Heute bleiben wir in ÖSTERREICH.
Jedem Land seine Kochkunst, behauptete ich vor einigen Jahren und meinte die Kampfansage heimischer Touristiker, dem Angebot italienischer, türkischer und sonstiger Pizzen, griechischer Salate, chinesischer Billigmenüs eine bodenständige Küche gegenüberzustellen. Es galt, den echten Tiroler Gastwirt zu fördern, ein „gastronomisches Leitbild“ zu erstellen. Das Vorhaben verlor sich schnell in den Tiefen der Wunschvorstellungen. Einige Wirte kreierten dennoch den „Ur-Tiroler“, eher das Prinzip der Tiroler Speckknödel verkörpernd, jene köstliche Speise seiner gebirgigen Heimat mit all ihren denkbaren Zutaten einer alpinen Küche. Der Knödel ward wiederentdeckt. Er symbolisiert den gesunden Appetit und das Volksvermögen, aus dem Vorhandenen das Beste zu machen. Altbackenes Brot vermengt mit ein bißchen Speck, Milch und Mehl, zuguterletzt verfeinert mit Petersilie und Knoblauch steht für Kargheit wie auch Arme-Leute-Essen und ist doch so modern. Eckhart Witzigmann würde hier den Begriff der Nachhaltigkeit einbringen und in den Vordergrund stellen. An das hatten Ingrid Pernkopf und Christoph Wagner wohl nicht gedacht, als sie sich der Knödel annahmen und ihre besten Rezepte in einem Kochbuch vereinten. KNÖDELSCHATZ, eine wahre Fundgrube an Knödelrezepten, ist bereits 2010 und nun in einer komplett überarbeiteten und neu zusammengestellten Ausgabe im Pichler Verlag erschienen. In der Einleitung verweisen die Herausgeber auf den hohen, vor allem regionalen Stellenwert, den die zahlreichen Knödelrezepturen im Kontext des kulturellen Erbes in unserer österreichischen Küche haben. Es gibt vermutlich niemanden in unserem Land, der nicht in seiner Kindheit mit Knödel in Berührung gekommen ist. Und sei es nur ein Serviettenknödel.
Klar und übersichtlich gliedert sich der Inhalt in zwei Bereiche: Knapp und prägnant, sehr geistreich und spritzig formuliert, wird Wissenswertes vom Autorenduo im einleitenden Kapitel vermittelt. Man erfährt alles, was man rund um Knödel, Teige und deren Verarbeitung wissen muss, von der Hauptrolle der Eier bis zu den kleinen Küchengeheimnissen aus der Praxis, auch das, was beim Knödelmachen passieren kann und wie man dem begegnet. Das zu lesen ist kein Fehler, und man darf schmunzeln, wenn man erinnert wird an Großmutters Zeiten, in denen man aus Sparsamkeit das Knödelwasser weiter zu verwenden wusste, etwa zum Aufgießen von Soßen. Den Hinweis, generell die Füllungen zu Knödeln zu formen und einzufrieren, nehme ich daher gerne auf, bedeutet es doch auch eine Einsparung eines Arbeitsschrittes.
Der zweite und umfangreichste Teil ist den Rezepten gewidmet, die sich in sieben Kapitel aufsplitten. Die ersten vier befassen sich mit Knödel als Suppeneinlage, als Vorspeise, als Hauptspeise und als Beilage. In weiterer Folge geht es dann darum, was man mit den Knödelresten noch anfangen kann, und staunt über den Einfallsreichtum von Ingrid Pernkopf. Das müheloste sind geröstete Knödel. Etwas komplizierter und aufwändiger ist dagegen die Knödellasagne. Woran ich überhaupt keinen Gedanken verschwendet habe, dabei ist das so naheliegend, ist, Semmelknödel in Essig und Öl einzulegen. Ich war überrascht, wie gut dieses mit Zwiebel und Paprika belegte Resteessen schmeckte.
Der vorletzte Abschnitt offeriert uns Süße Knödel. Kulinarisches Flair aus 1000 und ein Knödel weht uns da entgegen, wenn wir uns den weichen, flaumigen Couscous-Knödeln hingeben. Klösterliches Ambiente hingegen, wenn wir uns die Kapuzinerknödel einverleiben, eine mit einer Vanillesauce verfeinerte Hauptspeise, die ich wahrlich diesen Ordensbrüdern nicht zugetraut hatte. Die Füllungen der diversen süßen Knödel sind raffiniert und verführerisch. Der Mozartknödel umschließt verständlicherweise eine Mozartkugel und wenn diese nicht vorrätig ist, dann dient ersatzweise eine Pralinenkugel oder ein Nougatstück. Wer will das überprüfen was genau im Knödel drinsteckt? Gestaunt habe ich über den Wiffer, den süßen Kaspressknödel, den Mario Mairhofer kreierte. Ein süßer Turm, den zu kosten ich meine Enkel nicht lange überreden musste.
Im siebten Kapitel dreht sich dann alles um die Teige, die Füllungen und die Begleiter dazu. Ein Füllhorn an Rezeptideen, sodass die Auswahl schwerfällt. Spannend fand ich die Käse-Nuss- Füllung, die mit einer Vielzahl an Käsen einen interessanten, würzigen Geschmacks-Mix ergab. Auch die Spinatfülle, die mit Bärlauch verfeinert ist, erwies sich als Volltreffer. Die Seiten mit den diversen Füllungen sind Impulse, die zu einer Erweiterung des Knödelhorizonts beitragen. Brennnesseln, Garnelen, Eierschwammerln, Kürbis, Thunfisch und Schinken: eine kleine Auswahl von Zutaten, die sich zum Füllen von Knödeln eignen. Die Kärntner Holzfällerfülle besteht vor allem aus Zwiebeln und Selchfleisch und ist eine wahre Energiebombe. Diese herzhaften Knödel werde ich mir nach meiner nächsten größeren Schitour gönnen, um meine Energiereserven wieder aufzutanken.
Bei den Suppeneinlagen finden wir Klassiker wie den Leberknödel, dessen Zubereitung im Alt-Lienzer Kochbuch so beschrieben wurde: „Streife die Leber aus u. wiege sie recht fein auf u. treibe sie mit der Milch durch dan wiege fetten Kreutl Zwiefel Knoblach u. Lemonischelfen recht fein auf thu alles in eine Schüssl nim Eier kalte Milch Semelbrod u. ein wenig Mehl darunter auch Salz.“* Viel hat sich an den Grundzutaten im Vergleich zu Pernkopfs Rezept nicht geändert. Allerdings wird heute wesentlich mehr gewürzt, mit Majoran, Rosmarin, Salbei, Piment, Koriander oder Worchestersauce.
Auffällig ist, dass sehr viel Knödelschätze im Osten Österreichs beheimatet sind. Die Krautknödel von Georg Friedl entstammen der Mühlviertler Küche. Die Salzburger Taschenknödel oder Zsammg’legte Knödel sind da schon eine Besonderheit, denn die Fülle aus Geselchtem oder Speck ist so gar nicht üblich für eine Fastenspeise. Deshalb werden sie anderswo im Salzburger Land auch als Hergottsbscheißerl bezeichnet. Die Ähnlichkeit der Zsammg’legten Knödel mit den Ravioli ist frapierend und es ist wahrscheinlich, dass sie von den protestantischen Glaubensflüchtlingen aus Italien in den süddeutschen Raum eingeführt wurden. Dass in der Fastenzeit hungrige Mönche des Klosters Maulbronn in der Nähe von Stuttgart ihre Maultaschen heimlich mit Selchfleisch aufbesserten, ist eine andere Legende.
Auch im Bereich der Vorspeisen gibt es einiges auszuprobieren. So muten die gebackenen Reisknödel wie eine Transformation von Milchreis an. Neben der süßen Variante gibt es auch herzhafte mit Parmesan und Schinkenwürfel. Überhaupt finden sich bei vielen Knödelrezepten Variationen die so das Knödelspektrum erweitern.
Der Grünkernknödel ist aber ein Spezialfall mit seinem halbreif geerntetem Dinkelkorn. Die Schwarzplenten-Knödel entführen uns nach Südtirol. Dort hat die Knödelküche eine lange Tradition wie auch das Kochen mit Schwarzplenten, sprich Buchweizen. Die Liste an interessanten Knödelraritäten wie die färbigen Linsenknödel oder Bierfleischknödel oder Eferdinger Spargelknödel oder Hirschbacher Hascheeknödel usw. ließe sich noch lange fortsetzen.
Mit den Speckgrießknödeln betreten wir aber wieder Tiroler Territorium. Das Rezept steuerte Rosi Schipflinger bei, die über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist als singende Wirtin der Sonnbergstuben in Kitzbühel. Und wenn wir in der Sparte Speckknödel, d. h., Tiroler Speckknödel, nur eine dreizeilige Variante des klassischen Semmelknödels im Kochbuch vorfinden, so soll uns das nicht verwundern. Im Osten ist nun mal der gebackene Mühlviertler Speck- bzw. Grammelknödel viel bekannter als sein Cousin, der touristisch gehipte Ur-Tiroler Speckknödel. Letzter fristetet im Kochbuch Tiroler Küche von Cäcilie Gstrein von 1898 sein Dasein auch nur als Suppenknödel.
KNÖDELSCHATZ von Ingrid Pernkopf und Christoph Wagner ist ein erstaunliches Kochbuch. Einen solchen Schatz an Rezepten kann nur zusammentragen, wer selbst vom Knödelvirus infiziert ist. Man merkt dem Autorenduo ihre Begeisterung für diese runde Sache in jeder Zeile an. Keine überflüssigen Floskeln, punktgenaue Querverweise und Fotos, die sparsam aber wirkungsvoll eingesetzt sind und so die Qualität dieses Kochbuchs heben, das ist auch das Markenzeichen von Ingrid und Christoph. Mit KNÖDELSCHATZ setzen sich die beiden selbst ein Denkmal. Und wir, wir staunen beim Durchblättern, beim Knödelkochen über die Vielfalt und Geschmacksvariationen all dieser kugeligen Speisen.
* Aus dem Alt-Lienzer Kochbuch. Herausgegeben von Renate Vergeiner, mit ausgewählten Rezepten in neuer Bearbeitung von Hans Peter Sander, Seite 35