Erika Bänziger, Polenta

Eine Wiederentdeckung

Mit Fotografien von Andreas Thumm
Fona Verlag, Lenzburg, 2014, 128 Seiten, 22.70 Euro
ISBN 978-3-03780-560-2
Vorgekostet

Heute geht es um ein Polentakochbuch.

Stockfisch mit Polenta, das gab es bei uns immer am Karfreitag. Die Großmutter aus dem oberitalienischen Trento hat es nach Tirol mitgebracht. Meine Mutter hat es übernommen. Und es ist eine meiner frühesten Erinnerungen an sie, wie sie am Herd steht und in einer eigenen Pfanne die Polenta anrührte. Früher stand der Maisbrei sehr oft auf unserem Mittagstisch.

Eins zu vier ist das Verhältnis von Maisgrieß zu Flüssigkeit. So die unumstößliche Grundregel für Polenta. Und auch, dass der Grieß im Sturz in die kochende Flüssigkeit eingerührt wird.

Erika Bänziger, eine bekannte Autorin aus dem Tessin, hat dem Polenta nun ein ganzes Kochbuch gewidmet, das im Fona Verlag erschienen ist. Die Basis für Polenta ist der Mais. Das einzige Getreide, das aus dem Westen kam. In ihrer Einführung beschreibt Bänziger sehr knapp den Weg des Maiskorns nach Europa. Das heilige Korn der Indianer war zunächst Zierpflanze in den Gärten der Gutbetuchten. Erst spät wurde die Bedeutung des Mais als Nahrungsmittel erkannt. Selbst während der großen Hungersnot im 19. Jahrhundert in Irland verschmähten die Hunger leidenden Iren den Mais, den die Engländer lieferten. Nach dem britischen Premierminister und wegen der gelben Farbe nannten sie ihn ‚Peels Schwefel‘. Von den Italienern wurde er dagegen um die Mitte des 17. Jahrhunderts plötzlich angenommen. Polenta zu Käse, zu Kalmari, mit Tomatensoße war sehr beliebt bei jenen, die es sich leisten konnten. Die armen Tagelöhner auf den Reisfeldern aßen ihn mit Zwiebelbrühe. Den mailändischen Dichter Alessandro Manzoni erinnerte die dampfende Polenta auf dem Holzbrett an einen ‚Vollmond im Abendnebel‘. Und die Rumänen wandten sich der amerikanischen Pflanze deswegen zu, weil ihre Herren, die Türken, sich den rumänischen Weizen nahmen. In den Norden über die Alpen kam der Mais sehr spät. Mit Migranten aus dem Trentiner Raum, die in den Spinnereien und beim Bahnbau Arbeit fanden. So heißt es bspw. in einem bekannten Trentino-Lied:

Wir kommen aus Trentino
Das wissen Sie gewiß Wo wachsen guter Vino Wo man Polenta frisst …

Bänziger reduziert die europäische Einbürgerung des ‚Welschkorns‘ auf zwei, drei Sätze. Das ist schade, denn ein wenig mehr europäische Geschichte rund um den Mais und die Polenta würde das schön gemachte Kochbuch runder machen. Dafür kommen drei Maisbauern bzw. -förderer zu Wort. Sie erzählen vom Wert alter Maissorten, bspw. dem Linthmais, der heute wieder in drei Schweizer Regionen angebaut wird. Ausführlich werden dann im Polenta-ABC von der Autorin an die 11 verschiedene Maisgrieße bzw. Maismehle vorgestellt. Klar und übersichtlich werden die vorwiegend schweizerischen Maisprodukte beschrieben. Dabei geht es um Spezifikationen wie Anbau, Güteprädikat, Geschmack, Verwendung, Bezug, Ersatz und Spezielles, die nicht weiter beschrieben werden müssen. In einer Fotogalerie über vier Seiten sind die beschriebenen Sorten dann plastisch ins Bild gesetzt. Auffällig in den Produktbeschreibungen ist, dass nur einige extra als glutenfrei bezeichnet werden. Das ist für mich nicht ganz nachvollziehbar, denn dem Mais fehlt per se das Klebereiweiß. Aber das werden wir hier nicht klären.

Dem einführenden Teil ist ein Drittel des Buches gewidmet, die restlichen zwei Drittel sind Rezepte. Hier zeigt sich die wahre Meisterschaft von Erika Bänziger. Der Speisebogen reicht von Mais-Tortilla-Chips über Linthmais-Sushi und Maismuffins mit Speck aber auch süße Muffins, bis zu urschweizerisch angehauchten Gerichten, etwa den Mais-Ribeli oder den Polenta-Bratlingen mit Bündnerfleisch. Eingebracht sei an dieser Stelle, dass jeder Köchin und jedem Koch selbst überlassen ist, welche Polenta-Sorte sie oder er wählt.

Ausprobiert habe ich die gratinierten Maisgnocchi. Der Zeitaufwand ist zwar relativ hoch, aber das war nach dem ersten Bissen schnell vergessen.

Generell ist für eine gute Polenta – so sagen es die Tessiner – mit 90 Minuten gelegentlichem Rühren zu rechnen. Aber dann kommen Geschmacksnoten zur Geltung, die sie dem Polenta niemals zugetraut haben. Eilige kommen auch mit 50 Minuten rühren zu einem passablen Ergebnis. Und für ganz Eilige gibt es den 12-Minuten oder 5-Minuten Maisgrieß – und der schmeckt mit Butter und Käse verfeinert gar nicht schlecht.

Eine besondere Überraschung war für mich der Polenta-Flammkuchen mit Ziegenfrischkäse, der ähnlich einer Pizza ist und doch ganz anders schmeckt. Meinen Sohn Benjamin konnte ich damit überzeugen, d.h., er will dem Polenta mehr Beachtung schenken, als er es bisher getan hat. Er bekam auch von seiner Großmutter die Polentapfanne vererbt, die er noch nie verwendet hat. Jetzt ist es an der Zeit, darin wieder Polenta anzurühren. Das Grundrezept für Polenta mit Varianten verrate ich Ihnen am Ende.

Ob als Beilage oder weiterverarbeitet, die von Bänziger vorgestellten Gerichte sind in der Regel einfach zu kochen, manchmal etwas zeitintensiv, aber immer überraschend vom Er- gebnis. Oder hätten Sie gedacht, dass man aus Maismehl Eis oder Pralinen zaubern kann?

Besonders gelungen ist die Gestaltung des Buches. Jede Doppelseite ist in einem dunkel- bis hellgelben Rahmen eingebettet, der die Farbenvielfalt des Maiskorns widerspiegelt. Eindrucksvolle, ganzseitige Foodfotos sind den meisten Rezepten beigestellt. Hier liegt ein feines, kleines Kochbuch vor, dessen Zielsetzung es ist, den Polenta wieder zu entdecken. Werfen Sie einen Blick in dieses Kochbuch, Sie werden überrascht sein, wie vielfältig die Polenta ist.

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