. Canneloni auf amalfitanische Art als Sonntagsmittagessen serviert, das in der Regel um drei Uhr Nachmittag beginnt, hat das Wesen von Neapel, wie es Dario und Manuela Santangelo in ihrem Kochbuch vermitteln, erfasst. Idealerweise sitzt man mit Verwandten und Freunden in der Wohnküche und schaut zwischen den Gängen im Fernsehen die Fußballspiele an. Questa è la vita di Napoli.