Heute geht es ins Bierland.
Eingepfercht zwischen Tschechien und Deutschland liegt es, das Bierland Österreich, wenn man vom Pro-Kopf-Konsum für Bier ausgeht: demnach trinken laut einer Statistik der deutschen Brauer jede Österreicherin und jeder Österreich 108 Liter Bier im Jahr (Quelle: The Brewers of Europe, Nationale Mitgliedsverbände [Daten aus 2010]) ‚Bir sind Bier‘, könnte der nationale Slogan der Bürger vom Land der Berge, Land am Strome heißen. Überschäumend vor Glück dürfen wir sein, wenn die These stimmt, dass ohne Bier es unsere Zivilisation nicht geben würde. Bier ist somit die größte Erfindung der Menschheit, die dazu führte, dass wir vor ca. 10.000 Jahren sesshaft wurden.
Überschäumend war auch die erste Erfahrung, die Taliman Sluga mit Bier als Kind machte. Er zuckerte das für ihn neue Getränk mit schäumendem Effekt. Wie es schmeckte, daran erinnert er sich nicht mehr. Jedenfalls nicht abschreckend, sonst hätte er sich nicht, zusammen mit Hans Seidl und Franz Peier, dem Bier verschrieben. Das Ergebnis der Beschäftigung mit dem flüssigen Thema liegt nun vor.
Überschäumender Genuss, so der Titel des Bier-Kochbuchs, ist im Leopold Stocker Verlag erschienen. Darin werden sowohl Rezepte mit Bier als auch Biere aus Österreichs Klein- und Privatbrauereien vorgestellt. Über zwei Zugänge nähern sich die Autoren dem Gerstensaft. Zunächst tragen sie alles Wissenswerte rund ums Bier zusammen. Das beginnt mit der Geschichte des Bierbrauens und endet beim Bier als vorzügliche Kochzutat und idealer Begleiter zum Essen. Dazwischen eingestreut das scheinbar Nebensächliche der Bierkultur, das die Autoren beleuchten. Etwa: Welche Bierheilige und Patrone gibt es? Welche Symbole gibt es? Da erfährt man bspw., dass der Davidstern, das Hexagramm, auch ein Symbol für das Brauwesen ist und im Logo manch alter Brauerei noch aufscheint. Die Herstellung von Bier wird schön bebildert dargestellt, wie in einer Fotogeschichte. Mittels einer detailgenauen Übersichtsgrafik (Seite 20) gelingt es Ihnen, die Abläufe des Bierbrauens mit einem Blick zu erfassen. Kenntnisreich beantwortet werden Fragen zum Bierglas, zur Biersprache und Bierverkostung sowie zur Ausbildung zum Biersommelier. Darüber hinaus werden unzählige Biersorten beschrieben nebst den Brauhäusern, in denen es hergestellt wird. Dieses Kapitel schrammt allerdings hart an der Trennlinie zwischen informellem Inhalt und Public Relation entlang. Hier wäre m. E. eine neutrale Bebilderung der Vermittlung der Partnerbrauereien wesentlich dienlicher als manches Seiten-Blicke-Sujet. Allerdings gilt das Hauptaugenmerk dieses Kapitels in erster Linie den Biersorten. Da werden der ‚Kräftige Hermann‘, die ‚Spezielle Trude‘, ‚Tripple 22‘, ‚Das Märzen‘, ‚Osterho(p)s‘ repektive Osterhos, ‚Weizenguss‘, Hinter 1270er‘, ‚Hoangarten Bier‘ und viele andere Biermarken ausführlichst beschrieben. Eine Kostprobe gefällig? Wie wäre es mit dem ‚Slow 2‘ von der Handbrauerei Gerhard Forster?
‚Das Slow 2‘ ist ein helles Vollbier. Gute Balance, fein abgestimmte Eleganz, ein schlanker Körper zeichnen es aus. Der Schaum feinporig, stabil, kräftig, gut haltbar, haftet auch gut am Glas. Dunkles Goldgelb bis Kupfer die Farbe mit leichter Naturtrübung. Der Geruch blumig, aromatisch fruchtig, heftig, der Geschmack malzig mit Karamellanklang und Honig und Banane. Lange Bittere verschwindet im frischen Antrunk, dann ist‘s fein säuerlich, fruchtbetont im Mund und feinherb im Nachtrunk. Na, wenn das keine Lust auf einen Schluck Bier macht! Die Bierbeschreibungen in diesem Buch stammen von Biersommelier Martin Retzl. Und viele der vorgestellten Sorten können über das Internet bestellt werden.
Insgesamt verarbeiteten die Autoren im ersten Hauptteil eine Unmenge an Informationen, was den Überschäumenden Genuss wohl in die Nähe eines kleinen Bier-Breviers rückt.
Im zweiten, etwas umfangreicheren Hauptteil präsentiert der Meister an den Töpfen und Kochlöffeln – Franz Peier – eine Vielzahl von Rezepten mit Bier. Klassisch geordnet, beginnend mit Vorspeisen, Salate, Brot und Gebäck, Suppen, über Zwischen- und kleine Gerichte, gefolgt von Hauptspeisen und Dessert, werden an die 70 mehr oder weniger hopfenangereicherte Speisen beschrieben. Einige habe ich nachgekocht, einige stehen noch auf der Vormerkliste, wie das Blitzgulasch in der Tasche.
Der Lachs mariniert, eigentlich eine Vorspeise für heiße Sommertage, passte sich sehr gut dem warmen Herbstsonntag an, an welchem ich sie meinen Gourmet-Freunden servierte. Marinade und Fisch-Tatar kamen sehr gut an, während das beigestellte Weißbiersorbet nur mäßig Zuspruch erfuhr. Vielleicht auch deswegen, weil ich ihnen die darin verarbeitete Zuckermenge verriet. Das Aroma allerdings war phantastisch.
Sehr gelungen finde ich den Büffelmozzarella mit Orangen-Bier-Melanzani. Das Gemüse-Frucht-Gemisch mit dunklem Altbier abzulöschen ist eine tolle Idee und wirkt sich in Form einer leicht sämigen Konsistenz höchst positiv aus.
Von den Hauptspeisen habe ich die Hühnerkeulen in Zwetschken-Biersauce (Seite 144) ausprobiert. Ein Gericht, das leicht und schnell umzusetzen ist und wunderbar schmeckt. Die Beilage aus karamellisierten Apfelspalten und Radicchio erweiterte ich von vornherein mit zwei gekochten, würfelig geschnittenen Kartoffeln, aus Angst, es könnte zu wenig sein. Eine Befürchtung, die sich bereits nach wenigen Bissen in Luft auflöste, denn das Mahl ist so nahrhaft, dass wir alle satt davon wurden. Es hätte keine extra Kartoffeln gebraucht.
Das Rezept, das ich Ihnen am Ende verrate, ist Schweinsmedaillons in dunkler Biersauce. Franz Peier emfpfiehlt für die Biersauce dunkles Starkenberger Bier, das im Tiroler Oberland, in Tarrenz gebraut wird.
Die Gestaltung des Kochbuches scheint vom Geist des Bieres inspiriert. An den Seitenrändern perlen Biertröpfchen, in die die Seitenzahlen einverleibt sind, ein Prinzip, das sich durchzieht. Ebenfalls sind allen Rezepten Kästen mit empfohlenen Bieren angefügt, die nicht selten die meisterhaft ins Bild gesetzten Gerichte leicht bedrängen.
Am Ende bleibt ein Staunen. Über die vielseitigen kulinarischen Möglichkeiten, die sich mit diesem einfachen Gerstensaft, bestehend aus nur drei Teilen, verwirklichen lassen. Es gilt also noch viel zu entdecken und dazu wird dieses Bier-Kochbuch wesentlich beitragen.