Frenzel Ralf (Hg.), Die Kochlegende Hans Haas

Einleitung, Interviews und Essays von Stefan Pegatzky
Fotos von Tommas Bried & Andreas Hantschke
Tre Torri Verlag, Wiesbaden, 3. Auflage 2019, 240 Seiten, 41,10 Euro
ISBN 978-3-944628-83-7
Vorgekostet

Heute reisen wir nach MÜNCHEN.

Dort treffen wir einen Mann, der die 50 längst überschritten hat. Von schlanker jugendlicher Statur, sein Äußeres ist für seinen Beruf eher ungewöhnlich, strahlt er eine große Ruhe aus trotz der vielfältigen Anforderungen. Ist er doch der Küchenchef des Münchner Nobelrestaurants Tantris. Das erfordert höchste Konzentration, Überblick, Organisationstalent und eine gehörige Portion Kochphantasie. Die Rede ist von Hans Haas. Ein bescheidener Mann, mit bedächtiger Rede. Als ruhig und besonnen beschreibt ihn eine langjährige Weggefährtin, die Weinspezialistin Paula Bosch. Werte sind ihm wichtig. Diese hat er von seinem Elternhaus in der Wildschönau mitbekommen. Dort ist seine Heimat. Manchmal besucht er seinen Bruder, der den elterlichen Hof übernommen hat. Dorthin zieht er sich auch mal zurück vom 60, 70 Wochenstundenstress. Halt und Kraft gibt ihm aber seine Familie und den inneren Ausgleich findet er beim Wandern und Sammeln von Naturmaterialien. Aus ihnen formt er in seinem Werkraum kleine Kunstwerke, wie den bunten Fischgrätenbaum, der im Restaurant Tantris an prominenter Stelle für Aufmerksamkeit sorgt.

Unser heutiges Interesse gilt dem zwei Sterne-Koch Hans Haas. Mit ihm eröffnete der Tre Torri Verlag eine Publikationsreihe, die sich erstklassigen Sterneköchen und ihren kulinarischen Meisterwerken widmet. 2016 zum ersten Mal herausgekommen, erscheint Die Kochlegende Hans Haas 2019 bereits in dritter Auflage.

Das Konzept ist einfach: In einem ausführlichen Interview wird zuerst der Meisterkoch Hans Haas vorgestellt; dann kommen seine Rezepte. Diese sind in drei Kategorien unterteilt: Vorspeisen, Zwischengerichte, Suppen bestreiten dabei den Löwenanteil, können mit 23 Gerichten beziffert werden. Acht Hauptgerichte lösen sie ab und abschließend folgen Käse und Dessert. Ausführlich kommentiert werden alle Rezepte in Form kurzer Essays, die Stefan Pegatzky kenntnisreich verfasste. Er führte auch ein Gespräch mit Hans Haas, in dem der Werdegang des Kochs deutlich wird. All die Höhen und Tiefen eines Kochlebens kommen ebenso zur Sprache wie Fragen zur Produktwahrheit, zum Umgang mit MitarbeiterInnen und der Loyalität gegenüber dem Restaurant und seinen Betreibern. Seine Ausbildungs-Stationen liegen gar nicht in großen Fernen, sondern bewegen sich geographisch im Umkreis von ca. 300 Kilometern. In den Alpen, den Voralpen und der Oberrheinebene. Konkreter: Der Lehre in der Wildschönau folgen Aufenthalte am Tegernsee, im badischen Ettlingen und elsässischen Illhäusern, die ihn prägen. Er arbeitet sich hoch und hinein in die heiligen Kochhallen eines Marc Haeberlin und Ekkehard Witzigmanns Aubergine in München. Dann folgt ein kurzes Gastspiel in Frankfurt, wo er den heruntergekommenen Brückenkeller zum besten Restaurant der Stadt macht. Man wird auf Haas aufmerksam, auch Fritz Eichbauer, der das Tantris betreibt. Er engagiert Haas als Chefkoch. Eine Herausforderung, die dieser annimmt und die ihm heute im 30sten Dienstjahr immer noch Vergnügen bereitet. Hier stimmt alles. Die Mannschaft, der respektvolle Umgang miteinander, das Ambiente, sein äußerst vertrauensvolles Verhältnis zum Besitzer. Ekkehard Witzigmann beschrieb Hans Haas einmal als den ruhenden Pol in der Mannschaft, der oft als Vermittler zwischen den Kochgranden und ihren Adepten fungiere. Das wirkt sich positiv aus, erzeugt ein gutes Arbeitsklima, hält das Niveau und die Qualität der Küche hoch. Davon geben 35 spannende Rezepte eindrucksvoll Zeugnis: sie spiegeln die Leidenschaft, das Streben nach Perfektion und kunstvollem Arrangement wider.

Der kulinarische Einstieg in die Sterneküche, das erste Rezept, ähnelt einem Erdbeereis im Waffelhörnchen: Rindertatar in der Filotüte – sinnlich, verführerisch, raffiniert und einfach zugleich. Maskerade mit Genuss, denn ein Tüpfelchen Meerrettichmousse versteckt sich hinter wilder Rohheit, eben Tatar. Fleisch, nach den Tataren benannt, die auf ihren Kriegszügen alles kurz und klein geschlagen haben. So haftet diesem ‚Tatareneis’ auch eine gewisse Blutrünstigkeit an. Sehr originell und pure Täuschung.

Eine feine Gewitztheit kann man auch dem zweiten Rezept nicht absprechen. Zwei Kartoffelhälften, ausgehöhlt und mit Kaviar gefüllt, baden in heller Creme. Kaviar-Kartoffel mit heller Schnittlauchcreme verblüfft und ist für mich Ausgangspunkt für unzählige Variationen, die ich ausprobieren möchte. So sehr inspiriert das Rezept, die Kartoffel auch mit anderen Ingredienzien zu befüllen. Allein diese beiden Gerichte zeigen schon, dass Haas ein Verfechter simpler Natürlichkeit ist, die sich auf das Elementare reduziert. Wunderbar gezeigt in einer weiteren Vorspeise, wo Kaviar auf einer Insel von Lauchpüree thront. Nussbutter umtost das grüne Eiland. Erstaunlich auch wie wenig Butter fürs Püree verwendet wird. Ein ungewöhnlicher Mix!

Sehr angetan war ich von der Räucherforellensuppe mit Grießnockerl. Vielleicht weil sie an asiatisches Streetfood-Essen erinnert. Die Zutaten dieser Suppe sind alpinen Ursprungs, naja, mit Ausnahme mancher Gewürze. Forellen, Gemüse für die klare Suppe, Grieß für die Nockerln und Tomaten für die Essenz, alles aus regionaler Produktion.

Besonders begeistert war ich auch von einer Pastete. Nicht aus Patriotismus, weil das Gericht das Rot-Weiß-Rot der österreichischen Fahne auf dem Teller verkörpert. Nein, die Rote-Bete-Ter- rine mit Meerrettichmousse ist aromatisch zwischen lieblicher Rübe und scharfer Wurzel anzusiedeln. Äußerlich ist der strenge Rote-Bete-Meerrettich-Quader diagonal auseinander geschnitten und schräg versetzt, zudem mit Marinade, Sauerrahm, Blutampfer und Friséesalat garniert. Hier treffen strenge Geometrie und Naturchaos aufeinander und werden so zu einem verzehrbaren Kunstwerk. Anzumerken ist auch, dass der zeitliche Aufwand groß ist wie auch die Gefahr, dass das Rot der Bete sich ins Weiß der Mousse einmischt. Die Kühlzeit von ca. 6 Stunden ist unbedingt einzuhalten.

Für Kenner der Haas’schen Küche ist die verkohlte Sardine mit Curry-Kräuter-Sauerrahm und Auberginensauce sein berühmtestes Gericht. Ein fast gespenstisches Schauspiel erwartet uns mit zwei verkohlten Fischen, die in gelbtrüber Sauce dümpeln. Alles Täuschung. Dieses Gericht kreierte der Küchenchef für Adrià Ferran. Haas täuschte bewusst, d. h., er tarnte seine klare Produktküche und zog den Sardinen einen mit Tintenfischtinte geschwärzten Tempurateig- Panzer an. Imitierte so das Reduktionistische der Molekularküche. Ein guter Scherz mit künstlerischer Dynamik.

Hans Haas hat noch eine besondere Gabe. Er verleiht seinen Gerichten eine Ausstrahlung. So wird seine lauwarme Forelle mit Gurkennudeln und Wurzelbrotchips mit dieser Kombination zur deutschen Anmutung. Das schreibt Stefan Pegatzky in seinem Begleit-Essay. Brot hauchdünn geschnitten, goldbraun bis angehaucht verbrannt geröstet, wird mit den übrigen Zutaten zu einem fischartigen Objekt gestylt. Das Netzartige der Brotstruktur ist ein immer wiederkehrendes Element der Haas’schen Küche.

Das Bayrische Milchlamm auf Kartoffel-Spinat-Füllung schlug bei meinen Freunden und Testessern wie eine Bombe ein. Sie waren überwältigt von der Zartheit des Fleisches wie auch vom mitgegarten Kartoffelgemüse und beigestellten Spinat, die den Genuss fast exponential verstärkten. In der Verwendung des halben Lamms steckt bereits der Vorsatz, alle Teile vom Tier zu verwerten. Und damit wird klar, der Nose to Tail Trend hat eigentlich zwei Väter, Hans Haas und Fergus Henderson.

Mein persönlicher Favorit aber sind die geschmorten Rinderbackerl mit Rucolapüree. Butterweich und von intensiver Geschmackskraft sind die Backerln auf zartgrünem Rucolapüree gebettet. Wie ein Luftkissenboot, das in einer Bratensauce vor Anker liegt. Es schmeckt hervorragend und schön ausschauen tut’s obendrein, befindet auch der Essayist.

Als Nachtisch gäbe es noch mit Zwetschgen oder Marillen Veredeltes. Auch hier bleibt Haas seinen österreichischen Wurzeln treu, serviert uns Palatschinken mit Marillenkonfitüre und ein Karamellsoufflé mit Zwetschgenröster und Sauerrahmeis. Sich zu entscheiden fällt da schwer!

Hans Haas ist ein Fan der Marille. Und einmal im Jahr verkochen er und seine Küchenbrigade eine Tonne Marillen zu Marmelade. Ein Spektakel, das die Küche des Tantris zum Schlachtfeld werden lässt. Vielleicht ist die Marille ein prägendes Relikt seiner Kindheit. Schmiegte sich doch früher an die Südwand vieler Tiroler Bauernhöfe ein Marillenbaum. Ihre Früchte veredelten die bäuerliche Kochkultur. Und hier schließt sich der Kreis, von der Geschichte eines Bauernbuben, der auszog, den Kochberuf zu erlernen, und dabei so erfolgreich war, dass er heute zu den ganz Großen seiner Zunft gehört. Hans Haas ist ein Stiller, der ohne viel Medienpräsenz auskommt und dennoch mit einer großartigen Küche begeistert. Zufrieden sein und normal bleiben, sind so etwas wie sein Credo.

Mit Die Kochlegende Hans Haas liegt ein Kochbuch vor, das ohne überkandidelte Bilder auskommt. Die Foodfotos von Tommas Bried sind von spektakulärer Schönheit, sie rücken die Gerichte ins Zentrum unseres kulinarischen Interesses. Ja, man ist gar versucht, in unbedachten Momenten danach zu greifen. Aber es bleibt uns nicht erspart, selbst in die Küche zu gehen und sich der Haas’schen Inspirationen hinzugeben. Indirekt ist es auch eine Aufforderung, sich mit den besten Produkten der eigenen Region auseinanderzusetzen. Haas Cuisine Alpine mit medi- terranen und anderen Anleihen ist grandios, anregend und ideenreich; wer sich darauf einlässt kann nur gewinnen.