Hildegard Keller & Christof Burkard, Lydias Fest

Zu Gottfried Kellers Geburtstag

Zeichnungen von Hildegard Keller
Edition Maulhelden Nr. 1, Zürich, 2019 (3. Auflage), 128 Seiten mit Lesebändchen, 21,50 €
ISBN 978-3-907248-00-3
Vorgekostet

Heute reisen wir in die SCHWEIZ.

Nach Zürich. Dort treffen wir zwei Maulhelden im wahrsten Sinne. Sie, eine Künstlerin des kritischen Wortes, doziert, schreibt und malt Literatur. Hildegard Keller ist den literaturinteressierten ÖsterreicherInnen als Jurymitglied beim Bachmann Preis schon vertraut. Mir ist vor allem das filmische Portrait über die Malerin Annemarie Mahler-Ettinger lebhaft in Erinnerung. Er, ein Verteidiger des Rechts-Wortes, ist spezialisiert auf Arbeit und Verkehr und entscheidend verantwortlich für maulgerechte Verpflegung. Christof Burkard der Jurist, Maler und Koch. Beide zusammen sind die Maulhelden, Herausgeber und Verfasser der gleichnamigen Edition für Kopf, Herz und Gaumen.

Klein und handlich, einen Tick größer als eine Postkarte, präsentiert sich der erste Band: Lydias Fest. Eine Erzählung, die von der Vorbereitung einer Geburtstagsfeier für den Schriftsteller Gottfried Keller handelt. Zu den geladenen Gästen zählt auch der Maler Karl Stauffer-Bern, der Keller porträtieren will. Ort des Geschehens ist die Villa Belvoir der Millionenerbin Lydia Welti-Escher. Sie, die Tochter des Eisenbahnpioniers Alfred Escher, ist gefordert von den betriebsamen Vorbereitungen zum Fest und ihrer ungestümen Verliebtheit in Stauffer-Bern. Und da passiert doch einiges: Man will Keller kein Alltagsessen wie Hecht aus der Limmat servieren. Es gibt Muscheln, nur die riechen schlecht. Und während sie sie zum Händler zurückgeben lässt, bringt der Gärtnergehilfe den Salbei für die Müslichuechli. „.. an so einem Teigmäuslein ist ja nicht viel dran, ich würde nicht satt, unsere Mutter erzählt vom Schlaraffenland, weiß Gott, wo das liegt, dort tunkt man ganze Salbeibüsche in Teig und backt sie …“ äußert er sich gegenüber Lydia. Sie klärt ihn auf: „Blättlein um Blättlein, so frittiert man in Zürich. Wir werden alle Zweige brauchen – und dazu frisches Schmalz!“ 

In dieser romanhaften Erzählung von Hildegard Keller fließen unzählige kulinarische Randnotizen ein, die ein schemenhaftes Bild des zu erwartenden Banketts zeichnen. Venusmuscheln, Sauerkraut , Kartoffelstock und eingemachtes Gemüse wie auch Früchte gehören dazu. Darüberhinaus sind zehn kurze geschichtliche Exkurse über Lebensmittel wie Fische, Singvögel, Schokolade, Rindfleisch oder Kolonialwaren – abgesetzt auf blau gefärbten Seiten -, die uns ein wenig den Alltag im 19. Jahrhundert vorführen. So heißt es in der achten Geschichte: „… Eine Schüssel Kartoffelstock (Püree) und darüber gegossener heißer Butter mit Milch war das Mittagessen bei ärmeren Familien. Die Kinder stießen den Löffel in den Breiberg, machten Kanäle und Mulden für Butterbächlein und -seelein. Das führte zu erbitterten Verteilungskämpfen. Pankraz der Schmoller, dem Gottfried Keller in Zeiten der Kartoffelpest eine Novelle widmete, kann ein Lied davon singen.“. Für die historischen Abhandlungen wie auch sechs angehängte Rezepte ist Christof Burkard zuständig. Schade, dass Burkard keine Quellenverweise angibt. Wer dem kulinarischen Flair zu Zeiten Gottfried Kellers nachspüren will, kann es mit Müsliküechli, Erbsensorbet, Muscheln auf Sauerkraut, Härdöpfelstock Belvoir, Geflügelpastete und Rosencrème versuchen.

Im Epilog erfahren wir, was damals wirklich passierte mit Lydia Welti-Escher und Karl Stauffer-Bern. Und die eingestreuten Originalzitate sind Lichtblicke von Sehnsucht und Liebe zweier einsamer Herzen.

„… Denn unter den fleißigen braven Phrasen

Blühet der Liebe duftiger Rasen …“ (Karl Stauffer-Bern)

Lydias Fest von Hildegard Keller und Christof Burkard ist eine bewegende Erzählung über eine blitzgescheite Frau die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte und mit namhaften Künstlern und der Prominenz der Gesellschaft auf Augenhöhe verkehrte. Die ergänzenden sachlichen Aspekte, die den Wandel von Lebensmitteln und Essengewohnheiten dokumentieren bis hin zu Rezeptvorschlägen, transferieren diese Zeit ins Heute machen sie kulinarisch-sinnlich erfahrbar.