Gerda Stocker, Kräuterwirtin aus Leidenschaft

Meine besten Rezepte mit wilden Kräutern & Früchten

Mit Fotos von Gerda Stocker und anderen
Illustrationen von Christoph Heszler
Kral Verlag, Berndorf, 2023, 352 Seiten, 34.90 Euro
ISBN 978-3-99103-140-6
Vorgekostet

Heute reisen wir in die Bucklige Welt.

In die hügeligen Ausläufer des südöstlichen Niederösterreich. In eine Bilderbuchlandschaft, die von landwirtschaftlichen Flächen und Waldgruppierungen geprägt ist. Grün und Gelb dominieren die Farbpalette. Höfe und kleine Ansiedlungen blinken gleich gekenterten Schiffen aus den Wellen schlagenden Wiesen. Dazu gehört auch der knapp 300 Seelen zählende Ort Lembach. Im Zentrum das beliebte Landgasthaus Stocker, das von einer sehr umtriebigen Person geführt wird. Gerda Stocker ist Köchin, Wirtin, Caterin, Kräuterpädagogin und Eventmanagerin. Gerade ist ihr Kochbuch Kräuterwirtin mit Leidenschaft im Kral Verlag herausgekommen.

In vier großen Kapiteln stellt die Autorin die Wildpflanzen im Kontext der Jahreszeiten vor, inklusive deren Verwendung in der Küche. Ihr ist es wichtig, Rezepte zu vermitteln, die sich leicht mit regional verfügbaren Zutaten nachkochen lassen. Gemeint sind jene Schätze, die direkt vor unserer Haustür wachsen. 

Zunächst aber, in dem einleitenden Grundkapitel geht es in die Vorratskammer. Da werden Blüten- und Gewürzmischungen mit und ohne Salz vorgestellt wie auch Grundrezepte, vor allem Fonds bzw. Suppen. Bei den Salzmischungen fiel das Tannennadelsalz auf, für das Himalaya-Salz geordert wird, ohne Erklärung warum, denn für die anderen Rezepturen wird normales Steinsalz verwendet. Interessant finde ich das Wildfruchtsalz, bei dem zwei Teile Steinsalz mit einem Teil getrockneter und gemahlener Wildfrüchte gemischt wird. Wer mehr Eisen ins Essen einbringen möchte, verwende rosa Ursalz. Und was den Franzosen die Kräuter der Provence sind, könnte den Genießern in der buckligen Welt Stockers Kräutermischung mit Lavendel sein, jedenfalls eine gute Alternative für pikante Obstgerichte, Fisch und Gemüse. Auf der anderen Seite, also im süßen Bereich, gibt es zwei Blütenzuckermischungen, eine lieblich und eine herb duftende. Je nachdem, ob Rosen-, Veilchen- oder Hollerblüten, bzw. Gundelrebe-, Thymian-, Beifuß- und andere Blüten zum Einsatz kommen.

Da das Wildpflanzen-Kochbuch im Einklang mit den Jahreszeiten steht, ist der Aufbau dem Prinzip des Wachstums untergeordnet. Es beginnt also mit den frühesten Boten, eben Löwenzahn, Brennnessel und Bärlauch und klingt mit Vogelbeere, Weißdorn und Hagebutte aus, den Anzeigern eines endenden Jahres. Jeder Pflanze wird ein in sich geschlossenes Unterkapitel gewidmet mit folgender Struktur, die sich durchzieht durch das ganze Buch: Der meist zweiseitigen Beschreibung der Wildpflanzen, die sich vor allem auf die Botanik und Inhalts- bzw. Wirkstoffe bezieht, folgen Rezepturen von köstlichen Gerichten, die man teilweise kennt und doch wieder nicht, weil sie eben Wildkräuter-Zutaten enthalten, die nicht so üblich sind. Hier sollte man vielleicht eine Warnung einbringen: Wenn einen einmal die Leidenschaft mit Wildpflanzen zu kochen „gepackt“ hat, dann ist man stets am Kreieren!, behauptet Gerda Stocker. 

Der Frühling wird also mit dem Löwenzahn eingeleitet, ein Stickstoffanzeiger und Universalist, von dem alles essbar ist. Die pikanten Löwenzahn-Buchteln waren jedenfalls eine wunderbare Entdeckung. Anstelle der Marmelade wird kleinwürfeliger Speck mit Crème fraiche und, ja Löwenzahnblättern, vor allem junge, die nicht so bitter sind, als Fülle hineinverarbeitet. Auch das Löwenzahntörtchen (Seie 41) ist etwas gewöhnungsbedürftig. Hier wird der Vanillepuddingbelag mit Löwenzahnblütensirup gesüßt und mit Ribisel belegt. Der Löwenzahnblütensirup, aus gelben Blüten und Rohrzucker frisch zubereitet, bringt jedenfalls Abwechslung in den Sirupalltag.

Eine der ersten Gerichte in Gerdas Ausflug zu den Wildkräutern war die Brennnessel-Pizza. Übrigens ein Essen, das nicht nur Kinder begeistert. Für die Küche ist die Brennnessel kein billiger Spinatersatz, sondern ein aromatisch-würziges Gemüse. Das beweisen die Rezepte, die vom Brennnesselteigtascherl über Brennnessel-Palatschinken bis zur geschmorten Bio-Putenkeule mit Brennnesselpolenta reichen. Weniger bekannt ist die Knoblauchsrauke, die ein s zwischen Knoblauch und Rauke schiebt, also dem Lauch und dem Gattungsnamen. Zwischen Mai und Juni blüht sie schön weiß. Stocker verarbeitet sie in Senf und Mayonnaise, zwei brillante Ideen. Der Knoblauchsrauke folgen Vogelmiere, Barbarakraut, Habichtskraut, Baumknospen und Linde. Alles wunderbare Zutaten, die Abwechslung in unseren Küchenalltag bringen. Für das Rhabarbereis mit Baumknospenkippen bin ich dankbar, denn die Baumknospen sind ein Kraftwerk, reich an Proteinen und Mineralstoffen, die das Immunsystem stärken. Überhaupt lässt Stocker fast im Vorbeigehen bemerkenswerte Details einfließen, so auch hier, dass getrocknete und gemahlene Baumknospen als Streckmehl eingesetzt werden können.

Beim Holunder, meinem liebsten Frühjahrsboten, stieß ich auf den Kaiserschmarren. Und ich freute mich auf ein Rezept, in dem auch der Holler in irgendeiner Form vorkommt. Allein der Holunder fehlte. Ob der Sirup, ob die Blüten oder Blütenzucker Gerda für dieses Rezept vorsieht, bleibt ein Geheimnis. Jedenfalls hat ihr Kaiserschmarren einen so starken Eindruck bei einem ihrer Gasthausbesucher, der Journalist war, hinterlassen, dass er einen Artikel verfasste was zu wochenlangen Nachfragen und Bestellungen des „besten Kaiserschmarren der Welt“ führte. Immer wieder lässt Gerda Stocker Geschichten und Begebenheiten aus ihrem Wirtshausleben einfließen. Es sind heitere Erinnerungen und Anekdoten, die den harten Alltag vergessen lassen und uns zum Schmunzeln verführen. Den Kaiserschmarren hatte ich schnell vergessen, ob der Begeisterung meiner Enkel über die gebackenen Holunderblüten. Ich kam mit dem Herausbacken nicht mehr nach, so schnell waren die Strauben verputzt.

Eine Besonderheit sind Stockers G’sunde Buck’l. Das sind vier Burgervariationen, die sich den Wildkräutern der Saison anpassen und so den Frühling-, Sommer-, Herbst- und Winter-Buckl vor allem jungen Menschen als gesunde Fastfood offerieren. Und wer glaubt, dass hier nur Vegetarisches präsentiert wird, irrt. Mit der geschmorten Bio-Putenkeule mit Brennnesselpolenta wurde es schon angedeutet, aber es gibt noch mehr Fleischiges in diesem Kochbuch zu entdecken. Der Lammrücken mit Gundelrebe-Kruste auf Maisgrieß würdigt auf diese Weise eine alte Heilpflanze. Die geschmorte Kalbsstelze im Schafgarbenheu lässt uns dieses Doldengewächs in neuem Lichte erscheinen, außerhalb des bekannten Einlegens in Alkohol und Ölen. Und der Herbstbraten mit eingemachten weißen Rüben wird gefüllt mit Kastanienpüree, Steinpilz und Beifuß-Blättern, was uns jetzt schon mit Vorfreude erfüllt.   

Gerda Stockers Kochbuch, Kräuterwirtin aus Leidenschaft ist eine Fundgrube von Alltagsspeisen und besonderen Gustostückerln. Meine Liste der notierten Rezepte ist lang wie das Jahr. Besonders freue ich mich auf die Hagebuttenmarmelade, die nach Stocker anders, d. h., einfacher gemacht wird, als ich es kenne. Und als wäre das Kochbuch auf Basis allein der Wildpflanzen nicht schon genug, fügt die Autorin noch Sonderkapitel ein, die sich thematisch mit Ostern, dem Spargel, Weihnachtskeksen und Silvestergerichten beschäftigen. Mit Schmankerl überschriftet ist ein eigener Abschnitt, der Eingelegtes in Gläsern ins Zentrum rückt. Ob Gemüse, Pilze, Zwetschken oder Kalbfleisch, alles lässt sich einkochen und hinter Glas verstauen. Selbst der Mohnauflauf. Gerda Stockers Kochbuch der besten Rezepte mit wilden Kräutern & Früchten ist eine Schatzkiste mit vielen kulinarischen Köstlichkeiten, die es zu heben gilt. Oder wie es Folke Tegeththoff im Vorwort ausdrückt: Da wird das Wissen um Kräuter ganz bewusst eingesetzt, um eine bestmögliche Balance zwischen dem Kraut und dem Körper, der es konsumiert, herzustellen. Das Nachbauen dieser Wildkräuterrezepte mit den natürlichen Produkten vor unserer Haustür ist ein Qualitätsmerkmal und hilft so, unseren Speiseplan und Küchenalltag abwechslungsreicher zu gestalten. Wer sich auf die Kräuterwirtin aus Leidenschaft einlässt, wird viele kulinarische Entdeckermomente erleben.