Elif Oskan, Cüisine

Türkische Küche

Mit Fotos von Lukas Lienhard

AT Verlag, Aarau und München, 2. Auflage 2023, 300 Seiten, 43.- Euro

ISBN 978-3-03902-182-6
Vorgekostet

Heute reisen wir in die TÜRKEI.

Auf dem Wege dorthin legen wir einen Zwischenstopp ein, in Zürich, besuchen das Restaurant Gül. Elif Oskan empfängt uns, sie ist die Chefköchin und auch Mitbesitzerin der Rose, was Gül im Türkischen bedeutet. Elif hat sich auf die moderne anatolische Küche spezialisiert. Von ihr und über sie wollen wir mehr erfahren und letztlich auch über eine moderne türkische Küche, die aus vielen Kochtraditionen hervorgegangen ist.

Elif kam 1990 mit ihren Eltern aus Südostanatolien in die Schweiz, ein Migrantenkind, das die Chance ergriff, Köchin zu werden. Frühe Einflüsse prägen Elifs Werdegang. Da ist der Sinn für familiären Zusammenhalt, der sich auch übers Essen ausdrückt. Ihre Mutter hat immer schon gut gekocht und aus den einfachsten Zutaten die feinsten Gerichte kreiert, bekennt sie in einem Interview. Elif sieht sich deshalb als Bewahrerin des kulinarischen Vermächtnis ihrer ‚Anne‘, ihrer Mama. Gleichzeitig forciert sie die Modernisierung der traditionellen Küche. Was einem Drahtseilakt zwischen Altüberliefert und Neu gleichkommt oder anders ausgedrückt, die Neubelebung der türkischen Küche ist ihr Ansinnen. Wie das geht? Das entnehmen wir ihrem Kochbuch Cüisine, das im AT Verlag erschienen ist.

Schon äußerlich ragt Cüisine aus der Flut der vielen Kochbücher heraus. Es ist etwas großformatiger als üblich und statt einem Lesebändchen gibt es eine Quaste, damit man das Buch schnell aus dem Regal ziehen kann. Dieses Fädenbündel erinnert mich an einen Fes, früher eine weit verbreitete Kopfbedeckung auf dem Balkan.

Schlägt man den  hellen, feinrippigen Einband auf, folgt ein rosalila getönter Vorsatz und auf der nächsten Seite zwei Worte: Sevgiyle yap – Tu es mit Liebe. Blättert man weiter, so folgen zunächst einige persönliche, fotografisch festgehaltene Erinnerungen – Elif als Baby, mit Geschwistern und als Jugendliche, die Eltern, eine Ansicht der südostanatolischen Stadt Gaziantep, fast an der syrischen Grenze. Dann folgt ein Schnitt zum Heute, zum Buch und seinem Inhalt. Das basiert im Wesentlichen auf zwei Blöcken. Einem Good to know-Teil und den Rezepten. Blockweise eingestreut sind zudem fotografische Blitzlichter aus dem Leben der Autorin, die in sich geschlossen, kleine Unterkapitel darstellen. Detailaufnahmen und Reiseeindrücke, sinnliche Alltagsmomente, die das ausdrücken, was mit Worten oft schwer zu beschreiben ist.

In ihrer Einleitung hält Elif fest, dass das Kochbuch eine Momentaufnahme ihres dreiunddreißigsten Lebensjahres darstellt. Es zeigt ihre Sicht auf die türkische Küche, vor allem, was sie daran bindet und warum diese so faszinierend ist. Neben Elifs Identität mit den anatolischen Wurzeln sind es für sie die Gewürze wie Sumach, Kreuzkümmel und Pul Biber, das allgegenwärtige Feuer wie auch die aufwendigen Schmorgerichte mit unglaublich viel Tiefgang. Der Schlüssel zu ihren Rezepten ist aber ein umfangreiches Basiswissen, das im Good to know-Kapitel ausgebreitet wird. Und wenn man zunächst nicht versteht, warum die Küchenwaage soviel Raum einnimmt, zwei Seiten immerhin, spätestens bei den Rezepten, die grammgenau angegeben sind, wissen wir es.

Ausgehend vom Better-together-Prinzip, worin sich für mich der Orient in Form der Meze spiegelt, entdecken wir gemeinsam moderne levantinische Genüsse. Dabei geht es um nicht weniger als den Geschmack im Gaumen und die Freude für das Auge, wie die Meze-Spezialistin Gabi Kopp es einmal ausdrückte. Auch ein Lebensprinzip wie das Zusammensein: Alle versammelt rund um einen Tisch, mit vielen kunterbunten, kleinen Tellern, die sich nonchalant aneinanderreihen, bis du nicht mehr weißt, bei welchem Tellerchen du beginnen sollst. Aber Vorsicht, zu wenig Essen ist ein No-Go! heißt es da bei Elif. Und deswegen werden die Mengenangaben erhöht, die Rezepte jeweils für sechs Portionen angegeben, was für vier Personen eine ausreichende, d. h., angemessene Menge sein muss. Halbiert man das Quantum reicht es für ein lauschiges Essen zu zweit, und für eine größere gesellige Abendrunde verdoppelt man. So einfach ist Mengenlehre. Dazu gesellt sich, nicht zu vergessen und schon erwähnt, die Königin der Küche – die Küchenwaage. Knappest, aber ausreichend beschrieben werden noch einige Gewürze, ihre Wirksamkeit vorgestellt. Das ist nicht nur spannend, sondern auch sehr hilfreich. Zudem verschaffen sie einen ersten Einblick in Elifs Kochstil, machen das Nachbauen verständlicher. Ein Beispiel gefällig? Sumach ist das getrocknete Fruchtfleisch von Steinfrüchten des wunderschönen Gerber-Sumachs – mein Lieblingsgewürz und die beste Säurequelle ever! Achtung: Wer Sumach kauft, sollte darauf achten, dass er nicht zu pulverig ist und ohne Zitronensäure daherkommt, da sonst der fruchtige Geschmack verloren geht. Er eignet sich auch perfekt für eine simple Salatsauce. Mit großformatigen Landschaftsaufnahmen schließt der erste Abschnitt; Kichererbsen, Maulbeeren und getrocknete Datteln in Säcken läuten den Rezeptteil ein. Zunächst sind das die Basis-Rezepte, die allein für sich schon eine respektable Sammlung darstellen. Ob Pul Biber-Butter oder Cemen-Mayonnaise, wie auch zwei lebenswichtige Teigsorten, alle sind Standard in Elifs Küche, d. h., immer vorrätig und jederzeit einsatzbereit. Eine Art Handapparat, wozu eben der universale Cüisine-Teig zählt, ein Hefeteig, der in 100- und 50-g-Portionen abgepackt für Pide, Ekmek, Lahmacun Express u.a. benötigt wird. Wie auch ein Bulgurteig, der luftdicht verschlossen, sich drei Monate kühl lagern lässt. Aus Letzterem lassen sich wunderbare Icle Köfte formen, das sind mit einer Lammhack-Mischung geimpfte Knödel, die wiederum sich mit Blumenkohl Tursu vertragen usw.. Und so versammeln sich immer mehr Speisen auf dem Tisch, die dann letztlich ein kleines kulinarisches Universum abgeben. Better together ist wie eine Zauberformel, verknüpft die Basis mit weiteren Rezeptmöglichkeiten, schaltet so spannende Kombinationsmöglichkeiten frei, die allerdings erst umgesetzt werden müssen.

Ziemlich genau in der Mitte des Buches geht es dann um die schönste Mahlzeit der Welt. Kahvatli nennt sich das Kapitel und meint Tomate, Kamak, Biber, Tahin, Peynir, Cilbir, Recel, Zucchini, Joghurt, Olive, Honig, Gurke, Menemen, Pekmez, Früchte, Ekmek und Simit, die zusammen Elifs Lieblingsmahlzeit ausmachen und unbedingt zu einem guten Frühstück aufgetischt werden müssen. Diese bunte Ansammlung an Köstlichkeiten heitert selbst den härtesten Morgenmuffel auf, behauptet jedenfalls Elif und sie hat wahrscheinlich recht damit. Diese Opulenz käme für mich nur zu besonderen Anlässen infrage, aber einzelne Teile davon jederzeit wie die gebratenen Zucchini mit Joghurt oder Menemen. Letztere sind Rühreier mit Gemüse, die in der Türkei als typische Junggesellen- und Studentenessen als Hauptgericht oder Beilage gegessen werden. Dieses Gericht wird in manchen Regionen nur mit Tomaten und Paprika zubereitet, ähnelt so der Schakschuka aus der palästinensischen und jüdischen Küche. Elif verfeinert ihr Menemen geschmacklich, gibt zusätzlich Butter zum Olivenöl und weist darauf hin, wegen des hohen Wassergehalts eine große Pfanne mit viel Fläche zu verwenden. Das ist einer dieser kleinen feinen Tipps, die immer wieder durchblitzen. Ganz was anderes ist Kaymak. Ein Aufstrich aus reduziertem Süßrahm, der, mit wenig Honig oder Marmelade überzogen, die Schleckermäuler begeistert. 

Das nächste Kapitel widmet sich den Salaten. Dazu gehört der schon erwähnte Blumenkohl Tursu, der sich in großartigem pinkem Farbton outet, die Rote Bete macht’s möglich. Unglaublich auch die Zwiebelblume, die einer Seeanemone gleicht und den Frühstückstisch schmückt. Ihre Lebensdauer ist begrenzt, die leicht süßlichen Blattsegmente sind zu verführerisch. Übrigens passt sie wunderbar zu Pilaw- und Kebab-Gerichten oder einfach mit frischem Brot, natürlich Ekmek oder Yufka.

Im Türkischen wird Pilaw mit v am Ende geschrieben und um diese Gattung dreht sich alles in der Abteilung Vegetarische Lieblinge. Ohne näher darauf einzugehen, springen wir ins nächste Abteil. Oh my Kebab! heißt es da, aber nicht, weil Elifs Kebabs ohne Cocktailsauce serviert werden wie in den westlichen Ländern üblich, sondern einfach mit Yufka, Salat und Ayran. Zelebrierte Einfachheit und höchster Genuss. Wird der Adana-Kebab mit Lammhackfleisch zubereitet, so ist der Pistazien-Kebab einfach eine Erweiterung des Vorigen um besagte Steinfrucht, ja, die Pistazie wird zwar als ‚lachende Nuss‘ bezeichnet, gehört aber zur Familie der Mangos und Pfirsiche. Den eleganten Pistazien-Kebab widmet die Köchin ihrer Schwester. Auch andere Familienmitglieder werden beehrt, Elifsche Kreationen nach ihnen benannt. Mit Marküs Bayildi, einem Hähnchen-Gericht, bezirzt sie ihren Lebenspartner. Das Rezept kann man in etwa so übersetzen: ‚Markus, der aus lauter Freude in Ohnmacht fiel‘. Was aber wirklich geschah, erfahren wir nicht, nur, dass dieses doch aufwändigere Gericht seither auf der Speisekarte ihres Restaurants steht.

Ein Hoch auf Mama Oskan ist kein Toast-Ausspruch, sondern eine kleine Sammlung jener Rezepte, die von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Anali Kizli Corbasi ist die berühmte Mutter-Tochter-Suppe aus der Provinz Gaziantep, wobei es dort Brauch zu sein scheint, dass die Mutter sich um die gefüllten Icli Köfti kümmert und die Tochter um die Bulgurknödelchen. Falls Bulgurteig übrig bleibt, kann man am nächsten Tag davon Bulgurknödelchen mit Joghurt und Butter machen. Zu diesem Rezept wie auch zu vielen anderen gibt es kleine Film-Tutorials, die von Elif auf youtube hinterlegt sind. Über QR-Codes abgerufen sollte es beim Nachkochen keine Schwierigkeit mehr geben.

Wir kommen in die Zielgerade. Die letzten beiden Kapitel gehören den Süßigkeiten und den Drinks. Eine Überraschung ist Elifs Baklava – keine piksüßen, triefende Honigpäckchen, sondern ein moderates Dessert mit Frangipane anstelle des traditionellen Zucker-Nuss-Mix. Dazu ein Glas Cay oder eine Tasse Kahve, mehr braucht es nicht, um sich entspannt zurückzulehnen, das Essen ausklingen zu lassen.

Cüisine von Elif Oskan ist nicht nur eine schöne Publikation mit vielen Bildern, in die man gerne hineinblättert. Mit Cüisine liegt auch ein Buch über die türkische Kochkultur vor, das dem traditionellen Genuss einen modernen Anstrich verpasst. Elif zeigt mit ihren Interpretationen, was diese Küche drauf hat. Wer sich darauf einlässt wird in ein spannendes kulinarisches Neuland eintauchen, fern jedem Döner-Kult. Seitenfüllende Fotos stehen im Kontrast zu den persönlichen Geschichten, die zusammen das lukullische Lebensgefühl einer 33-Jährigen ausdrücken. Und das ist Elif wichtig: Cüisine will ein Kochbuch sein, das den Familiensinn und geselliges Zusammensein fördert.