Hana Rigo, Prager Küche

Kulinarische Spaziergänge

Mit Fotografien von Michael Rathmayer
Braumüller Verlag, Wien, 2019, 288 Seiten, 29.-- Euro
ISBN 978-3-99100-248-2
Vorgekostet

Heute reisen wir nach PRAG.

Wenn ich mich mit Freunden über Prag unterhalte, dann verklären sich ihre Gesichtszüge zu einem leisen Lächeln. Das passiert automatisch, denn alle verknüpfen – so scheint es – mit dieser Stadt schöne Erinnerungen. Dann fallen Namen und Begriffe wie Werfel, Brod, Kisch, Capek, Kundera, Schweijk, Golem, Café Louvre, Stadt der hundert Türme, die astronomische Uhr am Rathaus, Karlsbrücke, jüdischer Friedhof, der Hradschin mit Veitsdom, das goldene Gässchen bei der Burg, wo auch Kafka wohnte. Auch ich verbinde mit Prag lustige und gar kafkaeske Erlebnisse. Und wären da nicht meine Prager Freunde gewesen, hätte ich wohl nie ein anderes Prag kennen gelernt. Gingen wir Westler alleine essen, war stets ein kleiner nicht zuordenbarer Betrag mit auf der Rechnung und wir konnten das mangels Sprachkenntnisse nicht auflösen. Dieses kleine betrügerische Zubrot der Kellner regte unsere Freunde immer maßlos auf. Wenn wir sie zum Essen einluden, dann waren das kleine Wirtschaften und Cafés, in die sich kaum Touristen verirrten, und sehr billig. Deftig war es auch, das Essen. Viel Fleisch, viel Kartoffeln, viel Bier. Die Böhmische Küche wurde uns versichert, sei so. Na klar, dachte ich, Prag ist ja auch von Böhmen umschlossen. Also ist die Böhmische mit der Prager Küche identisch. Das stimmt so und ist gleichzeitig zu wenig, denn die Böhmische Küche vermischte sich mit anderen Küchen des habsburgischen Vielvölkerstaates und beeinflusste so bspw. die Wiener Küche nachhaltig. Einige Speisen schafften es sogar nach Tirol, wie der Scheiterhaufen. Diese Speise, die vor allem meine Kinder als sie klein waren liebten, fordern sie heute noch bei großen Familienessen als Nachspeise ein.

Die Wurzeln der österreichischen Küche liegen also auch in der Böhmischen und damit Prager Küche. Wobei hier mehr auf Verwandtschaft zu plädieren wäre, da die Beeinflussung eine gegenseitige ist. Was es mit der Prager Küchen-Tradition und ihrem hervorragenden Ruf auf sich hat, das will Hana Rigo herausfinden. Prager Küche, der Buch gewordene kulinarische Stadtspaziergang, ist im Braumüller Verlag erschienen.

In ihrer Einleitung gibt die Autorin zunächst einen kursorischen Überblick über die ersten böhmischen Gerichte. Belegt mit frühen Zeugnissen, wie sich die böhmische von der allgemein slawischen Kost weg entwickelte. Später, im 16. Jahrhundert wurde diese einfache, bodenständige Küche dann von außen beeinflusst, drängten sich Limonen, Feigen, Rosinen, Wein und Gewürze auf den Speiseplan. Üppiges, mehrgängiges Essen wurde hoffähig, Nachahmungen der spanischen, französischen, englischen und vor allem italienischen Küche in der Schlossküche zur Regel.

Ein kurzer Exkurs: Im Kapitel Karl IV. König von Böhmen nimmt die Autorin Bezug auf die Schlacht am Bila Hora, dem Weißen Berg, wo heute die Wendeschleife der Tram Nr. 22 ist. 1620 unterlagen die böhmischen Stände dem kaiserlichen Heer und so fiel das Land an die Habsburger und wurde österreichisch. Die 22er Tram quert die Stadt, fährt durch Vorstädte, vorbei an großen Denkmälern wie das Nationaltheater und gibt die Blicke frei in die engen kleinen Gassen oder von der Karlsbrücke hinauf zur Burg. Und wer bis zur Endstation Bela Hora fährt und seine Gedanken 400 Jahre zurück schweifen lässt, kann vielleicht ein wenig nachempfinden, wie sehr dieses Datum die Welt veränderte. Der 30-jährige Krieg begann und verwüstete Europa. Aber Prag hatte damals 50.000 Einwohner und war damit größer als Paris. Und Prag war immer verschiedensten Einflüssen und Strömungen ausgesetzt und es verwundert nicht, dass ein Küchen- Gemengelage entstand, das einmalig ist auf dieser Welt – von einfach, bodenständig-raffiniert bis herzhaft und üppig. Niedergeschlagen hat sich das mitunter auch – historisch belegbar – in den Patenschaften bzw. Zuordnungen von Persönlichkeiten und Speisen: Kaiser Karl IV. liebte Graupensuppe, Johann Amadeus Mozart mochte wohl Hendlsuppe und gefülltes Perlhuhn, Vaclav Havel – Schriftsteller und Präsident – kochte für seine Frau und seine Gäste immer wieder Lungenbraten à la Havel. Dem Meisterkoch Kosnar verdanken wir Liwanzen mit Heidelbeerröster und mit Schwammerl und im Gasthaus Böhmische Krone wird Haseks Schmaus serviert, zu Ehren von Jaroslav Hasek, der in diesem Gasthaus mit viel Bier an den Abenteuern des braven Soldaten Schweijk schrieb. Aber es werden noch einige berühmte Personen und Lokalitäten mehr aufgezählt und im Kontext traditioneller Speisen vorgestellt. Das heißt, eingestreut und im Buch verteilt sind viele ausführliche Kurztexte zu bekannten Persönlichkeiten und Örtlichkeiten, die so ein sehr lebendiges Prag vor unseren Augen entstehen lassen.

Es beginnt mit der patriotischen Bürgersfrau Magdalena Dobromilla Rettigova (1785 – 1845), die über 1.000 Rezepte aufgeschrieben und sogar ein Kochbuch herausgegeben hat. Von ihr sind hier einige Rezepte übernommen. Unzählige Suppen, Braten, bspw. Kaninchen- so wie viele Kartoffelgerichte und einige Mehlspeisen werden heute noch so zubereitet wie im 19. Jahrhundert.

Ohne das Rezept des Prager Scheiterhaufen zu kennen, bereitete ich ihn für meine Kinder immer ähnlich zu, nur mit mehr Schichten. Kartoffeln sind eine klassische Zutat in der Böhmischen Küche und deshalb verwundert nicht die Vielzahl unterschiedlichster Rezepte, die es dafür gibt. So kann der Grenadiermarsch eine gewisse Ähnlichkeit mit den Appenzeller Älpler Makronen nicht verleugnen und die Frage, wer von wem dieses Nudel-Kartoffel-Gericht abschaute, nicht stichhaltig erklärt werden; aber vermutlich haben die Schweizer Hausfrauen einen tschechischen Impuls bekommen. Der kleine, feine Unterschied besteht im Käse, die tschechische Variante kommt ohne aus. Jedes mal aufs Neue begeistert bin ich von Skubanky, ein Kartoffelgericht, das überbacken oder mit Mohnzucker bestreut ein einfaches aber wunderbares Essen ist.

In sieben Kapiteln wird die Prager Küche vorgestellt, das beginnt mit dem, was unsere Vorfahren zu essen pflegten, und endet mit Feste zu Ehren der böhmischen Küche. Rigo vollzieht quasi einen Parcour durch die heutige Gastroszene mit klassischen Rezepturen. Sie stellt uns Prag aus unterschiedlichsten Perspektiven vor. Mal sind es Journalisten, Schriftsteller, Charakterköpfe besonderer Art, mal sind es Lokalitäten, die uns ein anderes Prag erschließen, und das alles, ja immer, mit einer kulinarischen Note.

Zu bedenken gibt die Autorin auch, dass neben der geographischen Lage es die politischen Zustände waren, konkret sind es 70 Jahre Vorherrschaft des kommunistischen Regimes, die die böhmische Küche prägten. Das Angebot auf dem Markt beschränkte sich auf planwirtschaftliche Produkte, also Obst und Gemüse sowie Fleisch, Wild und Fisch aus eigener Zucht.

Die traditionellen Gerichte blieben über die Jahre unverändert, wurden weiterhin mit heimischen Kräutern gewürzt. Also eine einfache Küche, die es lohnt, wieder entdeckt zu werden. Die Fotos von Michael Rathmayer fügen sich wunderbar ins Textgefüge ein, fokussiert auf das Wesentliche der Speisen und unaufdringlich in der Abbildung der Stadt. Das Layout ist großzügig aber recht ‚brav‘. Dem eingedeutschten Rezeptnamen ist immer der tschechische vorangestellt und wegen des Schrifttyps nicht immer leicht zu lesen. Am Ende findet sich ein ausführliches Verzeichnis von Gaststätten, Restaurants aber auch Kultureinrichtungen, wie das Lebkuchen- und das Quargelmuseum, die es zu besuchen lohnt. Umfangreiche Quellenhinweise und ein ausführliches Speisenregister runden dieses solide gemachte Kochbuch ab. Kurze Textpassagen zu Menschen wie dem Maschinenbauer Sobeslavská Pekárna, der nach der Wende das Sauerteigbrot seiner Großmutter unters Volk brachte, und Beschreibungen von Orten wie bspw. Karlsbad reichen über die tschechische Hauptstadt hinaus und schließen Böhmen mit ein. Man erfährt also neben Prager Stadtgeschichten viel Böhmisches und schließt damit einige Wissenslücken. Natürlich alles im Kontext der tschechischen und damit böhmischen Kochkultur. Bereits beim Durchblättern kommt die Lust, so ergeht es mir, das Gelesene in der Küche umzusetzen. Aber womit anfangen? Mit den Kartoffelpuffer mit Grammeln, den französischen Kartoffeln, mit den Powidltatschkerln, den Festtagskolatschen, mit Schweinsbraten mit Knödel und Kraut, mit Rehkeule in Rahmsoße und Semmelknödel, mit pikantem Hirseauflauf, mit Karpfen auf Bier nach Jakub Krein, mit Obstknödeln, mit Heidelbeerfleck oder mit Germknödeln oder …

In der originär Prager Küche ist wenig von der Leichtigkeit des Seins zu spüren. Aber sie schmeckt phantastisch. Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Mir reichen ein paar gekochte Kartoffeln, die püriert und mit Mehl verrührt, kurz aufgekocht dann auf dem Teller angerichtet, mit Mohnzucker und zerlassener Butter übergossen werden: fertig ist Skubanky – guten Appetit! und dobrou chut!

Leave A Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert