Hafächabis, Chabis und Schaffleisch, Chabishafä

Texte von Heinz Nauer und Marc Ochsner
Fotografien von Paolo de Caro und Evelyne Marty
Édition De Caro, Einsiedeln, 2023, 216 Seiten, [EU] 54.- Euro | [CHF] 59.- sfr
ISBN 978-3-9525107-4-2
Vorgekostet

Heute besuchen wir einige URSCHWEIZER.

Nein, nicht Wilhelm Tell im Morgarten, auch nicht Max Frisch in Zürich oder den Jahrhundertkoch Frédy Girardet in seinem Restaurant in Crissier. Unsere Gastgeber sind 11 Frauen und Männer, die relativ nahe beieinander leben in Dörfern der deutschsprachigen Kantone Schwyz, Uri und Glarus. Aber deutschsprachige Schweiz heißt noch lange nicht, dass man alles versteht, was dort so den lieben langen Tag gesprochen wird. Wenn von einem schlotzigen Chabis die Rede ist, so wissen selbst Schweizer nicht immer genau, worum es geht. Auf alle Fälle reden wir heute von einem Kochbuch, das mit dem seltsamen Titel Hafächabis, Chabis und Schaffleisch, Chabishafä in der Édition De Caro erschienen ist. 

Mit dem Aufschlagen des Werkes lüftet sich schon ein wenig das Geheimnis, denn auf dem vorderen und hinteren Vorsatzpapier lümmeln sich platzfüllend olivgrüne Köpfe, stimmen ein auf das Erwartete. Alles Chabis. Anni, Thomas, Yvonne sind drei dieser elf Menschen, die vom Chabis erzählen in diesem Buch, wahrscheinlich träumen sie auch von ihm. Vor allem aber sind sie besessen, von diesem Chrut oder Chol, wie der weiße Kohlkopf auch genannt wird, und den sie, wenn es kalt wird, zu einem üppigen Essen verarbeiten. Wenn das kompakte Herbst- und Wintergemüse zu einem schmackhaften Eintopf konvertiert. Auch währschafter Eintopf, wie die Eidgenossen befinden und meinen damit nahrhaft, gehaltvoll und wohlschmeckend. Chabis- oder hochdeutsch Kohleintöpfe gibt es fast auf der ganzen Welt, nur heißen sie natürlich überall anders. In Polen bspw. nennt er sich Bigosch. Allerdings unterscheidet der sich von der Schweizer Variante maßgeblich, wird doch Schweinebauch, Rind-, Reh- oder Hirschfleisch zusammen mit Krakauer Wurst und Sauerkraut aufgekocht. Der Urschweizer dagegen, also der Hafächabis, ist ein brutal einfaches Gericht, behauptet Heinz Nauer. Ein Kleingeist, der nur aus zwei Zutaten besteht: Chabis und Schweine- oder Schaffleisch. Um das zu bestätigen, traten nun sieben Frauen und drei Männer an, ließen sich dabei über ihre Schulter in ihre Kochtöpfe schauen. Mehr noch, sie ließen Fremde in ihre Küchen und gaben ihr Persönlichstes preis, das Rezept ihres Hafächabis. Elf Menschen, zwölf Rezepte, denn die Kochbuchcrew steuerte ihr eigenes Rezept bei.

Die erste Station ist Einsiedeln. Anni Birchler lebt dort. Sie macht ihren Hafächabis genauso, wie sie ihn als Kind vor achtzig Jahren kennen gelernt hat. Und in großen Mengen – für acht bis zehn Personen sind die Mengen ausgelegt. Zuerst werden magere Schweinsschulter und Bauchspeck in grobe Würfel geschnitten. Sie (Anni) selbst habe den Hafächabis eigentlich immer mit Schwiinigem (Schweinefleisch) gemacht. Das Messer ist so gross und scharf, dass man sich kurz Sorgen um ihre Hände mit den langen Fingern macht, die von einem arbeitsreichen Leben zeugen. Die Sorge ist jedoch unbegründet, das wird schnell klar: Diese Hände wissen immer noch genau, was sie tun, auch wenn Anni von sich selbst sagt, sie sei im Alter etwas gstabed (starr) geworden. Anni würzt das Fleisch mit Salz und Pfeffer – mehr brauche es nicht –, und schiebt ein Scheit Buchenholz in die Chuust (Herd). Die Autoren beschreiben mit dem Blick eines Ethnologen und der Tiefenschärfe eines Soziologen das Geschehen rund ums Chabiskochen. Darin eingebettet sind Fotos, die mit dokumentarischer Präzision die Protagonisten und Arbeitsschritte sichtbar machen. Und dann sind da noch die persönlichen Statements der Köchinnen und Köche. Ich habe halt einfach meine Art, da kann man nichts machen, meint Anni und legt los. Vier Kilo Chabis, ein Kilo magere Schweinsschulter und ein Kilo Lämpä, nein kein Lämmchen sondern Bauchspeck, dazu noch 8-10 Schweinsfüßchen werden geschnitten und angeschmort, bilden die Grundlage für Annis Hafächabis. Ja heftig, ist ja auch ein Winteressen, was dann gleich in rauen Mengen zubereitet wird. Denn dazu gesellen sich noch zwei Kilo Kartoffel und ein Kilo Äpfel, als Beilage. Früher wurde der Chabis mit Schweinefett angebraten und nicht mit Butter. Letztere nennen die Innerschweizer allerdings Ankä. Und, mit eingesottenem Ankä, nein, da wird der Hafächabis nicht braun, und es gibt nie dasselbe Aroma, weiss Anni aus langjähriger Kocherfahrung. Bratfett sagen die Schweizer zur eingesottenen Ankä und die Österreicher Butterschmalz. Und beim Auftragen des Essens sagt Anni schalkhaft, sie frage sich schon ein wenig, wo der Chabis eigentlich geblieben sei. Es ist ein besonders währschafter Hafächabis, der ganz auf seine urigen Zutaten und den kräftigen Geschmack des Chabis vertraut … .

So nach und nach erfährt man immer mehr, was das Besondere des Hafächabis ist. Alle Protagonisten dieses Kochbuchs haben ihre ganz spezielle Einstellung zum Chabisessen, das von den einen Chabishafä und den anderen Hafächabis genannt wird.

Für Thomas, dem Schafbauer, der ein Architekt war, ist die Kunst beim Chabishafä, dass der Chabis nicht anbrenne. Und Yvonne serviert eine vegetarische Variante, da ist das Schaffleisch nur Staffage im Titel, dient der Tofu als Ersatz. Aber wie sie den Geschmack hineinbringt, das wollen wir nicht verraten. Oder nur so viel, dass diese Frucht die Römer ins Land der Helvetier brachten.

Chabis und Schaffleisch ist, wie es Eintöpfe so an sich haben, üblicherweise wenig fotogen. Nicht der von Nadia. Der zu einer Kuppel geformte Chabis samt Schaffleisch sitzt auf einem Kartoffelstockfundament und wartet darauf, abgeräumt zu werden. Bei den übrigen Köchinnen und Köchen ist er mehr gräulich-braune Anhäufung, aus der gelb leuchtend die Gummeln (Kartoffeln) herausragen. Alex behauptet, der perfekte Hafächabis sei „schön schlotzig“  … Das war zuviel! Worte schwirrten durcheinander: „Us dr Luft griffe!“ – „Chabis! schlotzig!“ – „Bewyse! Bewyse söll er syni Behauptige!“ Studer dämpfte den Lärm mit erhobener Hand …* Nein, nein, da hat Alex Kühn schon recht und ergänzt: Der Chabis sei besser nach dem ersten Bodenfrost, etwas süßlicher

Hafächabis, Chabis und Schaffleisch, Chabishafä von Heinz Nauer und Marc Ochsner ist sowas wie eine kulinarische Spurensuche nach den besten und gleichzeitig einfachsten Kohleintöpfen. Wortgewaltig und doch spielerisch präsentieren die Autoren eine Welt, die uns eigentlich verschlossen ist. Sie mäandrieren zwischen Hoch- und Schwyzerdütsch ohne nennenswerte Verständnisschwierigkeiten, auch, weil die Härtefälle der dialektalen Wortschöpfungen im Glossar aufgeklärt werden. Die fotografische Begleitung dieser Innerschweizer Mikrostudie sind schöne Momentaufnahmen des Chabis-Kochens und -Genießens. Eigentlich schon Erzählung in der Erzählung. Die Autoren bekennen einleitend, dass nicht die Suche nach dem einen, besten, geschweige denn authentischsten Rezept im Vordergrund stand, sondern die Vielfalt in der heute gelebten Tradition. Ein gelebtes Kulturgut ist aber keine Zeitkapsel, sondern eine Weitererzählung. Oder in unserem Fall: ein Weiteressen. Deshalb enthält das Buch auch keine alten Rezepte von früher.  Der Hafächabis ist zwar ein brutal einfaches Essen laut Alex,  aber sehr zeitaufwendig. Je häufiger man ihn aufwärmt, umso besser wird er, versichert Theresa, die bekannt ist, dass sie viele verschiedene Gewürze und Gewürzmischungen verwendet. Die Rezepte aus Hafächabis, Chabis und Schaffleisch, Chabishafä lassen viel Spielraum zu, aber wer kocht schon genau nach Rezept? 

*Friedrich Glauser, Der Chinese