Heute dreht sich alles um Rindfleisch und Wien.
Sie ahnen es bereits. Tafelspitz ist angesagt. Konkret Tafelspitz & Fledermaus; so lautet auch der Titel des im Mandelbaum Verlag erschienen Kochbuches, das die Wiener Rindfleischküche thematisiert. Aber es ist mehr. Es ist die ausführlichste Kulturgeschichte vom gekochten Rindfleisch, die ich kenne. In sieben Kapiteln kreist die Autorin Ingrid Haslinger das Thema ein. Dabei widmet sich jedes einzelne Kapitel einem speziellen, meist historischen Zugang, dem sich ein Rezeptteil anschließt. Es beginnt literarisch mit einem kurzen Auszug aus Joseph Roths Radetzkymarsch. Da liebkost das Auge des Bezirkshauptmanns zuerst den zarten Speckrand, der das kolossale Stück Fleisch umsäumte, dann die einzelnen Tellerchen, auf denen die Gemüse gebettet waren, die violett schimmernden Rüben, den sattgrünen ersten Spinat sowie die weiteren Gemüse auf diesem Rindfleischteller und stellt beim Schneiden des Fleisches dann fest: Die Fleischer verstehen heutzutage ihr Handwerk nicht mehr. Das feinste Fleisch ist verdorben, nur durch einen falschen Schnitt. Sehen Sie her, Fräulein Hirschwitz! Ich kann es kaum noch retten, es zerfällt in Faser, es zerflattert geradezu. Als Ganzes kann man‘s wohl mürbe nennen. Mit diesen wenigen Sätzen erfährt man alles über den Tafelspitz. Über seine Konsistenz, wie er angerichtet wird und, die Beilagen. Die Autorin vermittelt mit Hilfe von amüsanten Anekdoten viele historische Fakten und wissenswerte Details. So erfährt man, dass bspw. 1828 die Wiener über 84.657 Ochsen verzehrten. Das entspricht einem Pro-Kopf-Verbrauch von über 100 kg, dabei sind die Kälber, Gänse und Kapaune noch gar nicht mit eingerechnet. Schweine hatten damals interessanterweise kaum eine Bedeutung. Die Hochblüte erreicht die Wiener Rindfleischkultur in der Mitte des 19.Jhdts. Das untermauern diverse Wiener Kochbücher aus dieser Zeit. In den Menüplänen scheint im Monat im Schnitt 21 mal gekochtes Rindfleisch mit Beilage als Hauptgang auf. Das ändert sich grundlegend nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Da wird die Wiener Rindfleischküche in eine Schweinefleischküche umgemodelt.
Die Autorin bedient sich in ihren kulturgeschichtlichen Analysen vieler historischer und aktueller Wiener Kochbücher. Sie belegen einerseits damit die Veränderung von Essensgewohnheiten des Wiener Bürgertums, andererseits liefern sie eine Vielzahl an Rezepten, die heute noch aktuell sind. Jedem themenorientierten Kapitel steht ein entsprechender Rezeptblock gegenüber. Da sind zunächst Suppen und Suppeneinlagen, dann Rindfleischrezepte, warme Soßen, kalte Soßen, Gemüse- und Sättigungsbeilagen. Auffällig ist dabei, dass die Kochanleitungen äußerst knapp sind. Das ist bei 170 Seiten und etwa 240 Rezepten anders gar nicht möglich. Das geht aber auch zu Lasten wichtiger Informationen, nämlich von Mengen- und Zeitangaben. So werden, um ein Beispiel zu nennen, die Bröselknöderl – eine Suppenbeilage – mit in Milch angefeuchteten Semmelbrösel angerichtet, ohne Mengenangabe von Milch und Semmelbrösel. Erfahrene Köchinnen und Köche wissen es wahrscheinlich, dass für die Bröselknödel etwa 1/4 l Milch und ca. 200 bis 250 g Semmelbrösel zu veranschlagen sind. Diese Informationsdefizite sind in Bezug zu der Rezeptanzahl allerdings gering. Und ich verstehe diese Fülle an Rezepten eher als Impulsgebung und Anregung für die eigene Koch-Kreativität.
Im Abschnitt Rindfleisch-Rezepte werden neben dem Grundrezept für Gekochtes Rindfleisch weitere 28 delikate Zubereitungsarten vorgestellt. Auch findet sich dort die Überbackene Fledermaus, die mitverantwortlich für den Buchtitel ist. Die Fledermaus, ein lappenartiges Fleischstück von der Hüfte, auch Schalplattl oder Heiliger Geist genannt, ergibt eine gute Rindssuppe. Schlagartig berühmt wurde sie 1974, als ein findiger Koch die gratinierte Fledermaus bei einem Wettbewerb mit Johann Strauss-Bezug einreichte und gewann. Heute findet man sie kaum auf einer Speisekarte. Typische Beilagen zu gekochtem Rindfleisch sind neben den 56 beschriebenen Soßen, diverse nach Wiener Art zubereitete Gemüsesorten, sowie Sättigungsbeilagen. Letztere sind vor allem Kartoffel- oder gut wienerisch, Erdäpfelspeisen. Nicht gekannt habe ich die Paradeiserdäpfel, die mit dem bloß gekochten Rindfleisch wunderbar harmoniert haben.
Ausprobiert habe ich auch das Krustierte Rindfleisch mit Kräutersoße und Bröseln, das mich an das Schnitzel erinnerte wäre nicht der Geschmack des gekochten Rindfleisches so stark. Ebenfalls versucht habe ich den Tafelspitz mit Karotten-Schwammerl-Salat. Das Aufeinandertreffen von kaltem Tafelspitz und warmen Karotten-Schwammerl-Salat war eine wohlschmeckende neue Erfahrung. Dabei werden die Karotten Julienne geschnitten, das man auch mit in feinen Streifen schneiden umschreiben hätte können. Das Rezept befindet sich im Ordner. Am Ende des Kochbuchs, findet man ein dreiseitiges Glossar mit den seltsamsten Ausdrücken wie Arbes, Knöpfl, Ochsenschlepp Umurken, Wadschunken und einige mehr, die man wahrscheinlich noch in urwienerischen Gasthäusern zu hören bekommt. Die Literaturangaben, geschätzte 150 Werke, lassen auf das enorme Arbeitspensum der Autorin rückschließen, wie auch das Rezeptverzeichnis, das dieses kulturgeschichtlich durchwachsene Kochbuch abschließt.
Ingrid Haslingers Tafelspitz & Fledermaus ist ein spannend geschriebenes Werk mit vielen kleinen Anekdoten, einigen Überraschungen, etwa die Geschichten der eigens entwickelten Rindfleischteller und des Rindfleischwagens, sowie vielen Rezepten aus der Wiener Rindfleischküche. Die eingestreuten schwarz-weiß Abbildungen ergänzen und lockern den dichten Text wunderbar auf.