Heute reisen wir nach GIVERNY.
Kunstkennern unter Ihnen wird sofort klar sein, was es mit diesem Ort auf sich hat. Giverny wäre ein kleiner unbedeutender Ort in der Normandie, wäre da nicht der Landsitz des Impressionisten Claude Monet, auf halbem Weg zwischen Paris und der Küste des Ärmelkanals gelegen. Der Maler fand dort alles, was zu seinem Lebensglück gehörte: ein Haus mit Atelier, einen großen Garten und Wasser, um einen Seerosenteich anzulegen. Vor allem aber dieses besondere Licht und die Farben, mit denen Monet das Motiv aufweicht zugunsten von Stimmung. In diesem Haus verbrachte er die zweite Hälfte seines Lebens. Heute ist es ein Museum. Busweise fallen die Touristen ein. Ihre Hektik, getrieben von der Erfüllung des Besichtigungssolls, wird gedämpft, sobald sie die Ruhe über dem Anwesen spüren. Vom pulsierenden Leben, das ehemals dieses Anwesen beherrschte, ist nichts mehr zu spüren. Das Alltagsleben ebenso wie die Monets, verschwunden. Gäbe es da nicht Briefe, Fotos, Bilder und einen Nachlass mit originalen Rezeptaufzeichungen vom Maître höchstpersönlich, die uns einen Blick auf ein Familien- und Künstler-Leben vor hundert Jahren gewähren. Diese Dokumente verdichtete Florence Gentner zu einem eindrucksvollen Künstler-Kochbuch, das stark von der Lebensbiograph Claude Monets geprägt ist. Zu Gast bei Monet gibt einen wunderbaren Aus- und Einblick auf die kulinarischen Vorlieben des Künstlers. Nach dem Grundsatz, Freundschaften muss man pflegen, denn Freunde sind besser als Verwandte, bewirtete und verwöhnte der Maler seine zahlreichen Gäste und Freunde mit köstlichen Gerichten.
Die landschaftlichen Schönheiten der Normandie verknüpfte Monet mit den kulinarischen Genüssen. Er liebte gutes Essen selbst in den schwierigen Phasen seines Lebens. „Ich war schon immer ein guter Esser, und das hat mir nicht geschadet“, gestand er seinem Freund und Kunsthändler René Gimpel. Vielleicht ist deshalb das erste Rezept eine kräftige Tomatensuppe. Noch erhält man frisch geerntete, richtig gut schmeckende Fleischtomaten. Und die Suppe ist schnell angerichtet.
In vier großen Kapiteln, die sich an den wichtigsten Lebensabschnitten des Malers orientieren, werden Zugänge eröffnet, die sowohl die künstlerische Entwicklung als auch familiäre Alltagssituationen aufzeigen, und darin eingebettet, was bei den Monets auf den Tisch kam. Am Beginn scheinen es Rezepte einer eher einfachen, bodenständigen Küche zu sein. Gute herzhafte Kost wie Champignongratin, Möhren nach Landfrauenart oder die Bohnenpfanne mit Würstchen. Apropos Würstchen: kennen Sie Austern mit Würstchen? Es klingt nicht zusammenpassend, ist aber ein klassisches Gericht in ganz Südwestfrankreich. In geöffnete kalte Austern werden heiß angebratene Wurstscheiben eingelegt und dazu Schwarzbrot mit Butter serviert – überraschend delikat. Kochen war Monets Sache nicht. Wenn er in der Normandie malte, aß er im Gasthaus – als junger Künstler das Billigste wie Salat mit Senfsoße oder ein Omelett. Wenn Künstlerfreunde ihn besuchten, dann kochten diese auf. Monet erinnerte sich an einen Besuch von Gustave Courbet und Alexandre Dumas: „Wenn sie sich nicht unterhielten, dann sangen und kochten sie zusammen, Courbet nach Rezepten aus der Franche Comté, Dumas nach Rezepten aus der ganzen Welt!“ Überhaupt halfen sich die Künstler gegenseitig, auch wenn sie in finanziellen Schwierigkeiten waren. Und die Lebenssituation war nicht immer sonnig. Monets Gemälde „Mittagessen“, 1870 eingereicht beim „Salon de Paris“ – die wichtigste Kunstschau damals -, wurde ohne Begründung abgewiesen. Das war zwar finanziell eine Katastrophe, aber künstlerisch ein Wendepunkt. Ein großflächiges Bild mit viel Raum für Weiß und dessen Schattierungen. Weiß sind das Tischtuch, die Teller, die Serviette, der Löffel, die Eier; und die Gegenstände brechen das Licht immer in einem etwas anderen Weiß. „Monet fängt mit seiner Palette jeden Bestandteil des Lichts, jeden Zauber der Luft, jeden schwebenden Nebel ein“, beschrieb Octave Mirbeau diese Impressionen. Mich aber fing beim Tippen dieses Zitates etwas ganz anderes ein, nämlich Hunger. Und der Rezepttipp Eier Orsini kam gerade rechtzeitig. Mit einer Stunde Unterbrechung, nach Genuss der gebackenen Eigelbsonnen, konnte ich wieder konzentriert an diesem Text weiter schreiben. Wenn Monet an abgeschiedenen Orten malte, war die Verpflegung mitunter recht eintönig und so klagte er in einem Brief: „Die meiste Zeit werde ich hier wohl Eier und Hummer essen, wahrscheinlich bis zum Überdruss …“. Uns kann das nicht passieren, mit Monets Kochbuch in der Hand und Kochvorschlägen wie Gestürzte Eier mit Tomatensauce, Pochierte Eier nach Lyoner Art, Hummer auf amerikanische Art und andere.
„Zu Tisch, zu Tisch, essen wir das Täubchen, es ist nur gut, wenn man es heiß isst!“ Dieses Lied stimmte Monet am Familientisch an, wenn er gut gelaunt war. Und das war er meistens. Wie überhaupt die Impressionisten jede Gelegenheit nutzten, sich bei kulinarischen Festivitäten zu treffen. Und die fanden sehr oft in Monets Haus in Giverny statt. Da wurde über Rezepte gesprochen, Erinnerungen ausgetauscht. Es ging dabei nicht immer nur um Ansichten über Kunst und Malerei, sondern um literarische, politische und philosophische Themen. Die Impressionisten glichen sich in ihrer Art und die gemeinsamen Essen stärkten ihre Freundschaften. Monet hatte bis ins hohe Alter einen kräftigen und feinschmeckerischen Appetit.
So ist Zu Gast bei Monet, mit 60 Rezepten aus Giverny, mehr als ein Kochbuch. Es ist auch eine kurzweilige Biographie mit gerichtelastigem Schwerpunkt. Es spiegelt den Alltag einer gutbürgerlichen Künstlerfamilie mit all ihren Nöten und Freuden wider, der vor allem von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beeinflusst ist. Und dann sind noch die vielen Rezepte, die darauf warten, nachgekocht zu werden. Bspw. Schweineschulter Sacha, Böfflamott von Marthe Butler, Stockfisch-Bouillabaisse nach Paul Cézanne, Gefüllte Artischoken, Pfirsichauflauf, Teecreme, Kartoffelpastete und und und. Besonders beeindruckt bin ich aber von Claude Monets Bild Apfelkuchen, das er 1882 malte. Deshalb erfahren Sie auch das Rezept seiner Tarte tatin.
Die Kochanleitungen sind knapp und gut verständlich, sowie mit ganz wenigen Ausnahmen problemlos am eigenen Herd umzusetzen. Schön illustriert, mit meisterhaften Foodfotos von Francis Hammond, die wunderbar mit den eingestreuten Gemäldereproduktionen harmonieren. Gourmetimpressionen vom Feinsten. Aber lassen wir Claude Monet das letzte Wort: „Wie immer in Eile, mein Liebling, mein Tagesprogramm ist voll. Den Schnaps in den Keller stellen, den Wein heraufholen, etc.“