Erwin Rückerl, Stefanie Rückerl, Hofgut

Ein kulinarischer Sehnsuchtsort mediterran inspiriert

Mit Fotos von Mona Ortner
LV.Buch, Münster-Hiltrup, 2024, 200 Seiten, [D] 32.- Euro | [A] 32.90 Euro
ISBN 978-3-7843-5788-1
Vorgekostet

Heute ziehen wir uns zurück auf einen HOF.

Immer wenn ich an einen Hof denke, dann fällt mir eine Inschrift ein: Dit Huus is mien un doch nich mien … stand kaum zu lesen am Giebel des Obsthofs im Alten Land. In manchen Nächten, wenn der Sturm von Westen kam, stöhnte das Haus wie ein Schiff, das in schwerer See hin- und hergeworfen wurde. Kreischend verbissen sich die Böen in den alten Mauern. So klingen Hexen, wenn sie brennen, dachte Vera, oder Kinder, wenn sie sich die Finger klemmen.* Einige Jahre brauchte Dörte Hansen, um ihre Erlebnisse mit einem Bauernhaus südlich von Hamburg in einen Roman zu gießen. Unser Hof heute liegt in Niederbayern, bei Bad Birnbach, zwischen Braunau und Passau. Ein kleines Gut und genau das Gegenteil vom Altländer Hof im Norden. Das Hofgut Hafnerleiten der Familie Rückerl präsentiert sich als Sehnsuchtsort. Und weil Sehnsüchte nun mal gestillt werden müssen, wie der Hunger, gibt es kulinarische Kostproben einer Hofküche, die mediterran inspiriert ist. Hofgut, so einfach und treffend ist der Titel des Kochbuchs, das im LV.Buch Verlag erschienen ist.

Erwin Rückerl und seine Schwägerin Stefanie Rückerl führen und entführen in eine Landhausküche mit südländischem Flair. Aber, und das ist das Besondere, es werden nicht einfach beliebig Rezepte aufgetischt, nein, es sind Gerichte, die im Einklang mit den Jahreszeiten stehen. Nichts Neues werden Sie einwerfen, und Sie haben recht und doch nicht ganz, denn hier kommt noch etwas Besonderes hinzu. 

Ein erstes Hindurchblättern lässt Großzügigkeit erkennen. Ganzseitige Fotos, manchmal über zwei Seiten, machen einen modernen landwirtschaftlichen Betrieb mit Restaurant sichtbar. Bis in die kleinsten Details des pflanzlichen Lebens und architektonischer Ausformungen. Über die Bilder bekommt man eine erste Vorahnung, worum es Erwin und Stefanie geht. Unsere Küche vereint ländlichen Charme mit mediterranen Aromen, heißt es in der Einleitung und meint: Bei uns kommt das Beste aus beiden Welten auf den Teller. Fenchel und Orange bspw. ergeben einen wunderbaren Salat. Ursprünglich eine mediterrane Kulturpflanze, wird Fenchel mittlerweile überall dort angebaut, wo die Bedingungen passen: auf mäßig trockenen, nährstoff- und basenreichen Böden gedeiht die Knolle zu einem ballaststoffreichen Gemüse mit mildem Anisaroma. Die Orangen   bringen Süße und Vitamin C. Noch ein bisschen Honig und Olivenöl dazu, fertig ist der Fenchel-Orangen-Salat

Salate sind mehr als nur eine Beilage, sinniert Erwin und kreiert Blattsalate mit Früchten und gerösteten Nüssen wie auch einen außergewöhnlichen Artischockensalat, der mit fein geschnittenem Fenchel aufgemotzt wird.

Im Zwischenkapitel Vom Einkaufen zum Abschmecken erläutert der Koch kurz und bündig einige Schritte, die beim Zubereiten einer Mahlzeit zu beachten sind. Frische und hochwertige Produkte zu verwenden ist eh klar wie auch, in lokalen Märkten und Läden einzukaufen. Bekannt sein sollte, dass Tomaten außerhalb der Saison einfach fad schmecken. Deshalb bringt das Kochduo einen  Alternativvorschlag ein, d. h., im Winter kann man für ein Caprese anstelle der Tomaten wunderbar die reife Kaki einsetzen. Und bevor man verwelkten Spinat kauft, greift man lieber auf gute Tiefkühlware zurück. In weiterer Folge geht es noch ums würzen, die richtige Balance zwischen den Geschmacksrichtungen zu finden, was anhand einiger Beispiele demonstriert wird. Man merkt, dass auf dem Hofgut Hafnerleiten nicht nur gekocht wird, sondern auch gelehrt. Was sich wiederum in den Einschüben über Schneidetechnik, Küchen-Essentials oder über die Vorratsküche ausdrückt. Es geht um Grundlegendes, das so beiläufig einfließt, dass man es fast nicht merkt, dabei so wichtig ist für die Arbeit in der Küche. Essenziell sind in der Hofgutküche das kalt gerührter Tomatensugo und das Knoblauchöl, wozu sich noch die Frische Pasta in all ihren Ausformungen gesellt. Sie bekommt viel Raum, sich zu entfalten, ob mit Ricotta-Zitronen- oder Kartoffel-Ricotta- oder Fischfüllung. Oder einfach mit Rote-Bete-Pulver eingefärbt; das Betanin hüllt die Pasta in unwiderstehliches Rot ein. Ein Ableger davon sind Rote Tortellini in Mohnbutter und Parmesan. Ohne es zu merken, sind wir bei den Familienrezepten angelangt. Dazu zählt die Minestrone genauso wie die Parmigiana di Melanzane. Die Kunst bei dem Auberginen-Auflauf ist es, die Eierfrüchtchen nicht im Öl zu ertränken. Und wie macht Erwin das? Der Trick ist, die Auberginenscheiben paniert goldgelb heraus backen, sodass sie kein Fett aufsaugen. Lecker – hier passt der deutsche Ausdruck.

Gut gefällt mir die Idee des Kartoffelcarpaccio mit Nussbutter und Parmesan, das als Vorspeise oder Beilage zu Fleisch oder Fisch  serviert werden kann.

Erwin Rückerls Rezepte holen sich Anleihen aus Gesamtitalien. Polenta Peperonata ist ein traditionelles Bauernessen aus Norditalien, während die Geeiste Mascarpone-Torte neuere Kochbestrebungen des Südens aufgreifen, wie mir scheint. Von besonderem Geschmack, den man allerdings mögen muss, ist die Radicchio-Konfitüre. Sie ist mir, aufs Butterbrot geschmiert, doch eine Spur zu bitter, aber zum Käse gereicht – wundervoll. Auch die Gemüseaufstriche, ob als Amuse-Gueule oder so zum Nebenbei Schnabulieren auf selbstgebackenem hellen Sauerteigbrot gestrichen, sind fantastisch. Vom Kürbis-Ingwer-Aufstrich kann ich fast nicht genug bekommen. Wer lieber Süßes mag, dem sei die Pastéis de Nata empfohlen. Das beigestellte Rezept ist eine Annäherung, denn das Original ist unter Verschluss. Jeder Lissabonbesucher, ob er will oder nicht, kommt nicht an dem portugiesischen Cremetörtchen vorbei, das ursprünglich ein Resteverwerter war. Um den trüben Wein zu klären, benötigte man Eiweiß, viel Eiweiß und die übrig gebliebenen Eigelbe kamen in die Creme. Damit schließt sich wieder der Kreis, kann ein weiterer Punkt der Rückerlschen Küchenphilosophie abgehakt werden, der lautet: Wir verpflichten uns zur möglichst vollständigen Verwertung aller Lebensmittel … setzen auf eine nachhaltige und respektvolle Nutzung aller Ressourcen.

Hofgut von Erwin und Stefanie Rückerl ist ein außergewöhnliches Kochbuch, das aus langjähriger Erfahrung jene Rezepte anbietet, die Sehnsüchte nach Heimat und Familie stillen können. Hier findet keine pastellig rührselige Verklärung statt. Hier spielen Gerichte eine maßgebliche Rolle, die gemeinschaftliches Essen an einem großen Tisch fördern. Wieder so ein Punkt Rückerlscher Küchenphilosophie. Als Maxime gilt den Autoren wohl: weniger ist mehr. Viel Raum nehmen dabei Fotos ein, mit vermittelndem Blick zwischen Architektur und Natur. Daher ist Hofgut im gewissen Sinne auch eine Festschrift. Aber an vorderster Stelle stehen die Rezepte und die sind beneidenswert gut. Aber ich muss jetzt in die Küche und den Sellerie-Aufstrich und den Kürbis-Ingwer-Aufstrich machen für meinen Chor. Autumn comes … werden wir singen, oh ja, Musik kann so herbstlich wie ein Kürbis-Aufstrich sein.

* Dörte Hansen, Altes Land, Albrecht Knaus Verlag, 2015