Elisabeth David, Die französische Küche

Aus dem Englischen übersetzt von Margot Fischer
Mandelbaum Verlag, Wien, 2017, 540 Seiten, 45.-- Euro
ISBN 978-3-85476-542-4
Vorgekostet

Heute reisen wir nach FRANKREICH.

Wir starten aber in England. Stellen wir uns vor, wir steigen auf das Lizard Lighthouse an der äußersten Südspitze von Cornwall und richten unser Teleskop auf Frankreich. Und stellen wir uns weiter vor, wir können damit in alle großen und kleinen Küchen des Landes, in die Kochtöpfe und in die Aufzeichnungen der dort arbeitenden Köchinnen und Köche einen Blick werfen. Welche Schätze gäbe es da noch zu entdecken? Einen ähnlichen Wunsch könnte Elisabeth David vor fast 70 Jahren gehabt haben, als sie begann, ihre Rezeptesammlung der französischen Küche zu ordnen und zu ergänzen.

1949. Die Spuren der Verwüstungen sind noch sichtbar, die Ernährungssituation im Nachkriegs-England ist trostlos, als Elisabeth David nach einer mehrjährigen Reise auf die Insel zurückkehrt. Schockiert vom schlechten Essen schreibt sie eine Artikelserie über die mediterrane Küche, die ein Jahr später als A Book of Mediterranean Food erscheint. Den Erfolg dieses millionenfach verkauften Buches beschreibt Susanne Kippenberger so: Da „ging plötzlich die Sonne auf, wehte ein warmer Südwind durch die kalten Küchen“. Und, es kamen Paella, Moussaka, Ratatouille, Humus u.a. mediterrane Gerichte auf die britischen Esstische. Elisabeth David hatte also ihre Nische gefunden. Geimpft vom Guten Essen-Bazillus wurde sie allerdings schon früher. Mit sechzehn wurde sie aus einem englischen Internat heraus nach Passy geschickt.

Zu einer Pariser Familie, den Robertots, die auch einen kleinen Bauernhof in der Normandie hatten. Madame Robertots wurde von ihr bewundert und verachtet; wegen ihrer perfekten Organisiertheit in Küche und Haushalt und wegen der langweiligen Donnerstagsnachmittagskränzchen.

Letzteren entzog sie sich, aber, was auf den Tisch kommt, wird Elisabeths späteres Leben nachhaltig beeinflussen. Das war die Lehrzeit in punkto Essen. Ihr kometenhafter Aufstieg als Food-Journalistin und Kochbuchautorin scheint vorprogrammiert. Es vergehen mehr als 30 Jahre, bis ihr wahrscheinlich wichtigstes Werk herauskommt. Das „French Provincial Cooking“ (1960), erst vor zwei, drei Jahren auf englisch wieder neu aufgelegt, ist jetzt, nach 57 Jahren, im deutschen Sprachraum angekommen. Die französische Küche ist bei Mandelbaum in der Gourmandiesen- Reihe erschienen.

Nun ist dieser Küchenschatz für das deutschsprachige Kochbuch-Publikum gehoben. Warum es so lange gedauert hat, ist nicht wirklich zu beantworten. Weil es zu textlastig ist? Weil es keine Fotos gibt? Weil es zu viel Kochkultur enthält? Aber ist es nicht gerade das, was Länderküchen- Interessierte begeistert? Da begibt sich eine Kennerin der französischen Küche auf Augenhöhe mit uns HobbyköchInnen. Nimmt uns ernst, zeigt auf, ohne belehrend zu wirken, wie Urlaubserinnerungen, die zuhause nachgekocht werden, zwar Erinnerungen wachrufen, aber nicht sehr identisch sein müssen mit den Geschmackserlebnissen in Korsika, in der Normandie oder in Burgund. Sie weist darauf hin, dass Nationalgerichte eines Landes nur im Lande vollkommen authentisch schmecken. Daher steht für sie an erster Stelle gutes Kochen. Auch Nachkochen fällt darunter. Gutes Kochen erreiche man, meinte einmal Curnovsky, „wenn die Zutaten danach schmecken, was sie sind“. Aus diesem Grund wird Davids Die französische Küche zuordenbar als eines der wichtigsten Werke über die alltägliche Kochkultur Frankreichs. Ihr Vorteil ist, dass sie zwei Sichtweisen einbringt. Die Außensicht einer kochbegeisterten Engländerin und die Innensicht einer frankophilen Feldforscherin, die über viele Monate durch Frankreichs Küchen tourt. Deshalb wird es kein reines Rezeptbuch wie bspw. Julia Childs „Mastering the Art of French Cooking“, das zwei Jahre später erschien. Auch geht es bei Davids nicht um die haute cuisine, die bleibt ausgeklammert, auch wenn ich spontan manches Gericht wie bspw. die Escargots Farci dieser zuordnen würde. Allein der Aufwand, der erste wichtige Schritt für dieses Gericht, die gesammelten Escargots, also Schnecken, einen Monat lang hungern zu lassen, törnt ab und lässt die kulinarische Neugier abrupt versiegen. Aber Schnecken, Flusskrebse und Froschschenkel gehören eben auch zur französischen Alltagsküche wie eine Quiche oder Bouillabaisse und werden deshalb ebenfalls beschrieben. Selbst die Bouillabaisse, das kulinarische Aushängeschild Marseilles, strapaziert unzählige Theorien; wobei Elisabeth David da klare Ansagen macht. Weißwein der Bouillabaisse hinzufügen ist Ketzerei, schreibt sie. Und zitiert Etienne Fauché, den ehemaligen Bürgermeister von Cassis, der mit wenigen Sätzen das Geheimnis einer gelungenen Bouillabaisse zusammenfasst: „lebende Fische in großer Vielfalt, gutes Olivenöl und erstklassiger Safran. Die einzige Schwierigkeit in der Zubereitung liegt darin, es rasch und heftig zum Kochen zu bringen.“ An vielen Stellen lässt David, in ihrer lockeren Art, kochtechnische und soziokulturelle Hintergründe einfließen. Sie erklärt das Wesentliche, das Warum der Zutaten und wie sie wirken, und lässt uns AnwenderInnen dabei jenen Spielraum, das eine oder andere wegzulassen bzw. zu ersetzen.

Was ich an Elisabeth David besonders schätze, ist ihre Sorgfalt, die sie selbst Außenseitern der Küche zukommen lässt. So beschreibt sie bspw. die Vorzüge des Sauerampfers und wie man ihn als Beilage, Sauerampfer mit Cremesauce, zubereitet. Und, sie widmet ein knappes Kapitel den Resten mit Verweisen auf entsprechende Rezepte. Auch aufgefallen ist mir, dass ausnahmslos österreichische Begriffe wie Fisolen, Germ, Marillen usw. verwendet werden. Zwar verdrängte irgendwo mal eine Aubergine die Melanzane, das dürfte jedoch mehr Ausnahme als Regel eines entwischten Eierfrüchtchens sein. Jene, die mit den österreichischen Begriffen der Zutaten nicht zurecht kommen, finden im angehängten Glossar die Übersetzungen. Danach kommt nur mehr das Rezeptregister. Das wiederum ist so umfangreich, dass man sich darin verlieren kann.

Grob kann man Davids Werk in zwei Teile gliedern. Das erste Fünftel, also etwa 100 Seiten, führt im Wesentlichen die Regionen, die Menschen und ihr Essen samt Koch-Inventar vor. Der Rest sind Rezepte. Erzählerischer Balsam ist die Einführung in die französische Küche. Kurzweilig und mit britischem Humor werden die Franzosen mit ihren kulinarischen Gewohn- und Sonderheiten beschrieben. Da erfährt man vom ständigen Kampf gegen den Mistral und wie der den Charakter prägt. Und um nicht den Verstand zu verlieren, trinken die BewohnerInnen eines Bergdorfes nahe des Mont Luberon einen grauenhaften Wein, aber in einem Becher, um ausreichend Platz für einen großen Anteil Wassers zu haben. Allein die Weinfrage lassen wir bei David außen vor, denn da hat sich wahrscheinlich doch einiges geändert in den letzten Jahren. Es sind ihre Begegnungen, in detailreichen Andeutungen gegossen, zu Geschichtchen geformt, die die Zeitlosigkeit dieses Kochbuchs ausmacht. Etwa wenn David von ihrer Begegnung mit einer Schäferin erzählt, wie sie den Hügel herunterkommt und Kaninchen verkauft, sowie „Schafkäse in Kastanienblätter gewickelt oder mit einem pfeffrigen Kraut, dem Steinquendel.“ Der Quendel ist der wilde Bruder des Thymian.

Deshalb sei ans Herz gelegt, die Einführung zu lesen. Nein, sie ist Pflichtlektüre wie auch die Folgekapitel über Küchenausstattung, Kochbegriffe und Verfahren sowie den Kräutern und Gewürzen. Da erfährt man immer noch erstaunlich viel Neues über die französische Kochkultur.

Dann geht es über in den Rezeptteil, der mit Grundsätzlichem beginnt, den Saucen. Die weiteren Kapitel handeln – klassisch aufbauend – von Salaten, Suppen usw. Sehr originell fand ich ihren Einstieg in die Eier, Käsegerichte und warme Horsd’oevres. Da behauptet David, dass die französische Küche 685 Arten der Eierzubereitung kennt. Darüber mokierte sich ein gewisser Dr. Kitchiner, der für Greatbritain nur sechs aufzählen kann. Elisabeth konterte und gab ihm insofern recht, „dass es wichtig ist, diese Methoden gründlich zu beherrschen, bevor man sich an die restlichen 679 Versionen wagt“.

Den hart gekochten Eiern mit Zwiebelcremesauce konnte ich nicht widerstehen. Am Ende des Rezeptes heißt es: „Wer einen elektrischen Mixstab besitzt, kann die Sauce ohne Mehlbindung zubereiten …“. Geschmeckt haben die im Rohr überbackenen Eier vorzüglich. Übrigens servierte Gérard Depardieu diese Sauce Soubise im Film Vatel seinem König Louis XIV., mit vielen anderen Köstlichkeiten.

Dann entdeckte ich das Huhn auf Burgunderart, das Coq au vin de Bourgogne, und musste es ebenfalls ausprobieren. Zum Huhn kommt eine Sauce, die allerdings eine bestimmte Konsistenz erreichen muss, ohne das Fleisch zu übergaren. Um das zu verhindern, führt die Autorin zwei Methoden an. Ich bevorzugte die erste, in welcher der Junghahn im Ganzen gegart und tranchiert wird, während die Sauce andickt. Das klingt einfacher, als es am Herd dann zu machen ist – aber es gelang. Meine Testesser waren hochzufrieden mit dem mit Burgundersauce übertünchten Huhn. Es schmeckte fabelhaft gut.

Auch an Lauch in Rotwein versuchte ich mich. Dabei erklärt David ihre Methode des Lauchputzens. Die einheitlich abgelängten Stangen werden an der Oberseite kreuzweise eingekerbt und dann einige Minuten unter fließendes kaltes Wasser gehalten. Nun geben sie ihre Schmutzstellen preis und die können leicht weggeschnitten werden. Der Lauch ist der Spargel der Armen. Jedenfalls braucht es für dieses Horsd’oevre nur ein Glas Rotwein, ist also nicht sehr kostspielig. Ich habe dieses Gericht als Beilage gereicht, geschmeckt hat es allen vorzüglich. Nachdem das Kochbuch doch etwas teurer ist, während der Lauch in Rotwein eher günstig ausfällt, verrate ich Ihnen gerne das Rezept.

Elisabeth Davids Die französische Küche ist mehr als ein Kochbuch, mehr als ein Nachschlagewerk. Es ist Kulturgeschichte! Davids Kochbuch der französischen Küche ist anregender Lesestoff. Ein nicht versiegender Quell interessanter Rezepte. Es ist Vorsicht geboten – ich habe von Menschen gehört, die sind mit diesem Kochbuch in die Küche verschwunden und nicht mehr herausgekommen. Naja, ganz so schlimm war es wohl nicht, eher ein Mythos, wiewohl Elisabeth David es verdiente, im Olymp aufgenommen zu werden. Bedient sie uns doch mit einer ganzen Bandbreite von Gerichten, die uns den Alltag kulinarisch versüßen. Viele einfache Speisen, Köstlichkeiten, die uns mit ein wenig Fantasie in die fernen Regionen Frankreichs versetzen können. Mit dazu bei trägt auch die wunderbare Übersetzung von Margot Fischer. Und das Titelbild, illustrierter Ausdruck von la cuisine à la Francaise, das vermutlich Elisabeth Davids Kochphilosophie sehr genau trifft. Nigel Slater, englischer Fernsehkoch und Kochbuchautor hat recht: Nichts regt mehr zum Kochen an, als ein Blick in Elisabeth Davids Werke, speziell in das der französischen Küche.

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