Heute reisen wir ins MÜHLVIERTEL.
In Oberösterreichs nordöstlichste Region, deren Name sich nicht von Mühlen ableitet, sondern von den drei Flüssen Große, Kleine und Steinerne Mühl. Die Landschaft ist geprägt von Wind und kargen Böden, die die Mühlviertler Bauern einschränkte, sich auf den Anbau von Flachs und Hopfen zu konzentrieren. Einen wirtschaftlichen Aufschwung brachte die Leinenweberei, die die Industrialisierung nicht überlebte, während die Kunst des Bierbrauens lebendiger ist denn je. Einiger Wohlstand und Kulturaustausch kam über den Handel mit Salz und anderen Waren. Bspw. entlang des Linzer Steigs, der vom Salz-Stapelplatz Linz nach Böhmen führte. So finden sich in der Mühlviertler Küche sowohl Elemente von der böhmischen wie auch von der süddeutschen. Als kulinarische Trademark des Mühlviertels ortete Christoph Wagner den Speckknödel, der ebenso wie sein Zwilling, das ofenfrische Bratl, ein fixer Bestandteil des Mühlviertler Sonntags ist. Aber erst mit dem Mühlviertler Krautsalat, der mit Speck ‚abgeschmalzt‘ wird, ist das kulinarische Triumvirat vollständig. Allerdings ist das Mühlviertel nicht nur ein Land von drei, sondern von tausenderlei Genüssen, schreibt Wagner im Vorwort des MÜHLVIERTLER KOCH:BUCH, das im Verlag Bibliothek der Provinz herausgekommen ist.
Der Autor Georg Friedl ist Koch und Sommelier, der sich dem Ursprünglichen verpflichtet fühlt, es zu erhalten und weiterzuentwickeln. Der Untertitel, Altes bewahren, Neues erfahren ist das Leitmotiv. Entlang der vier Jahreszeiten – die Hauptkapitel – tauchen wir ein in das kulinarische Mühlviertel. Es ist eine Entdeckungsreise, die sich dann splittet, an den einzelnen Monaten orientiert. Am Beginn jedes Hauptkapitels steht ein Gedicht, dem gegenüber ein Holzschnitt von Herbert Friedl die Jahreszeit auf das Wesentlichste reduziert darstellt. Eine sehr sinnliche Einführung, die noch ergänzt wird mit der Beschreibung eines typischen Mühlviertler Produkts. Im Winter ist es der schwarze Speck, Selchspeck oder Kaminspeck. Im Frühling der Hopfen, die Gerste und das Wasser. Der Sommer lässt die Mühlviertler Flachsfelder blassblau erstrahlen. Die Leinsaat ist jedoch nur ein Nebenprodukt, aus dem Leinöl gewonnen wird. Der Herbst bringt dann endlich die Produkte, die wir im Westen mit dem Mühlviertel verbinden, nämlich Kraut, Erdäpfel und Most. Es sind lexikalische Ergüsse, die uns das Mühlviertel über seine wichtigsten Lebensmittel nahe bringt. Erinnerungen an Früher beenden die jahreszeitlichen Abschnitte. Den Hauptteil aber bestreiten die Rezepte, die – wie schon erwähnt – monatsweise vorgestellt werden.
Vorangestellt sind immer traditionelle Gerichte. Dabei sind die Zutaten nur aufgelistet ohne Mengenangaben, die Kochanleitungen fast schlagwortartig kurz gehalten, was übrigens auf alle Rezepte zutrifft. Dem traditionellen Auftakt folgen dann Friedls Interpretationen, mit klaren Mengenvorgaben und kochtechnischen Umschreibungen der Gerichte, in fast lyrischem Tonfall. So sind beim Flussbarsch mit Rauna, Buttermolke und Kümmel, das kräftige Rot und die aufgeschäumte weiße Sauce die dominierenden Farben. Röstaromen und schlichter, leicht süßlicher Geschmack … ergänzen das Gericht. Zu den hohen Festtagen, bspw. im Dezember, gab es genaue Speisefolgen. Und klar, die Ente ‚adventlich‘ mit gebackenen Bröselknödeln stimmt uns ein in die Vorweihnachtszeit mit Duftnoten von Orangenschale, Zimtstange, Dörrpflaumen, Nussschnaps und vielem mehr. Verschiedene Brauntönungen mit seidigem Glanz und etwas frischem Grün sind die optischen Bestandteile. Geschmacklich breit gefächert. Voll, intensiv, rund, weich, harmonisch, würzig, versteckte Süße, eine Nuance Harzigkeit. Schlicht – so schmeckt der Advent meint Georg Friedl.
Der Koch und Autor beschreibt seine Gerichte wie der Winzer seine Weine. Er malt mit Worten, könnte man meinen, schafft so einen anderen Blick auf seine Rezepturen.
Auch sind Friedls Anleitungen etwas anders als üblich. Da heißt es bspw. beim Süsses Koch mit Rumtopffrüchten: Die Zutaten … durchkochen, bis die Kochlöffelspur gerade noch verschleicht. Und zum Ansetzen der Früchte für den Rumtopf verwendet er Karamell-Läuterzucker ohne weitere Erklärung, wie dieser zu machen ist.
Spannend fand ich Zweckerl mit Äpfeln und Apfelminzsorbet, wobei die Gnocchi-ähnlichen Zweckerln, aus Strudelteig gemacht, mit karamellig gedünsteten Apfelschnitten vermischt werden. Das Sorbet wird extra serviert. Alles zusammen ein tolles Erlebnis.
Friedl bleibt sehr bodenständig, was sich vielfach in seinen Rezepten ausdrückt. Etwa beim Bauernspargel mit Oafisch und Brennnesseln. Der Bauernspargel ist die Schwarzwurzel, ein fast vergessenes Wurzelgemüse, das nicht so leicht zu bändigen ist, und der Oafisch, das pochierte Ei. Der Eierfisch war übrigens die Lieblingsspeise von Anton Bruckner und Georg Friedl kombinierte dazu zwei neue Komponenten und schuf damit eine besondere Vorspeise.
Für den April orientiert sich Friedl an einen Auszug aus einer Menüfolge, wie sie zu Ostern auf Bauernhöfen gereicht wurde. Der Hendlsuppe mit Reibgerstl folgt die Suppenhenn mit Gemüse. Dann kommt das Schaf auf den Tisch als Schöpsernes mit Erdäpfelschedl, wobei mit Schedl ein Auflauf gemeint ist. Zum Ausklang des Festmahls gibt es Bauernkrapfen in Kletzen-, also Birnensauce, die mit Rum verfeinert wird. Ein schmackhaftes Menü wohlhabender Bauern. Diesem traditionellen Feiertagsessen stellt Friedl seine Interpretationen gegenüber, er hält sich streng an die Fastenbräuche am Karfreitag. Da wird die Forelle im Zwiebelsud eingebettet und mit Röhrln, das ist Löwenzahn, garniert, serviert. Anderntags kommt mit der Kitzeinmachsuppe mit Schlüsselblumen und Veilchen ein kräftig aromatischer Bote des Lenz auf den Tisch. Die Bärlauchnudeln empfindet Friedl als frühlingshaften Geschmackshit. Und mit der Lammleber mit eingemachter Petersilie und Sauerampfer kommen dann die Liebhaber von Innereien auf ihre Kosten. Der zarte Geschmack des Osterlamms, das mit Bärlauchwurzen und langen Erdäpfelnudeln angerichtet wird, ist Ausdruck des unverwechselbaren Mühlviertler Charakters und ein ideales Ostersonntagsessen. Ausklingen lässt Georg dann den April mit Rhabarberkrapfen mit Karotten-Huflattichsauce und Sauerkleeeis. Optisch spiegelt es die ersten Frühlingsfarben wider – sattes Grün und Dottergelb, ein exotischer Heimatschmeichler.
Georg Friedl ist für mich das österreichische Pedant von Vinzent Klink. Auch er fühlt sich der heimischen Küche verpflichtet, setzt sich mit ihr auseinander. Nicht nur tradierend, sondern auch interpretierend. Immer auch mit einem offenen Blick über den Tellerrand hinaus. Dass er sich nicht nur globalen kulinarischen Einflüssen hingibt, sondern, und das vor allem, mit der Natur vor seiner Haustür auseinandersetzt, macht Friedls Kocherei so spannend. Seine kulinarischen Köstlichkeiten erweitern unseren kulinarischen Horizont häppchenweise. In diesem Kochbuch gibt es viel zu entdecken, auch die im Anhang angeführten Brotrezepte, Fonds und Ergänzungen wie den Bröselknödel oder Rosenmarmelade oder Senfgurken oder oder oder.
Georg Friedl nimmt uns mit dem MÜHLVIERTLER KOCH:BUCH an der Hand, um Malzeiten, in der alten Schreibweise ohne h, d.h. Denkmäler, zu einer bestimmten Zeit zu setzen. Wer sich auf ihn einlässt, wird reich beschenkt mit der Harmonie der Speisen und dem Einklang mit sich selbst, so der Koch im Originalton. Man könnte in Georg Friedl den Adalbert Stifter der Mühlviertler Küche sehen – Gerichte in natürlichem Einklang.