Heute geht es um Kochen und Essen in SÜDTIROL.
Früher fuhren viele Nordtiroler auf den Brenner zum Markt. Gleich hinter der Grenze war alles billiger. Mittags kehrte man in der Post oder einem andern Gasthaus ein, aß Spaghetti und trank einen Wein dazu. Die Kinder bekamen Spuma, einen Kräutersprudel. Später – wenn nicht gerade auf Durchreise zum Gardasee – wagten sich einige weiter vor, nach Sterzing, dort gab und gibt es den legendären Hofer, wo bestimmte Lebensmittel noch billiger waren. Das war der Inbegriff von Südtirol. Heute ist eine Spritzfahrt nach Sterzing, Brixen, Meran oder Bozen fast normaler Alltag. Zum Einkaufen, zum Törggelen, zum Wandern oder Schitouren gehen und man kehrt ein, schätzt die Südtiroler Küche. Wie gut, dass es zu den etablierten Gasthaus- und Wanderführern auch Alternativen gibt, wie bspw. das Schneemilch & Pressknödel Buch aus dem Folio Verlag. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf den Rezepten sondern auch auf den Landwirtinnen die sie hier vorstellen.
Die Autorin Isolde von Mersi und der Fotograf Frieder Blickle besuchen neun Bäuerinnen auf deren Bauernhöfen. Der geographisch westlichste Punkt ist der Engelhornhof in Mals im Vinschgau, der östlichste die Eggerhöfe in Rasen-Antholz im Pustertal, wenige Kilometer vor Osttirol. Kurz und prägnant werden die Heimaten der Frauen vorgestellt, wie auch ihre Leben. Diese sind spannend, arbeitsintensiv, hart, kinderreich, kurzweilig, erfüllt, eben so vielseitig wie die Landschaften. Einige sind Quereinsteigerinnen. Allen, so liest es sich zwischen den Zeilen und die Fotos bestätigen es, allen ist das Bäuerinnendasein die Erfüllung. Ausleben, und das gilt wiederum für alle, können sie sich beim Kochen. Sonja Sagmeister, die Engelhorn-Bäuerin, ist überzeugt von der Volllwertküche. Sie denkt sich immer wieder neue Rezepte aus, die zu den Käsen, die sie selbst produzieren, passen und beglückt damit Gäste und Familie. Ihr Staudensellerie-Apfel-Salat mit Hartkäse ist eine dieser wunderbaren Neuschöpfungen. Das Käsetörtchen mit Mangold, das gut mundete und wirklich sättigend war, ist auch so eine neue Kreation. Die Schneemilch, eben jenes titelgebende Gericht, hat Tradition und wird im Vinschgau den Buben und Männern nach dem Scheibenschlagen serviert. Dass die Schneemilch oder Maibutter, wie sie andernorts auch heißt, schmeckt, zeigt ein ganzseitiges Foto, auf dem Jugendliche, nach dem anstrengenden Scheibenschlagen, offenbar ordentlich aus der Schüssel löffeln. Sonja Sagmeister steuerte nicht nur die meisten Rezepte bei, sie steht auch für das Einfließen neuer Ideen in eine archaische Kochkultur. Sehr imponiert hat mir ebenso ihre Methode, das Wurzelgemüse über den Winter länger zu lagern, nämlich in einer ausrangierten Waschtrommel, die in der Erde versenkt ist. Eine altbewährte Methode mit neuen Materialien erfolgreich angewendet.
Bekannte tradtionelle Kost tischt Anna Moosmaier vom Niedersteinhof im Passeiertal auf. Da gibt es Gerstsuppe mit geräucherter Schweinsrippe, Speckknödel, Brotkiachl, Strauben und anderes mehr. Ihre süßen Ochsenaugen kannte ich bislang nicht. Meiner ersten erfolgreichen Teigumhüllung der Kastanienfülle gingen einige gescheiterte Versuche voraus. Aber kaum hatte ich den Dreh des langsamen Darüberziehens des Teiges heraus, machte es einen Riesenspass.
Viel Fruchtiges zu entdecken gibt es bei Waltraud Pixner. Sie verführt uns in die Welt der Fruchtaufstriche, zeigt aber auch, wie Gemüse haltbar gemacht wird. Wer reichlich Zucchini erntet, kann sie bspw. süß-sauer einlegen.
Der Streifzug durch die Südtiroler Bäuerinnenküche fördert einige interessante Gerichte zu Tage. Etwa die Nocken mit Gutem Heinrich oder die Teigröschen mit Tomatensoße von Elisabeth Schweigl. Auch die Eisacktaler Weißweinsuppe von Frieda Augschöll; diese Weinsuppe wird, mit einem Riesling oder Müller-Thurgau süffig angerichtet und mit Sahne sämig aufgeschlagen, zu einer wahren Gaumenfreude. Auffällig dabei sind die flüssigen Mengenverhältnisse, die hier mit 1 zu 2, also mit 1/4 l Rindsuppe und 1/2 l Weißwein angegeben sind, während es bei der traditionellen Südtiroler Weinsuppe – wie ich sie kenne – genau umgekehrt ist.
Ladinische Kochkunst bringt Erica Clement Pitscheider ein, die auf ihrem Hof 25 Jahre lang Kochkurse abgehalten hat. Ihre Turtres sind am ehesten als plattgedrückte runde Spinatravioli zu bezeichnen, allerdings mit einem Rührteig angemacht.
Beiläufig offenbart dieses Südtiroler Bäuerinnenkochbuch noch etwas: Die Neuerungen kommen von außen. Junge Frauen ziehen auf alten Höfen ein, bringen neue Impulse in die altbäuerlich geprägte Südtiroler Kochwelt. Die Kartoffelsuppe mit Brennesselsamen von Margit Kofler Biasi zählt dazu genauso wie der Kastanienreis mit Sahne „Monte Bianco” und die Zufallstarte, beide von Benedikta Zwerger Pechlaner kreiert, die auf dem Kinighof am Ritten das Zepter führt.
Wer der Südtiroler Küche kundig ist findet hier einige bekannte traditionelle Gerichte wieder. Allerdings, und das ist das Schöne und Anregende in diesem Kochbuch, sind die klassischen Rezepte lokal gefärbt. D. h., die Gerstsuppe wird nicht mit geräuchertem Speck, sondern mit einer Schweinsrippe angereichert, die Kaspressknödel ausschließlich mit Graukäse zubereitet, und um ein drittes Beispiel zu nennen, die klassische Schwarzplent- Torte mit Kakao bzw. Kochschokolade naschhafter gemacht. Diese Torte von Marlies Leitgeb finden Sie im Rezept-Ordner.
Die Rezepte sind leicht verständlich beschrieben, die Mengenangaben stimmig. Gelegentlich schießt die Autorin Isolde von Mersi mit ihren Formulierungen ein wenig übers Ziel hinaus, wenn es bspw. beim Schlutzkrapfenmachen heißt, „die zeitintensive Herstellung orchestriert grundsätzlich …“ (Seite 170), da fragt man sich, wieviel Leute sind denn bei der ‚Schlutzer‘produktion beteiligt? Oder im Glossar (Seite 187) wird Holler mit Hollunder und Hollerbeeren mit Hollunderbeeren erklärt – das war es. Schwarzplent-Mehl wird mit Buchweizenmehl übersetzt, damit die Schwarzplent-Torte zur Buchweizentorte. Gerade der Buchweizen, kein Getreidekorn, sondern der Samen eines Knöterichgewächses, ist für die Südtiroler Küche wichtig und prägend; er wird jedoch an keiner Stelle ausführlicher beschrieben. Spätestens im Glossar wäre es möglich gewesen, aber dieses ist m. E. oberflächlich und zu wenig sorgfältig ausgearbeitet. Ein kleiner Schwachpunkt des ansonsten solide und gut gemachten Kochbuches über Südtiroler Bäuerinnen und ihre Rezepte. Am Ende des Kochbuches sind die Eckdaten samt GPS-Koordinaten der Bauernhöfe aufgelistet. Besuch ist willkommen!
Schneemilch & Pressknödel ist ein anregendes schönes Kochbuch. Die Fotos vermitteln authentisch nicht nur Land und Leben junger weiblicher bäuerlicher Südtiroler Kochtradition, sondern lassen mir beim Betrachten der Speisen das Wasser im Munde zusammenlaufen.