Heute besuchen wir die PFALZ.
Die südliche Region des zweitgrößten deutschen Bundeslandes Rheinland-Pfalz, die vielen so wenig bekannt sein dürfte wie das hintere Zillertal.
In der Pfalz jedenfalls wird viel gebacken und dem Gebackenem gilt heute unser Hauptinteresse. Helga Rosemann ist Expertin nicht nur, was Pfälzer Backwaren anbelangt. Sie sammelt seit vielen Jahren Rezepte aus der Pfalz, die in mehreren Kochbüchern veröffentlicht wurden. Heute werfen wir einen Blick in Das Backbuch, das in der Reihe Pfälzer Küchenschätze im Wartberg Verlag erschienen ist.
Helga hat Humor und beginnt mit Aristoteles, der sagte, der Mensch unterscheide sich vom Tier durch die Sprache. Das mag sein. Aber auch Backen ist etwas typisch Menschliches. Oder haben Sie schon mal einen Hund oder Affen backen sehen? Na also … Nachdem das geklärt ist, betritt Prometheus die Weltbühne. Er musste das Feuer stehlen, damit die Menschheit backen kann, was das Zeug hält. Und die Pfälzer backen gerne.
Aber natürlich kann man nur backen, was die Erde hergibt. In der Pfalz sind das vor allem viele Äpfel, auch Zwetschgen, Kirschen und Rhabarber, mit denen nicht unbedingt riesige Sahnetorten gebaut, sondern eher einfach gehaltene Kuchen gebacken werden.
Beginnen wir mit dem Quetschekuche, einem Klassiker im Herbst. Es ist die Zeit, in der die milde Septembersonne den Tag wärmt, die letzen Früchte geerntet werden, in der Luft ein leichter Rosenduft und in den Häusern der Pfälzer liebster Kuchen sein Aroma verströmt. Ja, es ist Zwetschgenkuchenzeit. Ein Hefeteig, der um der richtigen Textur wegen am besten von Hand geknetet werden will. Auch die lange Teigruhe mag er. Dann aufs Blech gedrückt und mit halbierten Zwetschgen eng belegt, mutiert er zu einem der saftigsten Obstkuchen. In der Pfalz wird der Quetschekuchen traditionell zur Grumbeersupp, also Kartoffelsuppe, serviert. Eine ungewöhnliche Kombination, aber es schmeckt. Den gedeckten Apfelkuchen kennt man in vielen Varianten, als Steirischen, als Schwedischen, als Elsässer Apfelkuchen oder Tarte Tatin. Die Apfeltorte mit Deckel, wie sie Emmy Braun in ihrem „Neuen Pfälzischen Kochbuch“ aus dem Jahr 1870 beschreibt, kann ihre Verwandtschaft mit Frankreich nicht ganz verbergen, aber Ahnenforschung wird hier nicht betrieben. Mit säuerlichem Boskop bekommt dieser gestäubte Apfelkuchen eine besondere Note.
In der Pfalz werden auch Plotze oder hochdeutsch Platze gebacken. Nicht zu verwechseln mit dem Kerscheplotzer, der natürlich mit Kirschen gemacht wird. Früher auch Spuckekuchen genannt, weil ursprünglich keine entsteinten Kirschen verwendet wurden, lässt uns Helga wissen. Und, dass ‚plotzen‘ in der Pfälzer Mundart ein Verb ist, das ‚mit dumpfem Geräusch hart auffallen‘ bedeutet. Die ausgespuckten Kirschkerne sind damit wahrscheinlich nicht gemeint aber, ‚Die Äbbel, de vum Baam plotze uf de Borre (Boden)‘. Die Kersche werden in einem Teig aus Milchbrötchen, Milch, Butter, Eier und Mandeln versenkt und kämpfen sich beim Backen wie vor dem Ertrinken an die Oberfläche. Ein interessantes Gebäck und mal was anderes. Aber uns interessiert noch mehr Anderes, Eigenwilliges, Typisch Pfälzerisches, wie der Grumbeerkuche mit Äpfeln. Ein Kuchen, der aber nicht mit dem Kartoffelplotz zu verwechseln ist. Der Grumbeerkuchen besteht aus einem klassischen Kartoffelteig, in welchem man blättrig geschnittene Äpfel beimengt. Mit dem schaumig gerührten Eigelb-Zucker-Gemisch und dem untergehobenen Eischnee führt dieses einfache Rezept zu einem wunderbaren, ungewöhnlichen Kuchen, den wir Emma Wundt verdanken. Das Origanlrezepte ist nachzulesen im ‚Koch- und Haushaltungsbuch mit Nahrungsmittellehre und einem Anhang für Haushaltungskunde, Kinderpflege, Diät- und Krankenkost‘.
Helga Rosemann tischt noch weitere süße Schmankerln auf, wie Gollemolle, worunter die Pfälzer Apfelbrötchen verstehen oder Pfitzauf, muffinähnliche Gebäcke mit einer knusprigen Haube oder der Käskuche, ein Quarkfladen quasi ohne Boden. Natürlich dürfen auch Hupfe in diesem Backbuch nicht fehlen. Der Rosinenhupf empfiehlt sich als Nachtisch, am Abend oder zu einem leichten Wein oder Likör. Und der Mandelhupf ist eine Verneigung vor Wolfram Siebeck, der dieses Rezept irgendwann veröffentlichte. Helga Rosemann bewundert Siebecks kulinarische Fähigkeiten und seine elegante, witzige Schreibe, setzt ihrem Vorbild daher mit diesem Gugelhupf ein Denkmal. Etwas schwieriger umzusetzen, aber machbar, ist der Gefillde Kranz, der wie ein Überraschungspaket seine Innereien unter einem Teigmantel versteckt hält. Das Besondere, die Füllung kann je nach Jahreszeit und Anlass unterschiedlich sein. Hier ist Ihre Phantasie gefragt.
Gebackenes besteht aber nicht nur aus Kuchen und Torten. Deshalb finden sich in diesem Backbuch auch Brotspezialitäten, worunter Rebknorze genauso fallen wie das Woibrot bspw. Ersteres ist bei uns als Wurzelbrot bekannt, Letzteres firmiert auch unter Rieslingbrot in deutschen Brotläden. Das Früchtebrot und der Osterkranz sind ebenfalls hier vertreten.
Nachdem der Wein in der Pfalz wirklich eine lange Geschichte hat, ist anzunehmen, dass zum servierten Krügerl auch Essbares aufgetischt wurde. Nicht von ungefähr wird zu einem Rhodter Rosengarten, einem Gewürztraminer, eine Schnitte Pfälzer Lauchkuchen empfohlen. Hier finden wir wieder diese Verschränkung zwischen Deutschland und Frankreich. Der klassische Flammkuchen war ursprünglich in der Pfalz und im Elsass beheimatet. Jetzt verbreitet er sich langsam aber stetig, ähnlich wie die Pizza, in ganz Europa. Interessanterweise verwendet Rosemann für ihren Flammkuchen Crème fraîche und Magerquark, während ich dachte, dass Schmand für diese Region ursprünglicher und typischer sei. Ein Grund mag sein, dass Crème fraîche einen etwas höheren Fettgehalt hat, was das Rezept eventuell gelingsicherer macht. In weiterer Folge werden noch zwei Flammkuchen, einer mit einer eher herben und einer mit mehr süßen Belegung vorgestellt. Diesen folgt der Zwiwwele-Kuchen, der traditionell einen dickeren Boden als der Flammkuchen aufweist. Man kann ihn auch dünner auswalken, ganz nach persönlichem Geschmack. Flammkuchen ist nicht so mächtig wie eine Quiche und doch sättigend. Ein kleiner Snack ideal für eine kleine Runde.
Im Kapitel Die Pfälzer und ihr Gebäcksle gibt es einige Spezifikationen mit Alleinstellungsmerkmal, würde ich behaupten, zumal mir diese sonst nirgendwo untergekommen sind. Dazu zählen die Anis-Kiechle wie auch die Springerlein, nach Emmy Braun hier in der Original-Schreibart des 19. Jahrhunderts wiedergegeben. Auch die Wolfszähne oder dent de loups fallen in die obige Kategorie. Für sie benötigt man sogar eine eigene Backform, um die konischen Keile zu backen. Die Zähne entpuppen sich als harmlos, wurden früher Wöchnerinnen verabreicht, damit sie schneller wieder auf die Beine kommen.
In der Abteilung Weihnachtsgebäcksle treffen wir auf das Prinzessinnen-Brot aus Brandteig. Wie der Name schon hinweist, reicht dieses Gebäck zurück in monarchistische Zeiten, wie wohl auch die Nunne-Ferzle die Wurzeln im Mittelalter vermuten lassen. Kaum fällt das Wort Nonnenfürzchen, breitet sich auf den Gesichtern ein Grinsen aus, wegen der falschen Annahme, dass der Name sich von Furz ableitet. Rosemann erklärt, dass es sich um das zischende Geräusch handelt, das beim Ausbacken der Teigbällchen in heißen Fett entsteht. Aber es könnte auch, hier kommen die Gebrüder Grimm ins Spiel, sich von ‚farce‘ ableiten, einer pfefferartigen Füllung, was gar nicht so unwahrscheinlich ist, werden die Nonnenfürzchen in der Pfalz auch als Pfeffernüsse bezeichnet.
Pfälzer Küchenschätze – Das Backbuch von Helga Rosemann ist ein kleines Juwel unter den Backbüchern. Nicht sehr umfangreich und manches Rezept mag auch bekannt sein; es ist ihre Art, wie sie die Pfälzer Backtradition aufbereitet. Ein breites Spektrum umfassend und mit einer Gewitztheit geschrieben, die ihrem Mentor Siebeck zur Ehre gereicht. Sie hätte vielleicht noch ein bisschen mehr Pfälzerische Back-Klassiker aufnehmen können, wie bspw. den Holunderbeer-Schmand-Kuchen oder den Kartoffelplotz. Gerade Letzterer ist ein interessanter Resteverwerter, der in unsere heutige Zeit der Nachhaltigkeit gut passen würde. Die kurzen Abschweifungen in volkskundlich Pfälzerisches ist mehr Kaffeehaus-small-talk, bis auf Gudes zum Woi, das ein wenig tiefschürfender ist. In der backtechnischen Einführung geht es um die Zutaten und alles, was mit dem Backofen in Verbindung gebracht werden kann, die, kurz und prägnant, alles Wesentliche beinhaltet.
Letztlich sind es aber die Rezepte, von denen die meisten nicht schwer umzusetzen sind. Es sind süße und herzhafte Versuchungen, denen man sich schwer entziehen kann.