Irina Carl, Armenisch kochen

Gerichte und ihre Geschichte

Verlag Die Werkstatt, Bielefeld, 2015, 176 Seiten, 16.90 Euro
ISBN 978-3-7307-0163-8
Vorgekostet

Heute geht es um Kochen und Essen in ARMENIEN.

Sie wissen ja, Armenien liegt östlich der Türkei. Ein raues gebirgiges Land, über das Reisende überwiegend nur Positives berichten, was sehr erstaunlich ist. Osip Mandelstam, ein Dichter, dem das „Stalin-Epithaph“ das Leben kosten wird, reiste 1930 von Moskau nach Armenien. Für ihn war es das gelobte Land am Rande der Welt, voll Ursprünglichkeit und Stolz. Von oben betrachtet gleicht es Österreich, nur um 90 Grad gedreht. Mit unserem Land verbindet Armenien auch eine kostbare armenische Handschriftensammlung, die in der Bibliothek des Wiener Mechitaristenklosters aufbewahrt wird. Dieses Kloster steht auch für die armenische Diaspora. Während im Heimatland etwas mehr als 3 Millionen Menschen leben, sind weitere 6 Millionen Armenier in der ganzen Welt verstreut. Russland, USA aber auch Israel. Im armenischen Viertel von Jerusalem, in einem Restaurant, das nostalgisch verklärend mit kostbarer armenischischer Volkskunst vollgestellt ist, aß ich zum ersten Mal richtiges armenisches Essen. Die Vorspeise war ein in Lawasch, das ist das armenische Fladenbrot, eingehülltes gut gewürztes Tomaten-Gurken-Gemisch.

Als Hauptspeise gab es Lammspieße, dazu Safranreis und einen harzigen Rotwein. Dieses Dinner zu zweit bei Kerzenschein, in einem fast kitschig anmutenden Ambiente, kombiniert mit ungewohnten Geschmackserlebnissen, weckte allerdings mein Interesse für die armenische Küche. Dass Armenien eine lange Kochtradition hat, beweisen unzählige archäologische Funde. Krüge mit Weinresten lassen sich bis ins 9. Jahrhundert vor Christus zurückdatieren, schreibt Irina Carl in der Einleitung ihres Kochbuchs „Armenisch kochen“, das im Verlag die Werkstatt erschienen ist.

In ihrer Einführung zur armenischen Küche beschreibt sie sehr ausführlich die Geschichte, die Geographie und Landwirtschaft des Landes sowie Essgewohnheiten, Feste und Getränke. Den Hauptteil nehmen die Rezepte ein, dazwischen eingestreut sind zwei Farbbilderblöcke, die beim Betrachten die Schönheit des Landes und das reichhaltige Angebot der armenischen Küche erahnen lassen. Die Rezepte sind klassisch gegliedert, allerdings mit eingestreuten Kapiteln, die speziell auf die armenische Kochtradition abgestimmt sind. Das heißt: Zwischen den Vorspeisen und Suppen befindet sich Mariniertes und Eingelegtes. Ebenfalls eigenen Abschnitten gewidmet sind Eiergerichte, Milchprodukte, Reisgerichte und Brot. Vielfach sind den Kapiteln als auch Rezepten nützliche einleitende Anmerkungen vorangestellt. So leitet ein ausführlicher zwei seitiger Vorspann das Fischkapitel ein, aus dem hervorgeht, dass vorwiegend Forelle in unterschiedlichen Zubereitungsformen verwendet wird. Hier sind sich die Gebirgsländer Tirol und Armenien sehr ähnlich. Allerdings werden zum Fisch Kombinationen aus Granatapfel, Zitronen oder Schlehenfrüchten gereicht. Ausprobiert habe ich sowohl die Forelle mit Nüssen als auch die gebackene Forelle mit Ingwer-Reis-Füllung. Beide Gerichte waren für mich eine neue kulinarische Erfahrung. Beim Gemüsekapitel bspw., weist die Autorin darauf hin, dass in der armenischen Küche Kürbis und oder Hülsenfrüchte dominieren. Aber auch die Aubergine wird vielfach eingesetzt. Das Gemüseragout, auf armenisch Ajlasan, mit Auberginen, Kartoffeln, Bohnen, Tomaten, Paprikaschoten und Zwiebeln, servierte ich als Beilage zu Bandnudeln. Ein einfaches Gericht, das gut ankam – der Topf war sehr schnell leer.

Bei den Reisgerichten stellt sie zunächst zwei Zubereitungsformen, die Filter- und die Kaschowi-Methode vor. Die Gerichte sind dann in der Mehrzahl Pilaws, sowohl pikant als auch süß. Hier zeigt sich auch sehr gut, dass die armenische Küche generell von unterschiedlichen Kochtraditionen beeinflusst ist, ob türkisch, iranisch, arabisch oder russisch, manche Gerichte unterscheiden sich nur in den Mengenverhältnissen und Zutatenkombinationen. Der Hochzeitspilaw besteht aus Reis, angereichert mit einer Bombe aus Trockenfrüchten und Honig. Fast schon ein Dessert. Überhaupt finden sich in diesem Kochbuch einige Rezepte, in welchen Trockenfrüchte eine wichtige Rolle spielen. Zum Beispiel bei den Erbsen in Weinblättern, in der Kichererbsensuppe mit getrockneten Früchten oder im Huhn mit Obst-Reisfüllung , um einige aufzuzählen. Und es verwundert ein wenig, dass dem Trocknen von Früchten, das auch Teil der armenischen Kochtradition ist, kein Kapitel gewidmet ist.

Das vielleicht eigenartigste Reisgericht und originär armenischste, ist Pilaw mit Lawasch. Das ist Reis mit hauchdünnem Brot. Dieses Lawasch beschreibt die Autorin auch näher, inklusive der Legende, die sich in Armenien um dieses Brot rankt. Dort wird es im Tonir, ein im Boden eingelassener Lehmofen, gebacken. Die Herstellung ist reine Frauensache. Zunächst wird der ungesäuerte Teig aus Mehl, Salz und lauwamem Wasser zubereitet. Im Buch wird auch Gärstoff beigegeben, das ist falsch. Auf dem Land in großen Mengen auf Vorrat gebacken, hält sich Lawasch monatelang. Bei Bedarf angefeuchtet, ist das Brot wieder frisch. Zu Festen wie Mariahimmelfahrt Mitte August wird ein Fettschwanzschaf, nachdem es von einem Priester gesegnet ist, zubereitet. Chorowaz ist ein typisches Lammgericht. Dabei werden Fleischstücke mit Kartoffeln aufgespießt, im Lehmofen gegrillt und mit Lawasch gereicht. Zwei Arten von Lammspießen stellt Irina Carl vor, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass einige Stunden für die Vorbereitung eingerechnet werden müssen, da das Fleisch mariniert wird. Abweichungen hinsichtlich Zeit- und Mengenangaben vom Normalaufwand sind der Zutatenbeschreibung meist vorangestellt. Das ist sehr hilfreich. Zu einem armenischen Fest dürfen auch Backwaren und Süßigkeiten nicht fehlen. Die berühmteste Nachspeise aus Hefeteig ist wohl Gata. Jetzt zu Ostern wird gerne Ostersüßigkeit mit Quark gereicht. Wie diese eher aufwändige Süßspeise zubereitet wird, erfahren Sie aus dem Rezept.

Irina Carl vermittelt mit diesem Buch sehr umfassend die bei uns wenig bekannte armenischen Kochkultur. Sieht man von kleinen Unzulänglichkeiten ab, bspw. der etwas verwirrende Hinweis auf Thal, das ist Hammel, oder das Fehlen eines hilfreichen Glossars sowie einer Übersichtskarte, ist dieses Kochbuch eine gute Einführung in die armenische Küche. Ein ausführliches Rezept- und Stichwortregister verführen zum immer wieder Nachschlagen und man entdeckt dabei mitunter interessante, unbekannte Gerichte.

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