Irina Georgescu, TAVA

Süße Köstlichkeiten aus Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern

Aus dem Englischen übersetzt von Linde Wiesner
Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 2023, 272 Seiten, (EU) 38.-- Euro | (A) 39.10 Euro | (CH) 46.90 sfr
ISBN 978-3-8369-2194-7
Vorgekostet

Heute reisen wir nach RUMÄNIEN.

In Erinnerung ist mir dieses Land vor allem wegen der mutigen Menschen. Sie gingen 1989 auf die Barrikaden, stürzten ihren Langzeitdiktator Nicolae Ceaușescu. 2014 traf ich in einem Dorf bei Arad nahe der ungarischen Grenze einen Bauern, der mir sein Leid über Miss- und Vetternwirtschaft klagte. Die Gelder der EU kommen nicht an, versickern irgendwo zwischen Bürokratie und Politik. Die Spuren der Revolution sind zwar beseitigt, aber die Korruption ist höher denn je. Heute spielt Rumänien eine Schlüsselrolle beim Export von Getreide, ukrainischem Getreide. Es hat auch viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, doch alles droht das Land zu überfordern. Und wird nicht das Donaudelta als ‚neues Europa‘ bezeichnet? In der Flussmündung lagern sich jede Sekunde 46 kg Sediment ab, 40 Millionen Tonnen im Jahr. In dieser sich ständig verändernden Wasserlandschaft trifft man kaum Menschen. Nur Fischer, die in ihren kanuähnlichen Holzbooten Hechten, Brassen und Barschen nachstellen. Gerne teilen sie ihr karges Mahl mit dem Fremden, Fladenbrote, die mit Honig und Käse gefüllt sind. Die Fladenbrote werden immer noch so zubereitet, wie es die ersten Griechen machten, die an der Donaumündung und am Schwarzen Meer Handelsposten errichteten, lange bevor die Römer Teile des heutigen Rumänien eroberten. 

Diese gefüllten Fladenbrote, schreibt Irina Gerorgescu, gibt es in Rumänien in zahlreichen Varianten, die typisch für die jeweilige Region und ein wichtiger Bestandteil ihrer kulturellen Identität sind. In Siebenbürgen werden die Fladenbrote mit Hüttenkäse und Honig  traditionell auf einer heißen Steinplatte gebacken.

Rumänien ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Dementsprechend geprägt ist die Landesküche, ebenso von der geografischen Lage und seinen vielfältigen Landschaften. Die Koch- und Backkunst ist außerhalb der Landesgrenzen wenig bekannt. In ihrem neuesten Buch TAVA widmet sich Irina Georgescu daher den süßen Köstlichkeiten Rumäniens. Es ist ein Ausflug in die Backstuben und Küchen der sechs bekanntesten Volksgruppen des Landes. 

Zehn Kapitel müssen reichen, um die prägnantesten Naschwerke und Brotwaren vorzustellen. Dabei gibt es noch viel mehr Ausformungen an süßen Köstlichkeiten, die sich nicht so einfach in eine Schublade stecken lassen. Fast nebenbei lässt die Autorin geschichtliche und volkskundliche Beschreibungen im Kontext traditioneller Rezepte einfließen.

In ihrer Einleitung beschreibt Irina, wie die kommunistische Herrschaft die landestypische Küche veränderte, zumindest für diesen Zeitraum. Inzwischen findet wieder ein Umdenken statt und viele Menschen bemühen sich, alte Zutaten und Zubereitungsarten wiederzuentdecken. So werden einige Zutaten häufiger verarbeitet als andere, etwa Marmeladen, Joghurt, Nüsse und viele Äpfel. Ingwer und Safran wurden traditionell für süße als auch für pikante Gerichte verwendet. Auch Kümmel und Fenchelsamen waren fast vergessen, erleben jedoch heute eine Renaissance. Hingegen ist Zimt im Dauereinsatz wie eh und je, während Muskatnuss, Kardamom und Gewürznelken weniger eingesetzt werden. Stark im Kommen sind Blüten und Kräuter, um Speisen zu aromatisieren. Salbei setzt Irina bewusst ein. Bspw. im gestürzten Birnen-Salbei-Kuchen, wo zwischen den Bitterstoffen des Krauts und der Süße des Karamells eine harmonische Balance entsteht. Mit Estragon wird der Honig aromatisiert; über die Obst-Beignets geträufelt, erhalten sie eine natürliche Süße.

In den folgenden Kapiteln wird dann mit Rezepten eingelöst, was die Szekler und Sachsen im südöstlichen Siebenbürgen, die Magyaren (Ungarn) sowie die Banater Schwaben im Westen Rumäniens an Naschereien beisteuern. Den Armeniern Bukarests verdanken wir feine Strudel und Tartes und den jüdischen Handelsfamilien in den Donauhäfen süße Snacks und Mitbringsel wie Rosenmarmelade oder kandierte Zitrusschalen.

Jetzt wollen wir loslegen! Kekse und Plätzchen eröffnen den Reigen. Sie sind Vorboten von Weihnachtsgenüssen. Kekse mit Sultaninen, Hörnchen mit Rosenkonfitüre, Schwäbische Mandelkekse, Armenische Kurabia-Kekse mit Mahlep und vor allem Szekler Lebkuchen erweitern das herkömmliche Kekssortiment, bringen neue Geschmacksnoten ein. Lebkuchenteig muss reifen! Im Vergleich mit anderen Lebkuchen-Rezepten muss der Szekler nur kurz, über Nacht, kühl gestellt werden. Der Geschmack hängt von den zugegebenen Gewürzen ab; die vorgeschlagene Mischung hierfür ist ziemlich kräftig. Das Markenzeichen des Szekler Lebkuchens ist aber seine Buntheit, die vor allem Kinderaugen zum Leuchten bringt.

Im zweiten Kapitel widmet sich die Autorin den gedeckten Kuchen und Fladenbroten. Wie das zusammenhängt, ist nicht ganz schlüssig, aber auch nicht so wichtig. Kaum schlägt man dieses Kapitel auf, ist man überwältigt vom Angebot. Sollte ich den gedeckten Apfel-Walnuss-Kuchen oder den gedeckten Käsekuchen mit Sultaninen für meinen Chor backen? Oder die Moldauische Schichttorte mit Hanfcreme? High zu sein bedarf es wenig werden wir dann singen … Nein, ich habe mich für die sächsischen Pflaumen-Hanklich entschieden und das war gut so. Einfach und köstlich! Das Blech war schnell leergeräumt und einige wollten das Rezept.

In weiterer Folge geht es kapitelweise dann um Hefegebäck; Strudel, Tartes und gefülltes Gebäck; Crêpes, Knödel, Nudeln und Getreidespeisen; Krapfen und Schmalzgebäck; Biskuit- und Mürbeteigkuchen; Torten und nostalgisches Konditoreigebäck; Gluten- und laktosefrei; süße Snacks und Mitbringsel.

Aus der Abteilung Hefegebäck lachen mich zunächst die Quarktaschen  an. Wären da nicht die Safranknoten, die ablenken: ein flaumiges Gebäck, das mit Walnusssplittern und Zitronenabrieb bestreut wird. Beide Rezepte kommen aus Moldawien. Eine weitere Köstlichkeit ist der Orangen-Gugelhupf aus dem Banat, dem Preiselbeeren eine herbe Note verleihen. Der Anteil an Orangen ist so gering, dass sie es eigentlich gar nicht verdienen, im Titel vorzukommen. Ursprünglich wurde dieser Gugelhupf nur mit Sultaninen gemacht. Kindheitserinnerungen wecken wieder die Rohrnudeln, die bei uns besser bekannt sind als Buchteln. Allerdings enthält die rumänische Variante keine Marmeladenfüllung und sie schwimmen in einer Vanillesauce, die mit Ingwer verfeinert wird. Ingwer ist wegen seines wärmenden Aromas in der rumänischen Küche sehr beliebt.

In Kapitel vier macht sich der Einfluss des Balkans auf die rumänische Backkunst bemerkbar. Die armenischen Baklava mit Granatapfelsirup  unterscheiden sich von den bekannteren türkischen süßen Verwandten dadurch, dass die Füllung mit Zimt- und Nelkenpulver aromatisiert wird und so eine besondere Note bekommt. Ursprünglich wurde das Gebäck zum Fastenbrechen gebacken, mit zwei mal zwanzig Filoteigschichten, die die Gesamtzahl der Fastentage symbolisieren, erklärt Irina.  

Kapitel fünf gehört den Crêpes, Knödeln, Nudeln und Getreidespeisen. Da stößt man durchaus auf Überraschendes wie die Nudeln in der Walnuss-Vanille-Suppe. Die zu einer geschwungenen ‚8‘ geformten Nudeln, die aus Mehl, Salz und Wasser bestehen, werden in der Honig-Walnuss-Suppe gegart. Über die Nudelform ranken sich Mythen, die wir gar nicht alle wissen wollen. Aber interessant ist, was noch alles in dieses süße Süppchen hineinkommt, und man staune: Rum und Zimt sind gelistet, ebenso Zitronenabrieb.

Eine Pflichtübung war der Aprikosenmilchreis mit Weinsauce. Neu war mir nicht der Milchreis an sich, aber diese abenteuerliche Mischkulanz aus Reis, Milch, Sahne, Orangenblütenwasser, Mandelextrakt, Zitrone, Aprikosen und Chadeau. Neu auch, dass in Rumänien Reis angebaut wird. Zwar verschwindend gering an Jahres-Tonnen, was mich weniger bekümmert als die Süße des Milchreis. Hier empfiehlt sich, nur die Hälfte des Zuckers hineinzuarbeiten, und wenn der Milchreis zu wenig süß ist – nachzuckern.

Spannend sind auch jene Rezepte, in welchen mediterrane Kräuter eine wichtige Komponente darstellen. In der Apfel-Rosmarin-Sauce zu den Crêpes ist es ein Lippenblütler, der mit seinen herben Aromen das Fruchtige des Apfelsafts unterstreicht. In der gebackenen Quitte gesellt sich der Thymian hinzu. Und im gestürzten Birnen-Kuchen harmoniert, wie schon erwähnt, die bittere Note des Salbei wunderbar mit der Süße des Karamells.

Schmalzgebackenem und Krapfen gilt – wie wir wissen – ein eigenes Kapitel. Hervorzuheben sind die gezuckerten Zucchinipuffer, die mich daran erinnerten, dass alle Kürbisgewächse unseren Speiseplan ‚versüßen‘ können. Dieser Ansicht war wohl auch Baron von Brukenthal, der Gouverneur vom Großfürstentum Siebenbürgen und  persönliche Berater Maria Theresias. Er liebte Marmeladen, richtete dafür eine separate Küche zum ‚Zuckerkochen‘ (wie er es nannte) ein, wie er überhaupt eine große Vorliebe für Obst, Eingemachtes und Fruchtsaucen hegte. Der Brotpudding nach Baron Brukenthal, überrascht mit luftiger Leichtigkeit, erhält mit einem Klecks Stachelbeermarmelade ein süßes Krönchen. Wir befinden uns jetzt im Biskuit- und Mürbeteigkuchen-Abschnitt. Da sehe ich auch eine Variante der vielen Rührkuchen Rumäniens, ein Apfel-Kümmel-Kuchen, der mit einem Gewürz erstaunt, das viele von uns nur mit herzhaften Gerichten in Verbindung bringen. 

Die letzten drei Abschnitte sind so gegensätzlich wie der Norden und der Süden oder wie Torten und Snacks und dazwischen Gluten- oder Laktosefreies. Hier begnügen wir uns mit zwei Beispielen, die ein ideales Mitbringsel bei Einladungen sind. Die jüdischen Hamantaschen mit Pflaumenmus sehen komplizierter aus, als sie herzustellen und die Rosenblütenkonfitüre aus 100 Blütenblättern ist wirklich ein besonderes Geschenk. Die Rosenblätter müssen ungespritzt sein und es empfiehlt sich, nicht Rosenstauden in öffentlichen Parks zu plündern, die sind garantiert belastet. Als Alternativen bietet sich noch eine Aprikosen- und Beerenmarmelade an.

TAVA, Süße Köstlichkeiten aus Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern ist ein rundum wunderbares Buch. Es beeindruckt zudem mit Geschichten und Erinnerungen, die die Rezepte in den Kontext eines multiethnischen Landes stellen, das wir so nicht kennen. Ein Backbuch mit Reiseimpressionen in Wort und Bild. Landschaftsimpressionen wechseln sich mit Dessertfotos ab, wecken Sehnsüchte nach Land, Leuten und Süßem. Bilder, die Stillleben ähneln – Futter fürs Gemüt. Besonders geglückt: die grafische Ausführung des Innenteils sowie die optische und haptische Gestaltung des Einbands. Die Rezepte sind bis auf wenige Ausnahmen problemlos nachzubauen, erstaunen mitunter ob des Verführungspotenzials. Sie finden reichlich Inspirationen und Ideen, um sich und Ihre Liebsten mit süßen Köstlichkeiten glücklich zu machen. Irina Georgescus Begeisterung für die süßen Seiten ihres Heimatlandes ist überall spürbar. Dieses Buch wurde mit Liebe gebacken!

Aufzulösen bleibt noch, was TAVA bedeutet, nämlich so viel wie ‚Serviertablett’  auf Rumänisch.